Bedingungen aufgehoben werden, ohne die Integrität des bewußten Seelenlebens zu stören.
Eine andre Frage ist es, ob man nachweisen könne daß gewisse Abtheilungen der Ursubstanz des Gehirns, gewissen Klassen von Vorstellungen oder gewissen Seiten, oder Strahlen des bewußten Seelenlebens über¬ haupt bestimmt seien? Hier wird die Untersuchung immer schwieriger, und was mit Bestimmtheit allein sich nachwei¬ sen läßt, ist etwa Folgendes:
Obwohl wir wissen, daß die lebendige von Innerva¬ tion durchdrungene Bläschenmasse des Hirns die organische Bedingung der bleibenden Vorstellungen alles bewußten Seelenlebens eben so bestimmt darstellt, als etwa die Ner¬ venmasse der Netzhaut des Auges die organische Bedingung enthält für die Gesichtsvorstellung, so können doch irgend besondere örtliche Verhältnisse und Beziehungen zwischen gewissen Vorstellungen und gewissen Lagerungen von Bläs¬ chensubstanz eben so wenig nachgewiesen werden, als man etwa in der Netzhaut einzelne mikroskopische Partien für roth, andere für blau, u. s. w. nachzuweisen im Stande ist. Wir haben wirklich hier keinen Maßstab, keine Regel, keine Analogie mehr, die uns leiten könnte solche Verhältnisse auszufinden als eben jenes Verhältniß der Sinneswahr¬ nehmung zur weichen halbflüssigen Ausbreitung der ner¬ vosen Substanz der Sinnesnerven. So ungeheuer also die Kluft ist, welche nach unserm Erkennen dazwischen liegt, wenn wir verbinden sollen die weite Welt der Gesichts¬ wahrnehmungen, welche wir zu jeder Stunde in unserm Auge erfahren, mit der kleinen grauweichen Stelle der Nervenhaut des Auges, an welcher alle diese unendlichen Spiegelungen Statt finden, eben so groß ist die Kluft welche für uns dazwischen liegt, wenn wir die noch viel weitere Welt unsers Geistes in Verbindung bringen sollen mit der weichen sonderbar geformten Nervensubstanz des Gehirns. Daß sie da sei, müssen wir anerkennen, wie
Bedingungen aufgehoben werden, ohne die Integrität des bewußten Seelenlebens zu ſtören.
Eine andre Frage iſt es, ob man nachweiſen könne daß gewiſſe Abtheilungen der Urſubſtanz des Gehirns, gewiſſen Klaſſen von Vorſtellungen oder gewiſſen Seiten, oder Strahlen des bewußten Seelenlebens über¬ haupt beſtimmt ſeien? Hier wird die Unterſuchung immer ſchwieriger, und was mit Beſtimmtheit allein ſich nachwei¬ ſen läßt, iſt etwa Folgendes:
Obwohl wir wiſſen, daß die lebendige von Innerva¬ tion durchdrungene Bläschenmaſſe des Hirns die organiſche Bedingung der bleibenden Vorſtellungen alles bewußten Seelenlebens eben ſo beſtimmt darſtellt, als etwa die Ner¬ venmaſſe der Netzhaut des Auges die organiſche Bedingung enthält für die Geſichtsvorſtellung, ſo können doch irgend beſondere örtliche Verhältniſſe und Beziehungen zwiſchen gewiſſen Vorſtellungen und gewiſſen Lagerungen von Bläs¬ chenſubſtanz eben ſo wenig nachgewieſen werden, als man etwa in der Netzhaut einzelne mikroſkopiſche Partien für roth, andere für blau, u. ſ. w. nachzuweiſen im Stande iſt. Wir haben wirklich hier keinen Maßſtab, keine Regel, keine Analogie mehr, die uns leiten könnte ſolche Verhältniſſe auszufinden als eben jenes Verhältniß der Sinneswahr¬ nehmung zur weichen halbflüſſigen Ausbreitung der ner¬ voſen Subſtanz der Sinnesnerven. So ungeheuer alſo die Kluft iſt, welche nach unſerm Erkennen dazwiſchen liegt, wenn wir verbinden ſollen die weite Welt der Geſichts¬ wahrnehmungen, welche wir zu jeder Stunde in unſerm Auge erfahren, mit der kleinen grauweichen Stelle der Nervenhaut des Auges, an welcher alle dieſe unendlichen Spiegelungen Statt finden, eben ſo groß iſt die Kluft welche für uns dazwiſchen liegt, wenn wir die noch viel weitere Welt unſers Geiſtes in Verbindung bringen ſollen mit der weichen ſonderbar geformten Nervenſubſtanz des Gehirns. Daß ſie da ſei, müſſen wir anerkennen, wie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0198"n="182"/>
Bedingungen aufgehoben werden, ohne die Integrität des<lb/>
bewußten Seelenlebens zu ſtören.</p><lb/><p>Eine andre Frage iſt es, ob man nachweiſen könne<lb/>
