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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Zwischenreich
Musa wird von
Temurlenkj zum
Kaiser in Asiengemacht;
3.

Denn, als Temurlenkj die Antwort Sülejmans hinterbracht wurde:
so gedachte er, Wohlthaten müßte man keinem wider seinen Willen aufdringen.
Er schickte daher nach 4 seinem Bruder Musa Tschelebi, und übergab demselben
großmüthiger Weise das Reich mit diesen Worten: "Nimm dann," sagte
er, "deines Vaters Erbschaft hin; denn nicht Königreiche, sondern ein könig-
"liches Herz ist es, was ich suche 5." Solchergestalt wurde Musa Tschelebi,
als er des andern Tages mit vieler Erkenntlichkeit gegen Temurlenkjs Verspre-
chungen abreisete, von denen asiatischen Truppen, die das Glück und die Gü-
tigkeit des Ueberwinders noch erhalten hatte, zum Sultan gemacht, und erhielte
das Kaiserthum in Asien 6.

[Spaltenumbruch]
4 schickte .. nach] Einige christlichen
Schriftsteller sagen: nachdem Musa nebst
seinem Vater in dem Treffen mit Temurlenkj
gefangen worden; so habe derselbe gleich dar-
auf die Freyheit wieder bekommen und sey
zur Regierung gelanget. Ich trage aber um
so viel weniger Bedenken, diese Nachricht für
falsch zu erklären, weil es gewiß ist, daß die
türkischen Schriftsteller sonst alle Umstände,
die dem osmanischen Hause nur einiger maßen
nachtheilig oder schimpflich zu seyn scheinen,
sorgfältig bemänteln, und, wo möglich, gar
mit einem tiefen Stilleschweigen übergehen.
5 ich suche] Eine Rede, die einen ewi-
gen Ruhm verdienet, und keinesweges bar-
barisch ist, ob sie gleich aus dem Munde eines
Barbars kommet. Wir treffen auch seit Ale-
xanders des Großen Zeiten, der dem Könige
Porus, nachdem er ihn überwunden, sein
Reich wieder gegeben hat, nirgends ein Bey-
spiel von einer solchen ungemeinen Großmü-
thigkeit mehr an, daß man Königreiche weg-
geschenket hätte.
6 Kaiserthum in Asien] Diejenigen
christlichen Schriftsteller, die Musas Erwäh-
nung thun (wie Phranza, im 1 Buche, 30
Hauptst.), setzen den Anfang seiner Regierung
[Spaltenumbruch]
nicht in Asien, sondern in Europa, und geben
Müsülman das asiatische Reich. Da aber
diese Schriftsteller nicht allein die Thaten,
sondern auch die Namen dieser Brüder derge-
stalt verwirren, daß man nicht errathen kann,
welche Person unter Musa, Isa, Jesse, Ka-
sem, Ertukal, Kalepin, Cibelin, Cyricelebis,
Müsülman, Jusuph und Mehemmed zu ver-
stehen ist: so wird uns niemand tadeln, wenn
wir in einer so dunkeln Zeitrechnung und Ge-
schichte die Nachrichten der Türken allen an-
dern vorziehen, als welche größere Deutlich-
keit und Wahrscheinlichkeit vor sich haben.
7 Karaman Ogli] Dieses ist der Kö-
nig in Karamanien, einer Landschaft in Klein-
asien, die noch heutiges Tages unter diesem
Namen bekannt ist. Sie begreifet den größ-
ten Theil des alten Kappadociens und Gala-
tiens in sich. Karaman, der persische Statt-
halter hieselbst vor dem Einfalle Dschingjiß-
chans, hat der Landschaft und den Königen
derselben seinen Namen gegeben: denn er
war der erste, der sich einer unumschränkten
Gewalt über dieselbe anmaßete, nachdem das
persische Reich durch die Tatarn über einen
Haufen geworfen war; und war auch nächst
Aeladdin, Sultan von Ikonien, unter allen
den Bundsgenossen der mächtigste. Bey
4. Allein
Zwiſchenreich
Muſa wird von
Temurlenkj zum
Kaiſer in Aſiengemacht;
3.

