"Vor vier Jahren (erzählt Hr. Langenbeck) bekam ich Nachricht von dem Hrn. General-Chirurgus Kirchmeyer in Cassel, daß eine Frau in Cassel am Carcinoma uteri leide, und der ganze de- generirte Uterus vorgefallen sey, deßwegen er glaube, daß die Ex- stirpation sich gut machen lasse. Die Frau O., einige 50 Jahre alt, hatte schon lange an Schmerzen, Brennen und Stechen in der Gebärmutter gelitten; nach und nach war diese herunter getreten; es zeigte sich nun ein Abfluß übel riechender Jauche, wovon die Haut der benachbarten Theile wund ward. Die beym Carcinom charakteristischen, brennenden, stechenden Schmerzen nahmen so sehr zu, daß die Frau sehnlichst wünschte, durch eine Operation von ihrem Leiden befreyt zu werden. Bey meiner Untersuchung fand ich alles bestätigt. Die Portio vaginalis ragte etwas über die Labia maiora hinaus. Die Labia orificii uteri waren steinhart, das Ori- ficium roth und erulcerirt; aus dem Orificio floß Jauche; an den Labiis orificii zeigten sich Exulcerationen; durch die innere Wand der Vagina fühlte ich den Uterus steinhart, höckericht und sehr ver- größert. Das allgemeine Befinden war noch ziemlich gut, so daß ich die Exstirpation unternehmen konnte. Ich stimmte daher sogleich mit dem Hrn. General-Chirurgus Kirchmeyer für die Exstir- pation, die ich am folgenden Tage auf folgende Weise vornahm: Die Frau ward auf den Rand des Bettes gelegt, und beyde Füße auf Stühle gestellt. Ich setzte mich zwischen beyde Schenkel, prä- parirte mit einem Scalpell, mit Beyhülfe der Pincette, die hervor- getriebene Vagina von ihrer Verbindung mit dem Uterus ab, ohne jedoch die Vagina zu durchschneiden. Nun kam ich zu dem Theile des Uterus, der gleichsam, von vorn betrachtet, in das Perito- näum wie in ein Tuch hineingesteckt ist. Ich trennte ebenfalls sehr genau von der Substanz der Gebärmutter das Peritonäum, ohne es zu durchschneiden, weil sonst Gedärme hätten herausfallen können, und zog den Uterus immer weiter heraus. Diese Tren- nung setzte ich fort bis an den obern abgerundeten Rand des Fundus uteri, und schnitt nun den Uterus vom Peritonäo ab, wel- ches mir ganz gesund zu seyn schien. Es war dies folglich eine wahre Ausschälung des Uterus aus dem Bauchfelle, so daß dasselbe in Verbindung mit der Vagina, einen leeren Beutel bildete. Die Blutung war sehr stark, und mußte durch Unterbindung gestillt wer- den. Dies war das schwerste Geschäft, da der Hr. Gen. Chirurg. K., welcher zwar bey der Operation gegenwärtig war, mir dabey nicht helfen konnte, weil er am Podagra litt. Ich hielt daher die blutende Fläche mit der linken Hand fest, umstach sie mit Nadel und Faden, schlug mit den Fingern der rechten Hand die Schlinge,
„Vor vier Jahren (erzaͤhlt Hr. Langenbeck) bekam ich Nachricht von dem Hrn. General-Chirurgus Kirchmeyer in Caſſel, daß eine Frau in Caſſel am Carcinoma uteri leide, und der ganze de- generirte Uterus vorgefallen ſey, deßwegen er glaube, daß die Ex- ſtirpation ſich gut machen laſſe. Die Frau O., einige 50 Jahre alt, hatte ſchon lange an Schmerzen, Brennen und Stechen in der Gebaͤrmutter gelitten; nach und nach war dieſe herunter getreten; es zeigte ſich nun ein Abfluß uͤbel riechender Jauche, wovon die Haut der benachbarten Theile wund ward. Die beym Carcinom charakteriſtiſchen, brennenden, ſtechenden Schmerzen nahmen ſo ſehr zu, daß die Frau ſehnlichſt wuͤnſchte, durch eine Operation von ihrem Leiden befreyt zu werden. Bey meiner Unterſuchung fand ich alles beſtaͤtigt. Die Portio vaginalis ragte etwas uͤber die Labia maiora hinaus. Die Labia orificii uteri waren ſteinhart, das Ori- ficium roth und erulcerirt; aus dem Orificio floß Jauche; an den Labiis orificii zeigten ſich Exulcerationen; durch die innere Wand der Vagina fuͤhlte ich den Uterus ſteinhart, hoͤckericht und ſehr ver- groͤßert. Das allgemeine Befinden war noch ziemlich gut, ſo daß ich die Exſtirpation unternehmen konnte. Ich ſtimmte daher ſogleich mit dem Hrn. General-Chirurgus Kirchmeyer fuͤr die Exſtir- pation, die ich am folgenden Tage auf folgende Weiſe vornahm: Die Frau ward auf den Rand des Bettes gelegt, und beyde Fuͤße auf Stuͤhle geſtellt. Ich ſetzte mich zwiſchen beyde Schenkel, praͤ- parirte