Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.Osmanische Geschichte Osmans letzte Rede, die er an seinen Sohn Orchan gehalten hat, wie Als diese zween Fürsten einander ansichtig wurden: so walleten ihrer bey- ber der Sultane, die nachher daselbst begra- ben worden, wie Kapellen aussehen. Sie sind inwendig mit Marmor und Jaspis aus- gesetzet: die Kuppel ist himmelblau, mit vie- len Zieraten von Gold und Roth, und der Boden mit Teppichen beleget, auf denen die Särge mit den Leichnamen der Sultane stehen, und ihre Bünde und Waffen um sich herum liegen haben.] 20 rumischen Königreiche] [regna Rumaeorum. D'Herbelot merket an, daß der Name Rum von den Arabern und andern morgenländischen Völkern denjenigen Ländern beygeleget worden, die anfangs die Rö- mer, und nachher die Griechen und Türken unter ihre Botmäßigkeit gebracht haben. Insbesondere aber, und nach Ebu Elwardi in seiner Erdbeschreibung, fänget das Land, welches Rum genennet wird, bey der westli- chen See an, und hält in sich die Landschaf- ten Galaleka, Gallicien; Andaluß, Spanien; Afrandscha, Frankreich; Rumijah, Italien; Nemsijah, Deutschland; Leh und Tscheh, Polen und Böhmen; Inkjitar, England; Madschar, Ungarn; bis an Constantinopel und das schwarze Meer, da dasselbe an das Land der Säkaljbet oder Slawen stößet, und [Spaltenumbruch] die Slawonier grenzen an die Russen. End- lich gehöret auch dazu das Land, das noch itzo in eigentlichem Verstande Rum genennet wird: nämlich Romanien und Rumilien, das ist, Thracien und das heutige Griechen- land. Der Verfasser des Buches Mesahät Elerß, oder Ausmessung der Erde, saget, Rum, unter dem er ein Stück von Kleinasien begreifet, grenze gegen Westen an den Kanal des schwarzen Meeres; gegen Süden an Bi- lad Scham und Bilad Dscheßirah, Syrien und Mesopotamien, imgleichen Arminijah, Armenien; gegen Osten und Norden an Bilad Kurg, Georgien, und Bähr Bontos, das schwarze Meer: und die Mitte des Landes Rum sey Gebal Karaman (das Gebirge von Karamanien oder der Berg Taurus, da noch viele türkische und turkomanische Geschlechter wohnen); welches Gebirge sich von Tarsus in Cilicien bis an die Meerenge bey den Dar- danellen erstrecket. In diesem eigentlich so genannten Lande Rum regierete vor diesem das Geschlecht der seldschukischen Sultane, von den Arabern Seladschikä Rum oder die Seldschuken von Rum genennet, von denen die Osmanen oder gegenwärtigen Türken ihren Ursprung herleiten: und dieses ist die Ursache, daß die Perser und Moguler noch bis auf itzo
Osmaniſche Geſchichte Osmans letzte Rede, die er an ſeinen Sohn Orchan gehalten hat, wie Als dieſe zween Fuͤrſten einander anſichtig wurden: ſo walleten ihrer bey- ber der Sultane, die nachher daſelbſt begra- ben worden, wie Kapellen ausſehen. Sie ſind inwendig mit Marmor und Jaſpis aus- geſetzet: die Kuppel iſt himmelblau, mit vie- len Zieraten von Gold und Roth, und der Boden mit Teppichen beleget, auf denen die Saͤrge mit den Leichnamen der Sultane ſtehen, und ihre Buͤnde und Waffen um ſich herum liegen haben.] 20 rumiſchen Koͤnigreiche] [regna Rumaeorum. D'Herbelot merket an, daß der Name Rum von den Arabern und andern morgenlaͤndiſchen Voͤlkern denjenigen Laͤndern beygeleget worden, die anfangs die Roͤ- mer, und nachher die Griechen und Tuͤrken unter ihre Botmaͤßigkeit gebracht haben. Insbeſondere aber, und nach Ebu Elwardi in ſeiner Erdbeſchreibung, faͤnget das Land, welches Rum genennet wird, bey der weſtli- chen See an, und haͤlt in ſich die Landſchaf- ten Galaleka, Gallicien; Andaluß, Spanien; Afrandſcha, Frankreich; Rumijah, Italien; Nemſijah, Deutſchland; Leh und Tſcheh, Polen und Boͤhmen; Inkjitar, England; Madſchar, Ungarn; bis an Conſtantinopel und das ſchwarze Meer, da daſſelbe an das Land der Saͤkaljbet oder Slawen ſtoͤßet, und [Spaltenumbruch] die Slawonier grenzen an die Ruſſen. End- lich gehoͤret auch dazu das Land, das noch itzo in eigentlichem Verſtande Rum genennet wird: naͤmlich Romanien und Rumilien, das iſt, Thracien und das heutige Griechen- land. Der Verfaſſer des Buches Meſahaͤt Elerß, oder Ausmeſſung der Erde, ſaget, Rum, unter dem er ein Stuͤck von Kleinaſien begreifet, grenze gegen Weſten an den Kanal des ſchwarzen Meeres; gegen Suͤden an Bi- lad Scham und Bilad Dſcheßirah, Syrien und Meſopotamien, imgleichen Arminijah, Armenien; gegen Oſten und Norden an Bilad Kurg, Georgien, und Baͤhr Bontos, das ſchwarze Meer: und die Mitte des Landes Rum ſey Gebal Karaman (das Gebirge von Karamanien oder der Berg Taurus, da noch viele tuͤrkiſche und turkomaniſche Geſchlechter wohnen); welches Gebirge ſich von Tarſus in Cilicien bis an die Meerenge bey den Dar- danellen erſtrecket. In dieſem eigentlich ſo genannten Lande Rum regierete vor dieſem das Geſchlecht der ſeldſchukiſchen Sultane, von den Arabern Seladſchikaͤ Rum oder die Seldſchuken von Rum genennet, von denen die Osmanen oder gegenwaͤrtigen Tuͤrken ihren Urſprung herleiten: und dieſes iſt die Urſache, daß die Perſer und Moguler noch bis auf itzo
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Osmaniſche Geſchichte
Osmans letzte Rede, die er an ſeinen Sohn Orchan gehalten hat, wie
dieſelbe der Geſchichtſchreiber Saͤdi anfuͤhret.
