Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeines aber wohl als ein Partielles, immer im Stillen
in uns fort und ist immer noch die erste Bedingung unserer
gesammten Lebenserscheinung. Die frühern Betrachtungen
haben uns gezeigt, wie Alles was wir Ernährung, Wachs¬
thum, Fortbildung nennen, nur besondere Strahlen sind,
in welchen jenes Unbewußte sich bethätigt, und wenn sich
jetzt von selbst ergibt, daß sonach auch diejenigen Bildungen,
welche wir insbesondere als Bedingung des erwachenden
Bewußtseins erkannten, d. i. das Nervensystem und Gehirn,
gleich allem andern, nur durch dieses unbewußte Walten
der Idee in ihrer Integrität erhalten würden, so folgt
schon daraus, wie sehr überhaupt Alles was wir bewußtes
Seelenleben nennen dürfen, ganz wesentlich als durch das
Unbewußte bedingt anzusehen ist.

Es wird nun aber eigentlich an die Wissenschaft die
Aufgabe gestellt, nicht bloß im Allgemeinen jene Bedingung
anzuerkennen, sondern scharf im Einzelnen nachzuweisen durch
welche Vorgänge auf der unbewußten Seite des Lebens die
besondern Vorgänge des Bewußtseins sich namentlich be¬
dingt finden, oder mit andern Worten, welche physische
Processe jenen psychischen Strahlungen eben so zum Grunde
liegen, wie wir etwa von der Gesichtsempfindung nachzu¬
weisen im Stande sind, daß es nur höchst feine Umstim¬
mungen im Stande der Innervation eines kleinen Theils
der Netzhaut des Auges seien, wodurch die Vorstellung
des Sehens bedingt werde. Diesen Anforderungen kann
indeß bis jetzt die Wissenschaft nur in einem gewissen be¬
schränkten Maße nachkommen, und es ist sehr die Frage,
ob überhaupt hier jemals eine so vollkommne Schärfe er¬
reicht werden wird, wie sie in andern Zweigen der Physio¬
logie allerdings möglich ist. Jenes früher schon erwähnte
Gesetz des Geheimnisses, gerade für die höchsten
Aufgaben des Lebens, macht sich in diesem Bereiche ganz
besonders geltend; was davon bis jetzt sich mit größerer
Bestimmtheit hat feststellen lassen, möchte Folgendes sein.

Allgemeines aber wohl als ein Partielles, immer im Stillen
in uns fort und iſt immer noch die erſte Bedingung unſerer
geſammten Lebenserſcheinung. Die frühern Betrachtungen
haben uns gezeigt, wie Alles was wir Ernährung, Wachs¬
thum, Fortbildung nennen, nur beſondere Strahlen ſind,
in welchen jenes Unbewußte ſich bethätigt, und wenn ſich
jetzt von ſelbſt ergibt, daß ſonach auch diejenigen Bildungen,
welche wir insbeſondere als Bedingung des erwachenden
Bewußtſeins erkannten, d. i. das Nervenſyſtem und Gehirn,
gleich allem andern, nur durch dieſes unbewußte Walten
der Idee in ihrer Integrität erhalten würden, ſo folgt
ſchon daraus, wie ſehr überhaupt Alles was wir bewußtes
Seelenleben nennen dürfen, ganz weſentlich als durch das
Unbewußte bedingt anzuſehen iſt.

