Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.mehr geduldet werden soll; dagegen rechnen wir aber andern¬ 1 Erst auf diese Weise wird die Betrachtung des Höchsten und Gött¬
lichen jene Einfachheit und Natürlichkeit erhalten, welche einst Lichten¬ berg ahnete, indem er die merkwürdigen Worte schrieb: "Sollte es denn so ganz ausgemacht sein, daß unsere Vernunft von dem Uebersinnlichen gar nichts wissen könne? -- Sollte nicht der Mensch seine Ideen von Gott eben so zweckmäßig weben können, wie die Spinne ihr Netz zum Fliegenfang?" mehr geduldet werden ſoll; dagegen rechnen wir aber andern¬ 1 Erſt auf dieſe Weiſe wird die Betrachtung des Höchſten und Gött¬
lichen jene Einfachheit und Natürlichkeit erhalten, welche einſt Lichten¬ berg ahnete, indem er die merkwürdigen Worte ſchrieb: „Sollte es denn ſo ganz ausgemacht ſein, daß unſere Vernunft von dem Ueberſinnlichen gar nichts wiſſen könne? — Sollte nicht der Menſch ſeine Ideen von Gott eben ſo zweckmäßig weben können, wie die Spinne ihr Netz zum Fliegenfang?“ <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014" n="VI"/> mehr geduldet werden ſoll; dagegen rechnen wir aber andern¬<lb/> theils die Richtung für nicht minder verfehlt und verloren,<lb/> welche der klaren vollkommen bewußten Erwägung der Offen¬<lb/> barungen der Seele, nicht das ihr durchaus gebührende<lb/> Recht einräumen will und im Gefühl und der Ahnung eines<lb/> durchaus Unbegreiflichen allein die genügende Beſtimmung<lb/> des Forſchers ſuchen möchte. Das letzte iſt der Abweg Derer,<lb/> welche Myſtiker genannt werden, als von welchen es genüge<lb/><hi rendition="#g">Jakob Böhme</hi> genannt zu haben, dem bei einem wirklich<lb/> tiefen und ächten Gefühl, namentlich des Verhältniſſes der<lb/> Seele zu Gott, doch Alles abgeht, was eine höhere wiſſen¬<lb/> ſchaftliche, d. h. die zuletzt doch allein befriedigende Erkennt¬<lb/> niß fordern darf. In den erſten Abweg ſind viele unſerer<lb/> neuern Pſychologen aus <hi rendition="#g">Hegel's</hi> und <hi rendition="#g">Herbart's</hi> Schule<lb/> verfallen. — Nach meiner Ueberzeugung kann man nicht über<lb/> die Seele in rechtem Sinne verhandeln ohne dieſes Unbe¬<lb/> wußte und alſo auch dem trennenden abſondernden Verſtande<lb/> Unbekannte als indefiniſſabel, gleichſam als ein gegebenes <hi rendition="#aq">x</hi>,<lb/> mit in die Rechnung der Begriffe aufzunehmen<note place="foot" n="1">Erſt auf dieſe Weiſe wird die Betrachtung des Höchſten und Gött¬<lb/> lichen jene Einfachheit und Natürlichkeit erhalten, welche einſt <hi rendition="#g">Lichten¬<lb/> berg</hi> ahnete, indem er die merkwürdigen Worte ſchrieb: „Sollte es denn<lb/> ſo ganz ausgemacht ſein, daß unſere Vernunft von dem Ueberſinnlichen<lb/> gar nichts wiſſen könne? — Sollte nicht der Menſch ſeine Ideen von Gott<lb/> eben ſo zweckmäßig weben können, wie die Spinne ihr Netz zum Fliegenfang?“</note>, und eben<lb/> darum wird Niemand läugnen können, daß die Geſpräche eines<lb/><hi rendition="#g">Plato</hi>, welche immer auf dieſem Unbewußten und Myſteriöſen<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [VI/0014]
mehr geduldet werden ſoll; dagegen rechnen wir aber andern¬
theils die Richtung für nicht minder verfehlt und verloren,
welche der klaren vollkommen bewußten Erwägung der Offen¬
barungen der Seele, nicht das ihr durchaus gebührende
Recht einräumen will und im Gefühl und der Ahnung eines
durchaus Unbegreiflichen allein die genügende Beſtimmung
des Forſchers ſuchen möchte. Das letzte iſt der Abweg Derer,
welche Myſtiker genannt werden, als von welchen es genüge
Jakob Böhme genannt zu haben, dem bei einem wirklich
tiefen und ächten Gefühl, namentlich des Verhältniſſes der
Seele zu Gott, doch Alles abgeht, was eine höhere wiſſen¬
ſchaftliche, d. h. die zuletzt doch allein befriedigende Erkennt¬
niß fordern darf. In den erſten Abweg ſind viele unſerer
neuern Pſychologen aus Hegel's und Herbart's Schule
verfallen. — Nach meiner Ueberzeugung kann man nicht über
die Seele in rechtem Sinne verhandeln ohne dieſes Unbe¬
wußte und alſo auch dem trennenden abſondernden Verſtande
Unbekannte als indefiniſſabel, gleichſam als ein gegebenes x,
mit in die Rechnung der Begriffe aufzunehmen 1, und eben
darum wird Niemand läugnen können, daß die Geſpräche eines
Plato, welche immer auf dieſem Unbewußten und Myſteriöſen
1 Erſt auf dieſe Weiſe wird die Betrachtung des Höchſten und Gött¬
lichen jene Einfachheit und Natürlichkeit erhalten, welche einſt Lichten¬
berg ahnete, indem er die merkwürdigen Worte ſchrieb: „Sollte es denn
ſo ganz ausgemacht ſein, daß unſere Vernunft von dem Ueberſinnlichen
gar nichts wiſſen könne? — Sollte nicht der Menſch ſeine Ideen von Gott
eben ſo zweckmäßig weben können, wie die Spinne ihr Netz zum Fliegenfang?“
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