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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
Kjefe nebst der
Krim werden er-obert.
28.

Im nächstfolgenden Jahre riß derselbe, unter Anführung eben die-
ses Gjedükj Aehmed Paschas, Kjefe, den stärksten Platz in der Krim, den Ge-
H. 876.



J. C. 1471.nuesern aus den Händen, und brachte auf diese Weise die ganze tatarische Halb-
insel unter seine Botmäßigkeit. Hier traf er Mengjili Gjiraj an, einen Herrn
aus dem Geschlechte der kiptschakischen Fürsten 43, der nach einem langwierigen
[Spaltenumbruch]
43 kiptschakischen Fürsten] Die Kip-
tschaken sind ein seythisches Volk, nicht weit
von Jüßbegj, an den Grenzen der tschagatäi-
schen Tatarn, über der kaspischen See hin-
aus, ostwärts von derselben gelegen, aus
welcher Gegend die Türken und Tatarn ihren
Ursprung herführen. Es ist vielleicht dasje-
nige Land, das heutiges Tages in den Karten
das Königreich Thibet oder Türkjistan genen-
net wird.
44 Mengjili Gjiraj] Dieses war der
erste, der die krimische Tatarey mit ge-
wissen Bedingungen unter den Schutz des
oliosmanischen Reiches gegeben, nachdem er
dieselbe vorher seinem Bruder aus den Händen
gerissen hatte. Nach dem Berichte sowol der
türkischen als christlichen Geschichtschreiber,
war derselbe aus dem Geschlechte der Oli-
dschingjißen entsprossen. Die letztern aber mi-
schen eine solche Menge Fabeln darunter, daß
einer, der nur die mindeste Kenntniß von der
Geschichte dieses Volkes hat, bey Lesung ihrer
Nachrichten sich des Lachens nicht enthalten
kann, ungeachtet diese, wie sie vorgeben,
nach der schärfsten Untersuchung und Prüfung
abgefasset und uns übergeben sind. Vor al-
len andern verdienet Michalo Lithuanus, daß
ich seiner erwähne und mein Urtheil über ihn
ergehen lasse. Dieser gestehet zwar in seiner
Tatarey, auf der 296 Seite, daß der erste
Fürst in der Krim von dem olidschingjißischen
(oder, wie er es nach einer verderbten Aus-
sprache nennet, cyngisanischen) Geschlechte
entsprungen sey: er nennet aber denselben
[Spaltenumbruch]
(auf wessen Glauben, das weis niemand zu
sagen) Lothonus, und setzet dessen Nachkom-
men (193 S.) in Lithauen; führet auch eine
lange Reihe lithauischer Kaiser oder Chane
von demselben Geschlechte an. Der letzte
von ihnen war, nach dem Berichte dieses Ge-
schichtschreibers, Atschkjeraj (vielleicht Ha-
dschi Gjiraj), der zu Troki geboren und von
dem heiligen Withkrode abgeschicket worden,
sich der tatarischen Halbinsel zu bemächtigen.
Diesem, nachdem er zum Besitze des gedach-
ten Fürstenthums gelanget war, wurde ein
Sohn, Menglikjeraj (Mengjili Gjiraj) gebo-
ren. Dieser letzte hatte die Söhne, Mehem-
med Kjeraj, Sadet Kjeraj (Säadet Gjiraj),
Chas Kjeraj (vielleicht Schah Gjiraj), und
Sapkjeraj (vielleicht Sefaj Gjiraj): dieser,
als der jüngste von allen, folgte dem Vater
in dem Königreiche nach, und war zu gleicher
Zeit Fürst der Tatarn. Denn alle die Nach-
kommen aus diesem Geschlechte bedienen sich
nunmehr, als Fürsten, des edlen Zunamens,
den sie von ihren Vorfahrern angenommen
haben, nämlich Atschkjeraj. Die Falschheit
dieser Erzählung erfordert, wie ich glaube,
keine lange Ausführung, um sie zu beweisen:
denn sie enthält solche offenbare Widersprüche,
daß es gleich bey dem ersten Ansehen in die
Augen fället, es habe dieselbe nicht den minde-
sten Grund in den alten Urkunden oder Zeug-
nissen der Tatarn, sondern sey eine bloße Muth-
maßung des Geschichtschreibers. Denn nicht
zu gedenken, daß die türkischen Geschichtschrei-
ber nach einer allgemeinen Einstimmung nicht
Lothonus, sondern Gjiraj zum ersten Erobe-

Kriege
Osmaniſche Geſchichte
Kjefe nebſt der
Krim werden er-obert.
28.

Im naͤchſtfolgenden Jahre riß derſelbe, unter Anfuͤhrung eben die-
ſes Gjeduͤkj Aehmed Paſchas, Kjefe, den ſtaͤrkſten Platz in der Krim, den Ge-
H. 876.