Denn, als Temurlenkj die Antwort Suͤlejmans hinterbracht wurde:
ſo gedachte er, Wohlthaten muͤßte man keinem wider ſeinen Willen aufdringen.
Er ſchickte daher nach 4 ſeinem Bruder Muſa Tſchelebi, und uͤbergab demſelben
großmuͤthiger Weiſe das Reich mit dieſen Worten: “Nimm dann,„ ſagte
er, “deines Vaters Erbſchaft hin; denn nicht Koͤnigreiche, ſondern ein koͤnig-
“liches Herz iſt es, was ich ſuche 5.„ Solchergeſtalt wurde Muſa Tſchelebi,
als er des andern Tages mit vieler Erkenntlichkeit gegen Temurlenkjs Verſpre-
chungen abreiſete, von denen aſiatiſchen Truppen, die das Gluͤck und die Guͤ-
tigkeit des Ueberwinders noch erhalten hatte, zum Sultan gemacht, und erhielte
das Kaiſerthum in Aſien 6.

[Spaltenumbruch]
4 ſchickte .. nach] Einige chriſtlichen
Schriftſteller ſagen: nachdem Muſa nebſt
ſeinem Vater in dem Treffen mit Temurlenkj
gefangen worden; ſo habe derſelbe gleich dar-
auf die Freyheit wieder bekommen und ſey
zur Regierung gelanget. Ich trage aber um
ſo viel weniger Bedenken, dieſe Nachricht fuͤr
falſch zu erklaͤren, weil es gewiß iſt, daß die
tuͤrkiſchen Schriftſteller ſonſt alle Umſtaͤnde,
die dem osmaniſchen Hauſe nur einiger maßen
nachtheilig oder ſchimpflich zu ſeyn ſcheinen,
ſorgfaͤltig bemaͤnteln, und, wo moͤglich, gar
mit einem tiefen Stilleſchweigen uͤbergehen.
5 ich ſuche] Eine Rede, die einen ewi-
gen Ruhm verdienet, und keinesweges bar-
bariſch iſt, ob ſie gleich aus dem Munde eines
Barbars kommet. Wir treffen auch ſeit Ale-
xanders des Großen Zeiten, der dem Koͤnige
Porus, nachdem er ihn uͤberwunden, ſein
Reich wieder gegeben hat, nirgends ein Bey-
ſpiel von einer ſolchen ungemeinen Großmuͤ-
thigkeit mehr an, daß man Koͤnigreiche weg-
geſchenket haͤtte.
6 Kaiſerthum in Aſien] Diejenigen
chriſtlichen Schriftſteller, die Muſas Erwaͤh-
nung thun (wie Phranza, im 1 Buche, 30
Hauptſt.), ſetzen den Anfang ſeiner Regierung
[Spaltenumbruch]
nicht in Aſien, ſondern in Europa, und geben
Muͤſuͤlman das aſiatiſche Reich. Da aber
dieſe Schriftſteller nicht allein die Thaten,
ſondern auch die Namen dieſer Bruͤder derge-
ſtalt verwirren, daß man nicht errathen kann,
welche Perſon unter Muſa, Iſa, Jeſſe, Ka-
ſem, Ertukal, Kalepin, Cibelin, Cyricelebis,
Muͤſuͤlman, Juſuph und Mehemmed zu ver-
ſtehen iſt: ſo wird uns niemand tadeln, wenn
wir in einer ſo dunkeln Zeitrechnung und Ge-
ſchichte die Nachrichten der Tuͤrken allen an-
dern vorziehen, als welche groͤßere Deutlich-
keit und Wahrſcheinlichkeit vor ſich haben.
7 Karaman Ogli] Dieſes iſt der Koͤ-
nig in Karamanien, einer Landſchaft in Klein-
aſien, die noch heutiges Tages unter dieſem
Namen bekannt iſt. Sie begreifet den groͤß-
ten Theil des alten Kappadociens und Gala-
tiens in ſich. Karaman, der perſiſche Statt-
halter hieſelbſt vor dem Einfalle Dſchingjiß-
chans, hat der Landſchaft und den Koͤnigen
derſelben ſeinen Namen gegeben: denn er
war der erſte, der ſich einer unumſchraͤnkten
Gewalt uͤber dieſelbe anmaßete, nachdem das
perſiſche Reich durch die Tatarn uͤber einen
Haufen geworfen war; und war auch naͤchſt