Als dieſe zween Fuͤrſten einander anſichtig wurden: ſo walleten ihrer bey-
der Herzen vor Liebe gegen einander. Orchan fing an zu jammern und ſagte:
“Ach, Osman! du Quelle der Kaiſer und Herren der Welt! du Ueberwin-
“der und Bezwinger der Voͤlker!„ Der unvergleichliche Kaiſer warf ſeine
Augen auf ihn, und druͤckte ſich alſo gegen denſelben aus: “Jammere nicht,
“du Labſal meiner Seele! denn dieſer mein letzter Kampf iſt das Los des
“geſamten menſchlichen Geſchlechts, und ſowol Jungen als Alten gemein,
“die mit einander eben dieſelbe Luft dieſer boͤſen Welt genießen. Wann ich
itzo
ber der Sultane, die nachher daſelbſt begra-
ben worden, wie Kapellen ausſehen. Sie
ſind inwendig mit Marmor und Jaſpis aus-
geſetzet: die Kuppel iſt himmelblau, mit vie-
len Zieraten von Gold und Roth, und der
Boden mit Teppichen beleget, auf denen die
Saͤrge mit den Leichnamen der Sultane ſtehen,
und ihre Buͤnde und Waffen um ſich herum
liegen haben.]
²⁰ rumiſchen Koͤnigreiche] [regna
Rumaeorum. D'Herbelot merket an, daß
der Name Rum von den Arabern und andern
morgenlaͤndiſchen Voͤlkern denjenigen Laͤndern
beygeleget worden, die anfangs die Roͤ-
mer, und nachher die Griechen und Tuͤrken
unter ihre Botmaͤßigkeit gebracht haben.
Insbeſondere aber, und nach Ebu Elwardi
in ſeiner Erdbeſchreibung, faͤnget das Land,
welches Rum genennet wird, bey der weſtli-
chen See an, und haͤlt in ſich die Landſchaf-
ten Galaleka, Gallicien; Andaluß, Spanien;
Afrandſcha, Frankreich; Rumijah, Italien;
Nemſijah, Deutſchland; Leh und Tſcheh,
Polen und Boͤhmen; Inkjitar, England;
Madſchar, Ungarn; bis an Conſtantinopel
und das ſchwarze Meer, da daſſelbe an das
Land der Saͤkaljbet oder Slawen ſtoͤßet, und
die Slawonier grenzen an die Ruſſen. End-
lich gehoͤret auch dazu das Land, das noch
itzo in eigentlichem Verſtande Rum genennet
wird: naͤmlich Romanien und Rumilien,
das iſt, Thracien und das heutige Griechen-
land. Der Verfaſſer des Buches Meſahaͤt
Elerß, oder Ausmeſſung der Erde, ſaget,
Rum, unter dem er ein Stuͤck von Kleinaſien
begreifet, grenze gegen Weſten an den Kanal
des ſchwarzen Meeres; gegen Suͤden an Bi-
lad Scham und Bilad Dſcheßirah, Syrien
und Meſopotamien, imgleichen Arminijah,
Armenien; gegen Oſten und Norden an Bilad
Kurg, Georgien, und Baͤhr Bontos, das
ſchwarze Meer: und die Mitte des Landes
Rum ſey Gebal Karaman (das Gebirge von
Karamanien oder der Berg Taurus, da noch
viele tuͤrkiſche und turkomaniſche Geſchlechter
wohnen); welches Gebirge ſich von Tarſus
in Cilicien bis an die Meerenge bey den Dar-
danellen erſtrecket. In dieſem eigentlich ſo
genannten Lande Rum regierete vor dieſem
das Geſchlecht der ſeldſchukiſchen Sultane,
von den Arabern Seladſchikaͤ Rum oder die
Seldſchuken von Rum genennet, von denen
die Osmanen oder gegenwaͤrtigen Tuͤrken ihren
Urſprung herleiten: und dieſes iſt die Urſache,
daß die Perſer und Moguler noch bis auf
den
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Zitationshilfe: | Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/102>, abgerufen am 16.02.2025. |