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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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und für sich unbewußt vollzogen werde, damit es eben so
erst die höchste Leichtigkeit der Production begünstige." Es
muß also auch die Lebenkunst deßhalb nicht ein bloßes Be¬
rechnen und absichtliches Bedenken bleiben, sondern sie muß
eben auch wieder zum Theil unbewußt werden, wenn sie
den Namen der Kunst wahrhaft verdienen und wirklich
die höchsten Resultate gewähren soll.

Was die Möglichkeit der direkten Einwirkung des
Bewußten auf das Unbewußte betrifft, so beschränkt sie sich
eigentlich im Wesentlichen auf die Möglichkeit dem Lebens¬
gange das Unbewußte und mit ihm dem Leben
überhaupt gewaltsam hemmend entgegenzutre¬
ten
, es geradezu zu verletzen, ja zu vernichten.
Daß das Bewußte jedoch sich in so weit der Macht des
Unbewußten entziehen, in so weit sich geradezu in Oppo¬
sition zu ihm stellen kann, dazu gehört durchaus die Ent¬
wicklung der vollen Freiheit des Selbstbewußtseins,
und darum ist also einzig und allein der zum Selbstbe¬
wußtsein gereifte Mensch des Selbstmordes fähig. 1
Es liegt hierin ein außerordentlich merkwürdiges Verhält¬
niß. Nämlich keinesweges als sollte der Selbstmord wirk¬
lich und nothwendig geübt werden, aber daß die Möglich¬
keit da sei, daß das Leben, diese Schöpfung zuerst doch
nur des Unbewußten aufgehoben werden könne wenn hin¬
reichende
Gründe dafür vorhanden sind, damit ist erst
jene Nothwendigkeit, jener Zwang, welche recht eigentlich
das Zeichen und der Bereich des Unbewußten sind, gebro¬
chen und gänzlich aufgehoben -- und damit erst ist sonach
auch erst die unbedingte Freiheit des Bewußtseins völlig
hergestellt. -- Das ist es worauf in jenen großen Worten
Shakespeare's gedeutet wird:

1 Es ist ein völliges Mißverstehen, wenn man von einigen Thieren
gesagt hat, auch sie seien des Selbstmordes fähig; wenn z. B. die ge¬
quälte Klapperschlange um sich beißt und sich selbst mit beißt und am
eignen Gifte stirbt, so ist dies natürlich nicht mit der überlegten Selbst¬
tödtung des Menschen zu vergleichen.

und für ſich unbewußt vollzogen werde, damit es eben ſo
erſt die höchſte Leichtigkeit der Production begünſtige.“ Es
muß alſo auch die Lebenkunſt deßhalb nicht ein bloßes Be¬
rechnen und abſichtliches Bedenken bleiben, ſondern ſie muß
eben auch wieder zum Theil unbewußt werden, wenn ſie
den Namen der Kunſt wahrhaft verdienen und wirklich
die höchſten Reſultate gewähren ſoll.

Was die Möglichkeit der direkten Einwirkung des
Bewußten auf das Unbewußte betrifft, ſo beſchränkt ſie ſich
eigentlich im Weſentlichen auf die Möglichkeit dem Lebens¬
gange das Unbewußte und mit ihm dem Leben
überhaupt gewaltſam hemmend entgegenzutre¬
ten
, es geradezu zu verletzen, ja zu vernichten.
Daß das Bewußte jedoch ſich in ſo weit der Macht des
Unbewußten entziehen, in ſo weit ſich geradezu in Oppo¬
ſition zu ihm ſtellen kann, dazu gehört durchaus die Ent¬
wicklung der vollen Freiheit des Selbſtbewußtſeins,
und darum iſt alſo einzig und allein der zum Selbſtbe¬
wußtſein gereifte Menſch des Selbſtmordes fähig. 1
Es liegt hierin ein außerordentlich merkwürdiges Verhält¬
niß. Nämlich keinesweges als ſollte der Selbſtmord wirk¬
lich und nothwendig geübt werden, aber daß die Möglich¬
keit da ſei, daß das Leben, dieſe Schöpfung zuerſt doch
nur des Unbewußten aufgehoben werden könne wenn hin¬
reichende
Gründe dafür vorhanden ſind, damit iſt erſt
jene Nothwendigkeit, jener Zwang, welche recht eigentlich
das Zeichen und der Bereich des Unbewußten ſind, gebro¬
chen und gänzlich aufgehoben — und damit erſt iſt ſonach
auch erſt die unbedingte Freiheit des Bewußtſeins völlig
hergeſtellt. — Das iſt es worauf in jenen großen Worten
Shakespeare's gedeutet wird:

1 Es iſt ein völliges Mißverſtehen, wenn man von einigen Thieren
geſagt hat, auch ſie ſeien des Selbſtmordes fähig; wenn z. B. die ge¬
quälte Klapperſchlange um ſich beißt und ſich ſelbſt mit beißt und am
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[201/0217] und für ſich unbewußt vollzogen werde, damit es eben ſo erſt die höchſte Leichtigkeit der Production begünſtige.“ Es muß alſo auch die Lebenkunſt deßhalb nicht ein bloßes Be¬ rechnen und abſichtliches Bedenken bleiben, ſondern ſie muß eben auch wieder zum Theil unbewußt werden, wenn ſie den Namen der Kunſt wahrhaft verdienen und wirklich die höchſten Reſultate gewähren ſoll. Was die Möglichkeit der direkten Einwirkung des Bewußten auf das Unbewußte betrifft, ſo beſchränkt ſie ſich eigentlich im Weſentlichen auf die Möglichkeit dem Lebens¬ gange das Unbewußte und mit ihm dem Leben überhaupt gewaltſam hemmend entgegenzutre¬ ten, es geradezu zu verletzen, ja zu vernichten. Daß das Bewußte jedoch ſich in ſo weit der Macht des Unbewußten entziehen, in ſo weit ſich geradezu in Oppo¬ ſition zu ihm ſtellen kann, dazu gehört durchaus die Ent¬ wicklung der vollen Freiheit des Selbſtbewußtſeins, und darum iſt alſo einzig und allein der zum Selbſtbe¬ wußtſein gereifte Menſch des Selbſtmordes fähig. 1 Es liegt hierin ein außerordentlich merkwürdiges Verhält¬ niß. Nämlich keinesweges als ſollte der Selbſtmord wirk¬ lich und nothwendig geübt werden, aber daß die Möglich¬ keit da ſei, daß das Leben, dieſe Schöpfung zuerſt doch nur des Unbewußten aufgehoben werden könne wenn hin¬ reichende Gründe dafür vorhanden ſind, damit iſt erſt jene Nothwendigkeit, jener Zwang, welche recht eigentlich das Zeichen und der Bereich des Unbewußten ſind, gebro¬ chen und gänzlich aufgehoben — und damit erſt iſt ſonach auch erſt die unbedingte Freiheit des Bewußtſeins völlig hergeſtellt. — Das iſt es worauf in jenen großen Worten Shakespeare's gedeutet wird: 1 Es iſt ein völliges Mißverſtehen, wenn man von einigen Thieren geſagt hat, auch ſie ſeien des Selbſtmordes fähig; wenn z. B. die ge¬ quälte Klapperſchlange um ſich beißt und ſich ſelbſt mit beißt und am eignen Gifte ſtirbt, ſo iſt dies natürlich nicht mit der überlegten Selbſt¬ tödtung des Menſchen zu vergleichen.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/217>, abgerufen am 24.11.2024.