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[84/0162] Zwiſchenreich 3. Denn, als Temurlenkj die Antwort Suͤlejmans hinterbracht wurde: ſo gedachte er, Wohlthaten muͤßte man keinem wider ſeinen Willen aufdringen. Er ſchickte daher nach ⁴ ſeinem Bruder Muſa Tſchelebi, und uͤbergab demſelben großmuͤthiger Weiſe das Reich mit dieſen Worten: “Nimm dann,„ ſagte er, “deines Vaters Erbſchaft hin; denn nicht Koͤnigreiche, ſondern ein koͤnig- “liches Herz iſt es, was ich ſuche ⁵ .„ Solchergeſtalt wurde Muſa Tſchelebi, als er des andern Tages mit vieler Erkenntlichkeit gegen Temurlenkjs Verſpre- chungen abreiſete, von denen aſiatiſchen Truppen, die das Gluͤck und die Guͤ- tigkeit des Ueberwinders noch erhalten hatte, zum Sultan gemacht, und erhielte das Kaiſerthum in Aſien ⁶ . 4. Allein ⁴ ſchickte .. nach] Einige chriſtlichen Schriftſteller ſagen: nachdem Muſa nebſt ſeinem Vater in dem Treffen mit Temurlenkj gefangen worden; ſo habe derſelbe gleich dar- auf die Freyheit wieder bekommen und ſey zur Regierung gelanget. Ich trage aber um ſo viel weniger Bedenken, dieſe Nachricht fuͤr falſch zu erklaͤren, weil es gewiß iſt, daß die tuͤrkiſchen Schriftſteller ſonſt alle Umſtaͤnde, die dem osmaniſchen Hauſe nur einiger maßen nachtheilig oder ſchimpflich zu ſeyn ſcheinen, ſorgfaͤltig bemaͤnteln, und, wo moͤglich, gar mit einem tiefen Stilleſchweigen uͤbergehen. ⁵ ich ſuche] Eine Rede, die einen ewi- gen Ruhm verdienet, und keinesweges bar- bariſch iſt, ob ſie gleich aus dem Munde eines Barbars kommet. Wir treffen auch ſeit Ale- xanders des Großen Zeiten, der dem Koͤnige Porus, nachdem er ihn uͤberwunden, ſein Reich wieder gegeben hat, nirgends ein Bey- ſpiel von einer ſolchen ungemeinen Großmuͤ- thigkeit mehr an, daß man Koͤnigreiche weg- geſchenket haͤtte. ⁶ Kaiſerthum in Aſien] Diejenigen chriſtlichen Schriftſteller, die Muſas Erwaͤh- nung thun (wie Phranza, im 1 Buche, 30 Hauptſt.), ſetzen den Anfang ſeiner Regierung nicht in Aſien, ſondern in Europa, und geben Muͤſuͤlman das aſiatiſche Reich. Da aber dieſe Schriftſteller nicht allein die Thaten, ſondern auch die Namen dieſer Bruͤder derge- ſtalt verwirren, daß man nicht errathen kann, welche Perſon unter Muſa, Iſa, Jeſſe, Ka- ſem, Ertukal, Kalepin, Cibelin, Cyricelebis, Muͤſuͤlman, Juſuph und Mehemmed zu ver- ſtehen iſt: ſo wird uns niemand tadeln, wenn wir in einer ſo dunkeln Zeitrechnung und Ge- ſchichte die Nachrichten der Tuͤrken allen an- dern vorziehen, als welche groͤßere Deutlich- keit und Wahrſcheinlichkeit vor ſich haben. ⁷ Karaman Ogli] Dieſes iſt der Koͤ- nig in Karamanien, einer Landſchaft in Klein- aſien, die noch heutiges Tages unter dieſem Namen bekannt iſt. Sie begreifet den groͤß- ten Theil des alten Kappadociens und Gala- tiens in ſich. Karaman, der perſiſche Statt- halter hieſelbſt vor dem Einfalle Dſchingjiß- chans, hat der Landſchaft und den Koͤnigen derſelben ſeinen Namen gegeben: denn er war der erſte, der ſich einer unumſchraͤnkten Gewalt uͤber dieſelbe anmaßete, nachdem das perſiſche Reich durch die Tatarn uͤber einen Haufen geworfen war; und war auch naͤchſt Aeladdin, Sultan von Ikonien, unter allen den Bundsgenoſſen der maͤchtigſte. Bey dieſer

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/162>, abgerufen am 23.11.2024.