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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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2. Orchan
mehr durch die Menge übermannet, als überwunden, und werden alle bis auf
einen Mann niedergehauen. Nachdem Murad die Stadt erobert hatte: so
befahl er, daß man dieselbe, zur Rache wegen des vergossenen Blutes, nieder-
reißen und der Erde gleich machen sollte; so daß heutiges Tages kaum noch
einige Spuren davon zu sehen sind. Durch diese grausame That wurden die
Einwohner von Pirgos (einer Stadt zwischen Adrianopel und Tschorlü) der-
gestalt in Schrecken gesetzet, daß sie alle ihre Häuser verließen und dem Feinde
ihre leere Stadt Preis gaben. Nach diesen Eroberungen kehrete Murad voll
Vergnügen mit seinem Heere wieder in Asien zurück, und Sülejman blieb mit
seinen Truppen in Europa.

11.

So glücklich aber dieses Jahr für das osmanische Reich war: soSülejman komt
durch einen Fall
von seinem Pfer-
de um das Leben.

betrübt war es hingegen für den Sultan Orchan. Denn als Sülejman 6,
unter dem Vorwande auf die Jagd zu gehen, seine Mannschaft im Felde mu-
sterte und nach dem Gebrauche der Osmanen in den Waffen übete: so ging
sein unbändiges Pferd, indem die Reiterey ihre Wurfspieße warf und ihre
Pfeile losschoß, mit ihm durch und brach ihm an einem Baume den Schenkel
entzwey; darauf er mit solcher Gewalt herunter auf die Erde fiel, daß er so-
gleich seinen Geist aufgab.

12.

Als Orchan den unverhofften Todesfall seines geliebten Sohnes ver-Atsche Begj
nimmt die Stadt
Dydomothychon
ein; die aber Or-
chan den Ein-
wohnern wieder
zurück giebt.

nahm: so wurde er von der Betrübniß dergestalt überwältiget, daß er in eine
unheilbare Krankheit verfiel, die ihn kurze Zeit hernach in das Grab brachte.
Damit es aber doch nicht scheinen möchte, als wenn der Tod seines Sohnes
und seine eigene Krankheit alle Kriegesgedanken in ihm ersticket hätten: so
schickte er ein Heer unter Atsche Begjs Anführung ins Feld, um Dydomothy-
chon wegzunehmen. Dieser Feldherr nähert sich der Stadt, ehe sie sichs versie-
het, und bekommt zufälliger Weise den Befehlhaber nicht weit von dem Platze
gefangen, da derselbe zu seinem eigenen Vergnügen spazieren ging. Der Be-
[Spaltenumbruch]

mus, an dem Ufer des Flusses Tundsche ge-
legen.
5 [Er zielete damit, wie es scheinet, auf
den Namen eines gewissen Schlosses, das
die Türken eingenommen hatten, und welches
Schweinstall hieß.]
6 Sülejman] Gregoras, wie es das
[Spaltenumbruch]
Ansehen hat, leget ihm die Benennung eines
trojanischen Anführers bey, indem er erzählet
(im 14 Buche, 11 Hauptst. 2 Abschn.), daß
derselbe die Tochter Johann Batatzes geheira-
tet habe und zuerst aus Asien in Europa
übergegangen sey. Denn die Türken geden-
ken keines einzigen Menschen unter ihnen,
der vor Sülejman nach Europa gekommen
wäre.

fehlhaber,
F

2. Orchan
mehr durch die Menge uͤbermannet, als uͤberwunden, und werden alle bis auf
einen Mann niedergehauen. Nachdem Murad die Stadt erobert hatte: ſo
befahl er, daß man dieſelbe, zur Rache wegen des vergoſſenen Blutes, nieder-
reißen und der Erde gleich machen ſollte; ſo daß heutiges Tages kaum noch
einige Spuren davon zu ſehen ſind. Durch dieſe grauſame That wurden die
Einwohner von Pirgos (einer Stadt zwiſchen Adrianopel und Tſchorluͤ) der-
geſtalt in Schrecken geſetzet, daß ſie alle ihre Haͤuſer verließen und dem Feinde
ihre leere Stadt Preis gaben. Nach dieſen Eroberungen kehrete Murad voll
Vergnuͤgen mit ſeinem Heere wieder in Aſien zuruͤck, und Suͤlejman blieb mit
ſeinen Truppen in Europa.

11.

So gluͤcklich aber dieſes Jahr fuͤr das osmaniſche Reich war: ſoSuͤlejman komt
durch einen Fall
von ſeinem Pfer-
de um das Leben.

betruͤbt war es hingegen fuͤr den Sultan Orchan. Denn als Suͤlejman 6,
unter dem Vorwande auf die Jagd zu gehen, ſeine Mannſchaft im Felde mu-
ſterte und nach dem Gebrauche der Osmanen in den Waffen uͤbete: ſo ging
ſein unbaͤndiges Pferd, indem die Reiterey ihre Wurfſpieße warf und ihre
Pfeile losſchoß, mit ihm durch und brach ihm an einem Baume den Schenkel
entzwey; darauf er mit ſolcher Gewalt herunter auf die Erde fiel, daß er ſo-
gleich ſeinen Geiſt aufgab.

12.