daß <hirendition="#g">gewiſſe Abtheilungen</hi> der Urſubſtanz des Gehirns,<lb/><hirendition="#g">gewiſſen</hi> Klaſſen von Vorſtellungen oder <hirendition="#g">gewiſſen</hi><lb/>
Seiten, oder Strahlen des bewußten Seelenlebens über¬<lb/>
haupt beſtimmt ſeien? Hier wird die Unterſuchung immer<lb/>ſchwieriger, und was mit Beſtimmtheit allein ſich nachwei¬<lb/>ſen läßt, iſt etwa Folgendes:</p><lb/><p>Obwohl wir wiſſen, daß die lebendige von Innerva¬<lb/>
tion durchdrungene Bläschenmaſſe des Hirns die organiſche<lb/>
Bedingung der bleibenden Vorſtellungen alles bewußten<lb/>
Seelenlebens eben ſo beſtimmt darſtellt, als etwa die Ner¬<lb/>
venmaſſe der Netzhaut des Auges die organiſche Bedingung<lb/>
enthält für die Geſichtsvorſtellung, ſo können doch irgend<lb/>
beſondere <hirendition="#g">örtliche</hi> Verhältniſſe und Beziehungen zwiſchen<lb/>
gewiſſen Vorſtellungen und gewiſſen Lagerungen von Bläs¬<lb/>
chenſubſtanz eben ſo wenig nachgewieſen werden, als man<lb/>
etwa in der Netzhaut einzelne mikroſkopiſche Partien für<lb/>
roth, andere für blau, u. ſ. w. nachzuweiſen im Stande<lb/>
iſt. Wir haben wirklich hier keinen Maßſtab, keine Regel,<lb/>
keine Analogie mehr, die uns leiten könnte ſolche Verhältniſſe<lb/>
auszufinden als eben jenes Verhältniß der Sinneswahr¬<lb/>
nehmung zur weichen halbflüſſigen Ausbreitung der ner¬<lb/>
voſen Subſtanz der Sinnesnerven. So ungeheuer alſo die<lb/>
Kluft iſt, welche nach unſerm Erkennen dazwiſchen liegt,<lb/>
wenn wir verbinden ſollen die weite Welt der Geſichts¬<lb/>
wahrnehmungen, welche wir zu jeder Stunde in unſerm<lb/>
Auge erfahren, mit der kleinen grauweichen Stelle der<lb/>
Nervenhaut des Auges, an welcher alle dieſe unendlichen<lb/>
Spiegelungen Statt finden, eben ſo groß iſt die Kluft<lb/>
welche für uns dazwiſchen liegt, wenn wir die noch viel<lb/>
weitere Welt unſers Geiſtes in Verbindung bringen ſollen<lb/>
mit der weichen ſonderbar geformten Nervenſubſtanz des<lb/>
Gehirns. Daß ſie da ſei, müſſen wir anerkennen, <hirendition="#g">wie</hi><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[182/0198]
Bedingungen aufgehoben werden, ohne die Integrität des
bewußten Seelenlebens zu ſtören.
Eine andre Frage iſt es, ob man nachweiſen könne
daß gewiſſe Abtheilungen der Urſubſtanz des Gehirns,
gewiſſen Klaſſen von Vorſtellungen oder gewiſſen
Seiten, oder Strahlen des bewußten Seelenlebens über¬
haupt beſtimmt ſeien? Hier wird die Unterſuchung immer
ſchwieriger, und was mit Beſtimmtheit allein ſich nachwei¬
ſen läßt, iſt etwa Folgendes:
Obwohl wir wiſſen, daß die lebendige von Innerva¬
tion durchdrungene Bläschenmaſſe des Hirns die organiſche
Bedingung der bleibenden Vorſtellungen alles bewußten
Seelenlebens eben ſo beſtimmt darſtellt, als etwa die Ner¬
venmaſſe der Netzhaut des Auges die organiſche Bedingung
enthält für die Geſichtsvorſtellung, ſo können doch irgend
beſondere örtliche Verhältniſſe und Beziehungen zwiſchen
gewiſſen Vorſtellungen und gewiſſen Lagerungen von Bläs¬
chenſubſtanz eben ſo wenig nachgewieſen werden, als man
etwa in der Netzhaut einzelne mikroſkopiſche Partien für
roth, andere für blau, u. ſ. w. nachzuweiſen im Stande
iſt. Wir haben wirklich hier keinen Maßſtab, keine Regel,
keine Analogie mehr, die uns leiten könnte ſolche Verhältniſſe
auszufinden als eben jenes Verhältniß der Sinneswahr¬
nehmung zur weichen halbflüſſigen Ausbreitung der ner¬
voſen Subſtanz der Sinnesnerven. So ungeheuer alſo die
Kluft iſt, welche nach unſerm Erkennen dazwiſchen liegt,
wenn wir verbinden ſollen die weite Welt der Geſichts¬
wahrnehmungen, welche wir zu jeder Stunde in unſerm
Auge erfahren, mit der kleinen grauweichen Stelle der
Nervenhaut des Auges, an welcher alle dieſe unendlichen
Spiegelungen Statt finden, eben ſo groß iſt die Kluft
welche für uns dazwiſchen liegt, wenn wir die noch viel
weitere Welt unſers Geiſtes in Verbindung bringen ſollen
mit der weichen ſonderbar geformten Nervenſubſtanz des
Gehirns. Daß ſie da ſei, müſſen wir anerkennen, wie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/198>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.