J. C. 1471.nueſern aus den Haͤnden, und brachte auf dieſe Weiſe die ganze tatariſche Halb-
inſel unter ſeine Botmaͤßigkeit. Hier traf er Mengjili Gjiraj an, einen Herrn
aus dem Geſchlechte der kiptſchakiſchen Fuͤrſten 43, der nach einem langwierigen
[Spaltenumbruch]
43 kiptſchakiſchen Fuͤrſten] Die Kip-
tſchaken ſind ein ſeythiſches Volk, nicht weit
von Juͤßbegj, an den Grenzen der tſchagataͤi-
ſchen Tatarn, uͤber der kaſpiſchen See hin-
aus, oſtwaͤrts von derſelben gelegen, aus
welcher Gegend die Tuͤrken und Tatarn ihren
Urſprung herfuͤhren. Es iſt vielleicht dasje-
nige Land, das heutiges Tages in den Karten
das Koͤnigreich Thibet oder Tuͤrkjiſtan genen-
net wird.
44 Mengjili Gjiraj] Dieſes war der
erſte, der die krimiſche Tatarey mit ge-
wiſſen Bedingungen unter den Schutz des
oliosmaniſchen Reiches gegeben, nachdem er
dieſelbe vorher ſeinem Bruder aus den Haͤnden
geriſſen hatte. Nach dem Berichte ſowol der
tuͤrkiſchen als chriſtlichen Geſchichtſchreiber,
war derſelbe aus dem Geſchlechte der Oli-
dſchingjißen entſproſſen. Die letztern aber mi-
ſchen eine ſolche Menge Fabeln darunter, daß
einer, der nur die mindeſte Kenntniß von der
Geſchichte dieſes Volkes hat, bey Leſung ihrer
Nachrichten ſich des Lachens nicht enthalten
kann, ungeachtet dieſe, wie ſie vorgeben,
nach der ſchaͤrfſten Unterſuchung und Pruͤfung
abgefaſſet und uns uͤbergeben ſind. Vor al-
len andern verdienet Michalo Lithuanus, daß
ich ſeiner erwaͤhne und mein Urtheil uͤber ihn
ergehen laſſe. Dieſer geſtehet zwar in ſeiner
Tatarey, auf der 296 Seite, daß der erſte
Fuͤrſt in der Krim von dem olidſchingjißiſchen
(oder, wie er es nach einer verderbten Aus-
ſprache nennet, cyngiſaniſchen) Geſchlechte
entſprungen ſey: er nennet aber denſelben
[Spaltenumbruch]
(auf weſſen Glauben, das weis niemand zu
ſagen) Lothonus, und ſetzet deſſen Nachkom-
men (193 S.) in Lithauen; fuͤhret auch eine
lange Reihe lithauiſcher Kaiſer oder Chane
von demſelben Geſchlechte an. Der letzte
von ihnen war, nach dem Berichte dieſes Ge-
ſchichtſchreibers, Atſchkjeraj (vielleicht Ha-
dſchi Gjiraj), der zu Troki geboren und von
dem heiligen Withkrode abgeſchicket worden,
ſich der tatariſchen Halbinſel zu bemaͤchtigen.
Dieſem, nachdem er zum Beſitze des gedach-
ten Fuͤrſtenthums gelanget war, wurde ein
Sohn, Menglikjeraj (Mengjili Gjiraj) gebo-
ren. Dieſer letzte hatte die Soͤhne, Mehem-
med Kjeraj, Sadet Kjeraj (Saͤadet Gjiraj),
Chas Kjeraj (vielleicht Schah Gjiraj), und
Sapkjeraj (vielleicht Sefaj Gjiraj): dieſer,
als der juͤngſte von allen, folgte dem Vater
in dem Koͤnigreiche nach, und war zu gleicher
Zeit Fuͤrſt der Tatarn. Denn alle die Nach-
kommen aus dieſem Geſchlechte bedienen ſich
nunmehr, als Fuͤrſten, des edlen Zunamens,
den ſie von ihren Vorfahrern angenommen
haben, naͤmlich Atſchkjeraj. Die Falſchheit
dieſer Erzaͤhlung erfordert, wie ich glaube,
keine lange Ausfuͤhrung, um ſie zu beweiſen:
denn ſie enthaͤlt ſolche offenbare Widerſpruͤche,
daß es gleich bey dem erſten Anſehen in die
Augen faͤllet, es habe dieſelbe nicht den minde-
ſten Grund in den alten Urkunden oder Zeug-
niſſen der Tatarn, ſondern ſey eine bloße Muth-
maßung des Geſchichtſchreibers. Denn nicht
zu gedenken, daß die tuͤrkiſchen Geſchichtſchrei-
ber nach einer allgemeinen Einſtimmung nicht
Lothonus, ſondern Gjiraj zum erſten Erobe-