Als Orchan den unverhofften Todesfall ſeines geliebten Sohnes ver-Atſche Begj
nimmt die Stadt
Dydomothychon
ein; die aber Or-
chan den Ein-
wohnern wieder
zuruͤck giebt.

nahm: ſo wurde er von der Betruͤbniß dergeſtalt uͤberwaͤltiget, daß er in eine
unheilbare Krankheit verfiel, die ihn kurze Zeit hernach in das Grab brachte.
Damit es aber doch nicht ſcheinen moͤchte, als wenn der Tod ſeines Sohnes
und ſeine eigene Krankheit alle Kriegesgedanken in ihm erſticket haͤtten: ſo
ſchickte er ein Heer unter Atſche Begjs Anfuͤhrung ins Feld, um Dydomothy-
chon wegzunehmen. Dieſer Feldherr naͤhert ſich der Stadt, ehe ſie ſichs verſie-
het, und bekommt zufaͤlliger Weiſe den Befehlhaber nicht weit von dem Platze
gefangen, da derſelbe zu ſeinem eigenen Vergnuͤgen ſpazieren ging. Der Be-
[Spaltenumbruch]

mus, an dem Ufer des Fluſſes Tundſche ge-
legen.
5 [Er zielete damit, wie es ſcheinet, auf
den Namen eines gewiſſen Schloſſes, das
die Tuͤrken eingenommen hatten, und welches
Schweinſtall hieß.]
6 Suͤlejman] Gregoras, wie es das
[Spaltenumbruch]
Anſehen hat, leget ihm die Benennung eines
trojaniſchen Anfuͤhrers bey, indem er erzaͤhlet
(im 14 Buche, 11 Hauptſt. 2 Abſchn.), daß
derſelbe die Tochter Johann Batatzes geheira-
tet habe und zuerſt aus Aſien in Europa
uͤbergegangen ſey. Denn die Tuͤrken geden-
ken keines einzigen Menſchen unter ihnen,
der vor Suͤlejman nach Europa gekommen
waͤre.

fehlhaber,
F
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[41/0115] 2. Orchan mehr durch die Menge uͤbermannet, als uͤberwunden, und werden alle bis auf einen Mann niedergehauen. Nachdem Murad die Stadt erobert hatte: ſo befahl er, daß man dieſelbe, zur Rache wegen des vergoſſenen Blutes, nieder- reißen und der Erde gleich machen ſollte; ſo daß heutiges Tages kaum noch einige Spuren davon zu ſehen ſind. Durch dieſe grauſame That wurden die Einwohner von Pirgos (einer Stadt zwiſchen Adrianopel und Tſchorluͤ) der- geſtalt in Schrecken geſetzet, daß ſie alle ihre Haͤuſer verließen und dem Feinde ihre leere Stadt Preis gaben. Nach dieſen Eroberungen kehrete Murad voll Vergnuͤgen mit ſeinem Heere wieder in Aſien zuruͤck, und Suͤlejman blieb mit ſeinen Truppen in Europa. 11. So gluͤcklich aber dieſes Jahr fuͤr das osmaniſche Reich war: ſo betruͤbt war es hingegen fuͤr den Sultan Orchan. Denn als Suͤlejman ⁶ , unter dem Vorwande auf die Jagd zu gehen, ſeine Mannſchaft im Felde mu- ſterte und nach dem Gebrauche der Osmanen in den Waffen uͤbete: ſo ging ſein unbaͤndiges Pferd, indem die Reiterey ihre Wurfſpieße warf und ihre Pfeile losſchoß, mit ihm durch und brach ihm an einem Baume den Schenkel entzwey; darauf er mit ſolcher Gewalt herunter auf die Erde fiel, daß er ſo- gleich ſeinen Geiſt aufgab. Suͤlejman komt durch einen Fall von ſeinem Pfer- de um das Leben. 12. Als Orchan den unverhofften Todesfall ſeines geliebten Sohnes ver- nahm: ſo wurde er von der Betruͤbniß dergeſtalt uͤberwaͤltiget, daß er in eine unheilbare Krankheit verfiel, die ihn kurze Zeit hernach in das Grab brachte. Damit es aber doch nicht ſcheinen moͤchte, als wenn der Tod ſeines Sohnes und ſeine eigene Krankheit alle Kriegesgedanken in ihm erſticket haͤtten: ſo ſchickte er ein Heer unter Atſche Begjs Anfuͤhrung ins Feld, um Dydomothy- chon wegzunehmen. Dieſer Feldherr naͤhert ſich der Stadt, ehe ſie ſichs verſie- het, und bekommt zufaͤlliger Weiſe den Befehlhaber nicht weit von dem Platze gefangen, da derſelbe zu ſeinem eigenen Vergnuͤgen ſpazieren ging. Der Be- fehlhaber, mus, an dem Ufer des Fluſſes Tundſche ge- legen. ⁵ [Er zielete damit, wie es ſcheinet, auf den Namen eines gewiſſen Schloſſes, das die Tuͤrken eingenommen hatten, und welches Schweinſtall hieß.] ⁶ Suͤlejman] Gregoras, wie es das Anſehen hat, leget ihm die Benennung eines trojaniſchen Anfuͤhrers bey, indem er erzaͤhlet (im 14 Buche, 11 Hauptſt. 2 Abſchn.), daß derſelbe die Tochter Johann Batatzes geheira- tet habe und zuerſt aus Aſien in Europa uͤbergegangen ſey. Denn die Tuͤrken geden- ken keines einzigen Menſchen unter ihnen, der vor Suͤlejman nach Europa gekommen waͤre. Atſche Begj nimmt die Stadt Dydomothychon ein; die aber Or- chan den Ein- wohnern wieder zuruͤck giebt. F

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/115>, abgerufen am 13.05.2024.