Es wird nun aber eigentlich an die Wiſſenſchaft die
Aufgabe geſtellt, nicht bloß im Allgemeinen jene Bedingung
anzuerkennen, ſondern ſcharf im Einzelnen nachzuweiſen durch
welche Vorgänge auf der unbewußten Seite des Lebens die
beſondern Vorgänge des Bewußtſeins ſich namentlich be¬
dingt finden, oder mit andern Worten, welche phyſiſche
Proceſſe jenen pſychiſchen Strahlungen eben ſo zum Grunde
liegen, wie wir etwa von der Geſichtsempfindung nachzu¬
weiſen im Stande ſind, daß es nur höchſt feine Umſtim¬
mungen im Stande der Innervation eines kleinen Theils
der Netzhaut des Auges ſeien, wodurch die Vorſtellung
des Sehens bedingt werde. Dieſen Anforderungen kann
indeß bis jetzt die Wiſſenſchaft nur in einem gewiſſen be¬
ſchränkten Maße nachkommen, und es iſt ſehr die Frage,
ob überhaupt hier jemals eine ſo vollkommne Schärfe er¬
reicht werden wird, wie ſie in andern Zweigen der Phyſio¬
logie allerdings möglich iſt. Jenes früher ſchon erwähnte
Geſetz des Geheimniſſes, gerade für die höchſten
Aufgaben des Lebens, macht ſich in dieſem Bereiche ganz
beſonders geltend; was davon bis jetzt ſich mit größerer
Beſtimmtheit hat feſtſtellen laſſen, möchte Folgendes ſein.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0190" n="174"/>
Allgemeines aber wohl als ein Partielles, immer im Stillen<lb/>
in uns fort und i&#x017F;t immer noch die er&#x017F;te Bedingung un&#x017F;erer<lb/>
ge&#x017F;ammten Lebenser&#x017F;cheinung. Die frühern Betrachtungen<lb/>
haben uns gezeigt, wie Alles was wir Ernährung, Wachs¬<lb/>
thum, Fortbildung nennen, nur be&#x017F;ondere Strahlen &#x017F;ind,<lb/>
in welchen jenes Unbewußte &#x017F;ich bethätigt, und wenn &#x017F;ich<lb/>
jetzt von &#x017F;elb&#x017F;t ergibt, daß &#x017F;onach auch diejenigen Bildungen,<lb/>
welche wir insbe&#x017F;ondere als Bedingung des erwachenden<lb/>
Bewußt&#x017F;eins erkannten, d. i. das Nerven&#x017F;y&#x017F;tem und Gehirn,<lb/>
gleich allem andern, nur durch die&#x017F;es unbewußte Walten<lb/>
der Idee in ihrer Integrität erhalten würden, &#x017F;o folgt<lb/>
&#x017F;chon daraus, wie &#x017F;ehr überhaupt Alles was wir bewußtes<lb/>
Seelenleben nennen dürfen, ganz we&#x017F;entlich als durch das<lb/>
Unbewußte bedingt anzu&#x017F;ehen i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Es wird nun aber eigentlich an die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft die<lb/>
Aufgabe ge&#x017F;tellt, nicht bloß im Allgemeinen jene Bedingung<lb/>
anzuerkennen, &#x017F;ondern &#x017F;charf im Einzelnen nachzuwei&#x017F;en durch<lb/>
welche Vorgänge auf der unbewußten Seite des Lebens die<lb/>
be&#x017F;ondern Vorgänge des Bewußt&#x017F;eins &#x017F;ich namentlich be¬<lb/>
dingt finden, oder mit andern Worten, welche phy&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Proce&#x017F;&#x017F;e jenen p&#x017F;ychi&#x017F;chen Strahlungen eben &#x017F;o zum Grunde<lb/>
liegen, wie wir etwa von der Ge&#x017F;ichtsempfindung nachzu¬<lb/>
wei&#x017F;en im Stande &#x017F;ind, daß es nur höch&#x017F;t feine Um&#x017F;tim¬<lb/>
mungen im Stande der Innervation eines kleinen Theils<lb/>
der Netzhaut des Auges &#x017F;eien, wodurch die Vor&#x017F;tellung<lb/>
des Sehens bedingt werde. Die&#x017F;en Anforderungen kann<lb/>
indeß bis jetzt die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft nur in einem gewi&#x017F;&#x017F;en be¬<lb/>
&#x017F;chränkten Maße nachkommen, und es i&#x017F;t &#x017F;ehr die Frage,<lb/>
ob überhaupt hier jemals eine &#x017F;o vollkommne Schärfe er¬<lb/>
reicht werden wird, wie &#x017F;ie in andern Zweigen der Phy&#x017F;io¬<lb/>
logie allerdings möglich i&#x017F;t. Jenes früher &#x017F;chon erwähnte<lb/><hi rendition="#g">Ge&#x017F;etz des Geheimni&#x017F;&#x017F;es</hi>, gerade für die höch&#x017F;ten<lb/>
Aufgaben des Lebens, macht &#x017F;ich in die&#x017F;em Bereiche ganz<lb/>
be&#x017F;onders geltend; was davon bis jetzt &#x017F;ich mit größerer<lb/>
Be&#x017F;timmtheit hat fe&#x017F;t&#x017F;tellen la&#x017F;&#x017F;en, möchte Folgendes &#x017F;ein.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0190] Allgemeines aber wohl als ein Partielles, immer im Stillen in uns fort und iſt immer noch die erſte Bedingung unſerer geſammten Lebenserſcheinung. Die frühern Betrachtungen haben uns gezeigt, wie Alles was wir Ernährung, Wachs¬ thum, Fortbildung nennen, nur beſondere Strahlen ſind, in welchen jenes Unbewußte ſich bethätigt, und wenn ſich jetzt von ſelbſt ergibt, daß ſonach auch diejenigen Bildungen, welche wir insbeſondere als Bedingung des erwachenden Bewußtſeins erkannten, d. i. das Nervenſyſtem und Gehirn, gleich allem andern, nur durch dieſes unbewußte Walten der Idee in ihrer Integrität erhalten würden, ſo folgt ſchon daraus, wie ſehr überhaupt Alles was wir bewußtes Seelenleben nennen dürfen, ganz weſentlich als durch das Unbewußte bedingt anzuſehen iſt. Es wird nun aber eigentlich an die Wiſſenſchaft die Aufgabe geſtellt, nicht bloß im Allgemeinen jene Bedingung anzuerkennen, ſondern ſcharf im Einzelnen nachzuweiſen durch welche Vorgänge auf der unbewußten Seite des Lebens die beſondern Vorgänge des Bewußtſeins ſich namentlich be¬ dingt finden, oder mit andern Worten, welche phyſiſche Proceſſe jenen pſychiſchen Strahlungen eben ſo zum Grunde liegen, wie wir etwa von der Geſichtsempfindung nachzu¬ weiſen im Stande ſind, daß es nur höchſt feine Umſtim¬ mungen im Stande der Innervation eines kleinen Theils der Netzhaut des Auges ſeien, wodurch die Vorſtellung des Sehens bedingt werde. Dieſen Anforderungen kann indeß bis jetzt die Wiſſenſchaft nur in einem gewiſſen be¬ ſchränkten Maße nachkommen, und es iſt ſehr die Frage, ob überhaupt hier jemals eine ſo vollkommne Schärfe er¬ reicht werden wird, wie ſie in andern Zweigen der Phyſio¬ logie allerdings möglich iſt. Jenes früher ſchon erwähnte Geſetz des Geheimniſſes, gerade für die höchſten Aufgaben des Lebens, macht ſich in dieſem Bereiche ganz beſonders geltend; was davon bis jetzt ſich mit größerer Beſtimmtheit hat feſtſtellen laſſen, möchte Folgendes ſein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/190
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/190>, abgerufen am 03.12.2024.