Kriege
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[164/0248] Osmaniſche Geſchichte 28. Im naͤchſtfolgenden Jahre riß derſelbe, unter Anfuͤhrung eben die- ſes Gjeduͤkj Aehmed Paſchas, Kjefe, den ſtaͤrkſten Platz in der Krim, den Ge- nueſern aus den Haͤnden, und brachte auf dieſe Weiſe die ganze tatariſche Halb- inſel unter ſeine Botmaͤßigkeit. Hier traf er Mengjili Gjiraj an, einen Herrn aus dem Geſchlechte der kiptſchakiſchen Fuͤrſten ⁴³ , der nach einem langwierigen Kriege ⁴³ kiptſchakiſchen Fuͤrſten] Die Kip- tſchaken ſind ein ſeythiſches Volk, nicht weit von Juͤßbegj, an den Grenzen der tſchagataͤi- ſchen Tatarn, uͤber der kaſpiſchen See hin- aus, oſtwaͤrts von derſelben gelegen, aus welcher Gegend die Tuͤrken und Tatarn ihren Urſprung herfuͤhren. Es iſt vielleicht dasje- nige Land, das heutiges Tages in den Karten das Koͤnigreich Thibet oder Tuͤrkjiſtan genen- net wird. ⁴⁴ Mengjili Gjiraj] Dieſes war der erſte, der die krimiſche Tatarey mit ge- wiſſen Bedingungen unter den Schutz des oliosmaniſchen Reiches gegeben, nachdem er dieſelbe vorher ſeinem Bruder aus den Haͤnden geriſſen hatte. Nach dem Berichte ſowol der tuͤrkiſchen als chriſtlichen Geſchichtſchreiber, war derſelbe aus dem Geſchlechte der Oli- dſchingjißen entſproſſen. Die letztern aber mi- ſchen eine ſolche Menge Fabeln darunter, daß einer, der nur die mindeſte Kenntniß von der Geſchichte dieſes Volkes hat, bey Leſung ihrer Nachrichten ſich des Lachens nicht enthalten kann, ungeachtet dieſe, wie ſie vorgeben, nach der ſchaͤrfſten Unterſuchung und Pruͤfung abgefaſſet und uns uͤbergeben ſind. Vor al- len andern verdienet Michalo Lithuanus, daß ich ſeiner erwaͤhne und mein Urtheil uͤber ihn ergehen laſſe. Dieſer geſtehet zwar in ſeiner Tatarey, auf der 296 Seite, daß der erſte Fuͤrſt in der Krim von dem olidſchingjißiſchen (oder, wie er es nach einer verderbten Aus- ſprache nennet, cyngiſaniſchen) Geſchlechte entſprungen ſey: er nennet aber denſelben (auf weſſen Glauben, das weis niemand zu ſagen) Lothonus, und ſetzet deſſen Nachkom- men (193 S.) in Lithauen; fuͤhret auch eine lange Reihe lithauiſcher Kaiſer oder Chane von demſelben Geſchlechte an. Der letzte von ihnen war, nach dem Berichte dieſes Ge- ſchichtſchreibers, Atſchkjeraj (vielleicht Ha- dſchi Gjiraj), der zu Troki geboren und von dem heiligen Withkrode abgeſchicket worden, ſich der tatariſchen Halbinſel zu bemaͤchtigen. Dieſem, nachdem er zum Beſitze des gedach- ten Fuͤrſtenthums gelanget war, wurde ein Sohn, Menglikjeraj (Mengjili Gjiraj) gebo- ren. Dieſer letzte hatte die Soͤhne, Mehem- med Kjeraj, Sadet Kjeraj (Saͤadet Gjiraj), Chas Kjeraj (vielleicht Schah Gjiraj), und Sapkjeraj (vielleicht Sefaj Gjiraj): dieſer, als der juͤngſte von allen, folgte dem Vater in dem Koͤnigreiche nach, und war zu gleicher Zeit Fuͤrſt der Tatarn. Denn alle die Nach- kommen aus dieſem Geſchlechte bedienen ſich nunmehr, als Fuͤrſten, des edlen Zunamens, den ſie von ihren Vorfahrern angenommen haben, naͤmlich Atſchkjeraj. Die Falſchheit dieſer Erzaͤhlung erfordert, wie ich glaube, keine lange Ausfuͤhrung, um ſie zu beweiſen: denn ſie enthaͤlt ſolche offenbare Widerſpruͤche, daß es gleich bey dem erſten Anſehen in die Augen faͤllet, es habe dieſelbe nicht den minde- ſten Grund in den alten Urkunden oder Zeug- niſſen der Tatarn, ſondern ſey eine bloße Muth- maßung des Geſchichtſchreibers. Denn nicht zu gedenken, daß die tuͤrkiſchen Geſchichtſchrei- ber nach einer allgemeinen Einſtimmung nicht Lothonus, ſondern Gjiraj zum erſten Erobe- rer H. 876. J. C. 1471.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/248>, abgerufen am 22.11.2024.