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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Die ersten Andeutungen des Geistes, wie wir sie bei
den Vögeln in der Fähigkeit zum Verstehen der mensch¬
lichen Stimme, zur Unterscheidung verschiedner Personen,
zum Nachahmen fremder Laute, zum Erlernen einiger ihnen
von Natur fremden Bewegungen antreffen, schließen noch
nicht alle jene mit Nothwendigkeit geforderten unbewußten
Kunsttriebe und Zeichen einer gewissen, so zu sagen, un¬
bewußten Intelligenz aus. Anders verhält es sich dagegen
in den höhern mehr durchgebildeten Ordnungen der Säuge¬
thiere, den Pachydermen (Elephant und Pferd), den Wieder¬
käuern (Lama und Schaf), den reißenden Thieren (Hund)
und in den Vierhändern (Affe). Hier pflegen die Zeichen
jener höhern Offenbarungen des unbewußten Lebens ganz
zu verschwinden, und es treten dagegen die Zeichen eines
beginnenden selbstbewußten Lebens hervor in dem oft so
deutlichen Ueberlegen und Wählen zwischen zwei Gegenstän¬
den, in der so merkwürdigen Bildsamkeit ihres Seelen¬
lebens durch den Menschen, in dem so deutlichen Gedächt¬
niß, in der bestimmten Anhänglichkeit an ein andres In¬
dividuum, und in den so wichtigen Merkmalen einer beson¬
dern ausgeprägten Individualität jedes einzelnen Thieres
derselben Art.

Bei dem Allen bleibt das Thier, auch das vollkom¬
menste, im Geistigen ein Kind; es erreicht nie Das, was
ich oben die geistige Pubertät nannte, geschweige denn
daß irgend von geistiger Productivität sollte die
Rede sein können. Hiebei ist aber auf eine merkwürdige
Compensation aufmerksam zu machen. Das Thier nämlich
würde offenbar bei dieser geringen Entwicklung des Geistes,
in vieler Beziehung in Erreichung seiner Lebenszwecke ge¬
fährdet sein, gäbe nicht gerade das Vorherrschen des Un¬
bewußten in ihm einen wesentlichen Ersatz. Wir haben
nämlich oben bemerklich gemacht, es liege im Unbewußten
eine gewisse Allgemeinheit des Daseins, es sei von tausend
Regungen der Welt durchdrungen die dem bewußten Geiste

Die erſten Andeutungen des Geiſtes, wie wir ſie bei
den Vögeln in der Fähigkeit zum Verſtehen der menſch¬
lichen Stimme, zur Unterſcheidung verſchiedner Perſonen,
zum Nachahmen fremder Laute, zum Erlernen einiger ihnen
von Natur fremden Bewegungen antreffen, ſchließen noch
nicht alle jene mit Nothwendigkeit geforderten unbewußten
Kunſttriebe und Zeichen einer gewiſſen, ſo zu ſagen, un¬
bewußten Intelligenz aus. Anders verhält es ſich dagegen
in den höhern mehr durchgebildeten Ordnungen der Säuge¬
thiere, den Pachydermen (Elephant und Pferd), den Wieder¬
käuern (Lama und Schaf), den reißenden Thieren (Hund)
und in den Vierhändern (Affe). Hier pflegen die Zeichen
jener höhern Offenbarungen des unbewußten Lebens ganz
zu verſchwinden, und es treten dagegen die Zeichen eines
beginnenden ſelbſtbewußten Lebens hervor in dem oft ſo
deutlichen Ueberlegen und Wählen zwiſchen zwei Gegenſtän¬
den, in der ſo merkwürdigen Bildſamkeit ihres Seelen¬
lebens durch den Menſchen, in dem ſo deutlichen Gedächt¬
niß, in der beſtimmten Anhänglichkeit an ein andres In¬
dividuum, und in den ſo wichtigen Merkmalen einer beſon¬
dern ausgeprägten Individualität jedes einzelnen Thieres
derſelben Art.

Bei dem Allen bleibt das Thier, auch das vollkom¬
menſte, im Geiſtigen ein Kind; es erreicht nie Das, was
ich oben die geiſtige Pubertät nannte, geſchweige denn
daß irgend von geiſtiger Productivität ſollte die
Rede ſein können. Hiebei iſt aber auf eine merkwürdige
Compenſation aufmerkſam zu machen. Das Thier nämlich
würde offenbar bei dieſer geringen Entwicklung des Geiſtes,
in vieler Beziehung in Erreichung ſeiner Lebenszwecke ge¬
fährdet ſein, gäbe nicht gerade das Vorherrſchen des Un¬
bewußten in ihm einen weſentlichen Erſatz. Wir haben
nämlich oben bemerklich gemacht, es liege im Unbewußten
eine gewiſſe Allgemeinheit des Daſeins, es ſei von tauſend
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[131/0147] Die erſten Andeutungen des Geiſtes, wie wir ſie bei den Vögeln in der Fähigkeit zum Verſtehen der menſch¬ lichen Stimme, zur Unterſcheidung verſchiedner Perſonen, zum Nachahmen fremder Laute, zum Erlernen einiger ihnen von Natur fremden Bewegungen antreffen, ſchließen noch nicht alle jene mit Nothwendigkeit geforderten unbewußten Kunſttriebe und Zeichen einer gewiſſen, ſo zu ſagen, un¬ bewußten Intelligenz aus. Anders verhält es ſich dagegen in den höhern mehr durchgebildeten Ordnungen der Säuge¬ thiere, den Pachydermen (Elephant und Pferd), den Wieder¬ käuern (Lama und Schaf), den reißenden Thieren (Hund) und in den Vierhändern (Affe). Hier pflegen die Zeichen jener höhern Offenbarungen des unbewußten Lebens ganz zu verſchwinden, und es treten dagegen die Zeichen eines beginnenden ſelbſtbewußten Lebens hervor in dem oft ſo deutlichen Ueberlegen und Wählen zwiſchen zwei Gegenſtän¬ den, in der ſo merkwürdigen Bildſamkeit ihres Seelen¬ lebens durch den Menſchen, in dem ſo deutlichen Gedächt¬ niß, in der beſtimmten Anhänglichkeit an ein andres In¬ dividuum, und in den ſo wichtigen Merkmalen einer beſon¬ dern ausgeprägten Individualität jedes einzelnen Thieres derſelben Art. Bei dem Allen bleibt das Thier, auch das vollkom¬ menſte, im Geiſtigen ein Kind; es erreicht nie Das, was ich oben die geiſtige Pubertät nannte, geſchweige denn daß irgend von geiſtiger Productivität ſollte die Rede ſein können. Hiebei iſt aber auf eine merkwürdige Compenſation aufmerkſam zu machen. Das Thier nämlich würde offenbar bei dieſer geringen Entwicklung des Geiſtes, in vieler Beziehung in Erreichung ſeiner Lebenszwecke ge¬ fährdet ſein, gäbe nicht gerade das Vorherrſchen des Un¬ bewußten in ihm einen weſentlichen Erſatz. Wir haben nämlich oben bemerklich gemacht, es liege im Unbewußten eine gewiſſe Allgemeinheit des Daſeins, es ſei von tauſend Regungen der Welt durchdrungen die dem bewußten Geiſte

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/147>, abgerufen am 22.11.2024.