mit einem Scalpell, mit Beyhuͤlfe der Pincette, die hervor- getriebene Vagina von ihrer Verbindung mit dem Uterus ab, ohne jedoch die Vagina zu durchſchneiden. Nun kam ich zu dem Theile des Uterus, der gleichſam, von vorn betrachtet, in das Perito- naͤum wie in ein Tuch hineingeſteckt iſt. Ich trennte ebenfalls ſehr genau von der Subſtanz der Gebaͤrmutter das Peritonaͤum, ohne es zu durchſchneiden, weil ſonſt Gedaͤrme haͤtten herausfallen koͤnnen, und zog den Uterus immer weiter heraus. Dieſe Tren- nung ſetzte ich fort bis an den obern abgerundeten Rand des Fundus uteri, und ſchnitt nun den Uterus vom Peritonaͤo ab, wel- ches mir ganz geſund zu ſeyn ſchien. Es war dies folglich eine wahre Ausſchaͤlung des Uterus aus dem Bauchfelle, ſo daß daſſelbe in Verbindung mit der Vagina, einen leeren Beutel bildete. Die Blutung war ſehr ſtark, und mußte durch Unterbindung geſtillt wer- den. Dies war das ſchwerſte Geſchaͤft, da der Hr. Gen. Chirurg. K., welcher zwar bey der Operation gegenwaͤrtig war, mir dabey nicht helfen konnte, weil er am Podagra litt. Ich hielt daher die blutende Flaͤche mit der linken Hand feſt, umſtach ſie mit Nadel und Faden, ſchlug mit den Fingern der rechten Hand die Schlinge,
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„Vor vier Jahren (erzaͤhlt Hr. Langenbeck) bekam ich Nachricht
von dem Hrn. General-Chirurgus Kirchmeyer in Caſſel, daß
eine Frau in Caſſel am Carcinoma uteri leide, und der ganze de-
generirte Uterus vorgefallen ſey, deßwegen er glaube, daß die Ex-
ſtirpation ſich gut machen laſſe. Die Frau O., einige 50 Jahre
alt, hatte ſchon lange an Schmerzen, Brennen und Stechen in der
Gebaͤrmutter gelitten; nach und nach war dieſe herunter getreten;
es zeigte ſich nun ein Abfluß uͤbel riechender Jauche, wovon die
Haut der benachbarten Theile wund ward. Die beym Carcinom
charakteriſtiſchen, brennenden, ſtechenden Schmerzen nahmen ſo ſehr
zu, daß die Frau ſehnlichſt wuͤnſchte, durch eine Operation von
ihrem Leiden befreyt zu werden. Bey meiner Unterſuchung fand ich
alles beſtaͤtigt. Die Portio vaginalis ragte etwas uͤber die Labia
maiora hinaus. Die Labia orificii uteri waren ſteinhart, das Ori-
ficium roth und erulcerirt; aus dem Orificio floß Jauche; an den
Labiis orificii zeigten ſich Exulcerationen; durch die innere Wand
der Vagina fuͤhlte ich den Uterus ſteinhart, hoͤckericht und ſehr ver-
groͤßert. Das allgemeine Befinden war noch ziemlich gut, ſo daß
ich die Exſtirpation unternehmen konnte. Ich ſtimmte daher ſogleich
mit dem Hrn. General-Chirurgus Kirchmeyer fuͤr die Exſtir-
pation, die ich am folgenden Tage auf folgende Weiſe vornahm:
Die Frau ward auf den Rand des Bettes gelegt, und beyde Fuͤße
auf Stuͤhle geſtellt. Ich ſetzte mich zwiſchen beyde Schenkel, praͤ-
parirte mit einem Scalpell, mit Beyhuͤlfe der Pincette, die hervor-
getriebene Vagina von ihrer Verbindung mit dem Uterus ab, ohne
jedoch die Vagina zu durchſchneiden. Nun kam ich zu dem Theile
des Uterus, der gleichſam, von vorn betrachtet, in das Perito-
naͤum wie in ein Tuch hineingeſteckt iſt. Ich trennte ebenfalls ſehr
genau von der Subſtanz der Gebaͤrmutter das Peritonaͤum, ohne
es zu durchſchneiden, weil ſonſt Gedaͤrme haͤtten herausfallen
koͤnnen, und zog den Uterus immer weiter heraus. Dieſe Tren-
nung ſetzte ich fort bis an den obern abgerundeten Rand des
Fundus uteri, und ſchnitt nun den Uterus vom Peritonaͤo ab, wel-
ches mir ganz geſund zu ſeyn ſchien. Es war dies folglich eine
wahre Ausſchaͤlung des Uterus aus dem Bauchfelle, ſo daß daſſelbe
in Verbindung mit der Vagina, einen leeren Beutel bildete. Die
Blutung war ſehr ſtark, und mußte durch Unterbindung geſtillt wer-
den. Dies war das ſchwerſte Geſchaͤft, da der Hr. Gen. Chirurg.
K., welcher zwar bey der Operation gegenwaͤrtig war, mir dabey
nicht helfen konnte, weil er am Podagra litt. Ich hielt daher die
blutende Flaͤche mit der linken Hand feſt, umſtach ſie mit Nadel
und Faden, ſchlug mit den Fingern der rechten Hand die Schlinge,
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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/382>, abgerufen am 24.11.2024.
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