ist ein Ursprüngliches, Ewiges, Göttliches, und kann als solches nie ganz vollständig vom Vorstellungsleben der Seele umfaßt oder begriffen, sondern nur erfaßt oder vernom¬ men werden. Die Seele muß aber schon auf mächtige Weise sich entwickelt haben, wenn sie des Vernehmens der Idee fähig sein soll; die Thierseele kann es nie. Auch die Menschenseele, obwohl sie ihrer innern ewigen Wesenheit nach, auch im unentwickelten Zustande bereits eine andere und höhere ist als die Thierseele, wird erst, nachdem sie die Stufenfolge des Verstandes und der Phantasie durch¬ gangen ist, dieses "Vernehmens" (wir pflegen es hier wohl auch ein "Schauen" zu nennen) fähig. Erst auf dieser höhern Stufe geht ihr auf, daß die Idee nicht nur eben so gewiß, ja noch weit gewisser eine Wahrheit sei als eine unmittelbare Sinnesvorstellung, oder der aus solcher ab¬ strahirte Begriff, und eben darum auch vermag sie erst auf dieser Stufe die Idee ihres eignen Seins im höhern Selbst¬ bewußtsein, und die eines höchsten Urquells aller Idee im Gottbewußtsein zu vernehmen. Dieses Vernehmen, dieses vernünftige Schauen, tritt auch als ein Wunder im Geiste hervor, wie der Geist selbst als ein Wunder im Seelen¬ leben erscheint, und wir vermögen oft mit ziemlicher Be¬ stimmtheit den Zeitpunkt in der Entwicklung unsers Geistes anzugeben, in welchem uns zum ersten Male die Idee in ihrer Ewigkeit und Wahrheit gegenständlich erschienen war. Ja wir würden sogar über diesen Zeitpunkt mit größerer Bestimmtheit uns aussprechen können, wenn nicht dem Menschen, eben der höhern Energie seiner Seele wegen, dieses Besitzthum so ganz und ursprünglich und eigenthüm¬ lich angehörte, daß selbst dann, wenn er des Ergreifens desselben noch lange nicht mit vollkommner Klarheit fähig ist, doch die Möglichkeit dieses Besitzes und dieses Schauens ihn immerfort, wie ein nur halb verhülltes Geheimniß, umschwebte.
Es verhält sich hiemit wie mit der Hoheit der mensch¬
iſt ein Urſprüngliches, Ewiges, Göttliches, und kann als ſolches nie ganz vollſtändig vom Vorſtellungsleben der Seele umfaßt oder begriffen, ſondern nur erfaßt oder vernom¬ men werden. Die Seele muß aber ſchon auf mächtige Weiſe ſich entwickelt haben, wenn ſie des Vernehmens der Idee fähig ſein ſoll; die Thierſeele kann es nie. Auch die Menſchenſeele, obwohl ſie ihrer innern ewigen Weſenheit nach, auch im unentwickelten Zuſtande bereits eine andere und höhere iſt als die Thierſeele, wird erſt, nachdem ſie die Stufenfolge des Verſtandes und der Phantaſie durch¬ gangen iſt, dieſes „Vernehmens“ (wir pflegen es hier wohl auch ein „Schauen“ zu nennen) fähig. Erſt auf dieſer höhern Stufe geht ihr auf, daß die Idee nicht nur eben ſo gewiß, ja noch weit gewiſſer eine Wahrheit ſei als eine unmittelbare Sinnesvorſtellung, oder der aus ſolcher ab¬ ſtrahirte Begriff, und eben darum auch vermag ſie erſt auf dieſer Stufe die Idee ihres eignen Seins im höhern Selbſt¬ bewußtſein, und die eines höchſten Urquells aller Idee im Gottbewußtſein zu vernehmen. Dieſes Vernehmen, dieſes vernünftige Schauen, tritt auch als ein Wunder im Geiſte hervor, wie der Geiſt ſelbſt als ein Wunder im Seelen¬ leben erſcheint, und wir vermögen oft mit ziemlicher Be¬ ſtimmtheit den Zeitpunkt in der Entwicklung unſers Geiſtes anzugeben, in welchem uns zum erſten Male die Idee in ihrer Ewigkeit und Wahrheit gegenſtändlich erſchienen war. Ja wir würden ſogar über dieſen Zeitpunkt mit größerer Beſtimmtheit uns ausſprechen können, wenn nicht dem Menſchen, eben der höhern Energie ſeiner Seele wegen, dieſes Beſitzthum ſo ganz und urſprünglich und eigenthüm¬ lich angehörte, daß ſelbſt dann, wenn er des Ergreifens deſſelben noch lange nicht mit vollkommner Klarheit fähig iſt, doch die Möglichkeit dieſes Beſitzes und dieſes Schauens ihn immerfort, wie ein nur halb verhülltes Geheimniß, umſchwebte.
Es verhält ſich hiemit wie mit der Hoheit der menſch¬
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iſt ein Urſprüngliches, Ewiges, Göttliches, und kann als
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umfaßt oder begriffen, ſondern nur erfaßt oder vernom¬
men werden. Die Seele muß aber ſchon auf mächtige
Weiſe ſich entwickelt haben, wenn ſie des Vernehmens der
Idee fähig ſein ſoll; die Thierſeele kann es nie. Auch die
Menſchenſeele, obwohl ſie ihrer innern ewigen Weſenheit
nach, auch im unentwickelten Zuſtande bereits eine andere
und höhere iſt als die Thierſeele, wird erſt, nachdem ſie
die Stufenfolge des Verſtandes und der Phantaſie durch¬
gangen iſt, dieſes „Vernehmens“ (wir pflegen es hier wohl
auch ein „Schauen“ zu nennen) fähig. Erſt auf dieſer
höhern Stufe geht ihr auf, daß die Idee nicht nur eben
ſo gewiß, ja noch weit gewiſſer eine Wahrheit ſei als eine
unmittelbare Sinnesvorſtellung, oder der aus ſolcher ab¬
ſtrahirte Begriff, und eben darum auch vermag ſie erſt auf
dieſer Stufe die Idee ihres eignen Seins im höhern Selbſt¬
bewußtſein, und die eines höchſten Urquells aller Idee im
Gottbewußtſein zu vernehmen. Dieſes Vernehmen, dieſes
vernünftige Schauen, tritt auch als ein Wunder im Geiſte
hervor, wie der Geiſt ſelbſt als ein Wunder im Seelen¬
leben erſcheint, und wir vermögen oft mit ziemlicher Be¬
ſtimmtheit den Zeitpunkt in der Entwicklung unſers Geiſtes
anzugeben, in welchem uns zum erſten Male die Idee in
ihrer Ewigkeit und Wahrheit gegenſtändlich erſchienen war.
Ja wir würden ſogar über dieſen Zeitpunkt mit größerer
Beſtimmtheit uns ausſprechen können, wenn nicht dem
Menſchen, eben der höhern Energie ſeiner Seele wegen,
dieſes Beſitzthum ſo ganz und urſprünglich und eigenthüm¬
lich angehörte, daß ſelbſt dann, wenn er des Ergreifens
deſſelben noch lange nicht mit vollkommner Klarheit fähig
iſt, doch die Möglichkeit dieſes Beſitzes und dieſes Schauens
ihn immerfort, wie ein nur halb verhülltes Geheimniß,
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/186>, abgerufen am 24.11.2024.
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