Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

denn menschliche Vernunft ist nicht unfehlbar;
aber sie wird der am wenigsten irrende Wegweiser
sein, dem du nur folgen kanst. Bücher und Ge-
spräche können ihr beistehen. Folge jedoch keinen
von beiden blindlings auf Treue und Glauben!
Prüfe beide nach der besten Richtschnur, die
uns Gott zu unsrer Leitung verliehen hat, der
Vernunft!

Unter allen Bemühungen lehne doch ja nicht,
wie viele thun, die zu denken von dir ab! Vom
großen Haufen der Menschen läßt sich kaum sagen,
daß er denkt. Und überhaupt, glaube ich, ist es
besser, daß es so ist. *) Denn die gemeinen Vor-
urtheile tragen mehr zur Ordnung und Ruhe bei,
als die eigne besondre Vernunft dieser Leute, die
so wenig ausgebildet und geübt ist, dazu beitra-

gen
*) Bei der dermaligen Lage, worin dieser große
Haufe sich befindet, freilich wohl! Sonst ist
es, dünkt mich, Lästerung gegen den Schöpfer,
zu behaupten, daß es für irgend eine Klasse
seiner mit Vernunft begabten Geschöpfe bes-
ser sei, diese Vernunft unangebaut und un-
gebraucht zu lassen, als sie zu üben und an-
zuwenden. C.
K 3

denn menſchliche Vernunft iſt nicht unfehlbar;
aber ſie wird der am wenigſten irrende Wegweiſer
ſein, dem du nur folgen kanſt. Buͤcher und Ge-
ſpraͤche koͤnnen ihr beiſtehen. Folge jedoch keinen
von beiden blindlings auf Treue und Glauben!
Pruͤfe beide nach der beſten Richtſchnur, die
uns Gott zu unſrer Leitung verliehen hat, der
Vernunft!

Unter allen Bemuͤhungen lehne doch ja nicht,
wie viele thun, die zu denken von dir ab! Vom
großen Haufen der Menſchen laͤßt ſich kaum ſagen,
daß er denkt. Und uͤberhaupt, glaube ich, iſt es
beſſer, daß es ſo iſt. *) Denn die gemeinen Vor-
urtheile tragen mehr zur Ordnung und Ruhe bei,
als die eigne beſondre Vernunft dieſer Leute, die
ſo wenig ausgebildet und geuͤbt iſt, dazu beitra-

gen
*) Bei der dermaligen Lage, worin dieſer große
Haufe ſich befindet, freilich wohl! Sonſt iſt
es, duͤnkt mich, Laͤſterung gegen den Schoͤpfer,
zu behaupten, daß es fuͤr irgend eine Klaſſe
ſeiner mit Vernunft begabten Geſchoͤpfe beſ-
ſer ſei, dieſe Vernunft unangebaut und un-
gebraucht zu laſſen, als ſie zu uͤben und an-
zuwenden. C.
K 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0155" n="149"/>
denn men&#x017F;chliche Vernunft i&#x017F;t nicht unfehlbar;<lb/>
aber &#x017F;ie wird der am wenig&#x017F;ten irrende Wegwei&#x017F;er<lb/>
&#x017F;ein, dem du nur folgen kan&#x017F;t. Bu&#x0364;cher und Ge-<lb/>
&#x017F;pra&#x0364;che ko&#x0364;nnen ihr bei&#x017F;tehen. Folge jedoch keinen<lb/>
von beiden blindlings auf Treue und Glauben!<lb/>
Pru&#x0364;fe beide nach der be&#x017F;ten Richt&#x017F;chnur, die<lb/>
uns Gott zu un&#x017F;rer Leitung verliehen hat, der<lb/>
Vernunft!</p><lb/>
        <p>Unter allen Bemu&#x0364;hungen lehne doch ja nicht,<lb/>
wie viele thun, die <hi rendition="#fr">zu denken</hi> von dir ab! Vom<lb/>
großen Haufen der Men&#x017F;chen la&#x0364;ßt &#x017F;ich kaum &#x017F;agen,<lb/>
daß er denkt. Und u&#x0364;berhaupt, glaube ich, i&#x017F;t es<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er, daß es &#x017F;o i&#x017F;t. <note place="foot" n="*)">Bei der dermaligen Lage, worin die&#x017F;er große<lb/>
Haufe &#x017F;ich befindet, freilich wohl! Son&#x017F;t i&#x017F;t<lb/>
es, du&#x0364;nkt mich, La&#x0364;&#x017F;terung gegen den Scho&#x0364;pfer,<lb/>
zu behaupten, daß es fu&#x0364;r irgend eine Kla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x017F;einer mit Vernunft begabten Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe be&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er &#x017F;ei, die&#x017F;e Vernunft unangebaut und un-<lb/>
gebraucht zu la&#x017F;&#x017F;en, als &#x017F;ie zu u&#x0364;ben und an-<lb/>
zuwenden. <hi rendition="#et">C.</hi></note> Denn die gemeinen Vor-<lb/>
urtheile tragen mehr zur Ordnung und Ruhe bei,<lb/>
als die eigne be&#x017F;ondre Vernunft die&#x017F;er Leute, die<lb/>
&#x017F;o wenig ausgebildet und geu&#x0364;bt i&#x017F;t, dazu beitra-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 3</fw><fw place="bottom" type="catch">gen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0155] denn menſchliche Vernunft iſt nicht unfehlbar; aber ſie wird der am wenigſten irrende Wegweiſer ſein, dem du nur folgen kanſt. Buͤcher und Ge- ſpraͤche koͤnnen ihr beiſtehen. Folge jedoch keinen von beiden blindlings auf Treue und Glauben! Pruͤfe beide nach der beſten Richtſchnur, die uns Gott zu unſrer Leitung verliehen hat, der Vernunft! Unter allen Bemuͤhungen lehne doch ja nicht, wie viele thun, die zu denken von dir ab! Vom großen Haufen der Menſchen laͤßt ſich kaum ſagen, daß er denkt. Und uͤberhaupt, glaube ich, iſt es beſſer, daß es ſo iſt. *) Denn die gemeinen Vor- urtheile tragen mehr zur Ordnung und Ruhe bei, als die eigne beſondre Vernunft dieſer Leute, die ſo wenig ausgebildet und geuͤbt iſt, dazu beitra- gen *) Bei der dermaligen Lage, worin dieſer große Haufe ſich befindet, freilich wohl! Sonſt iſt es, duͤnkt mich, Laͤſterung gegen den Schoͤpfer, zu behaupten, daß es fuͤr irgend eine Klaſſe ſeiner mit Vernunft begabten Geſchoͤpfe beſ- ſer ſei, dieſe Vernunft unangebaut und un- gebraucht zu laſſen, als ſie zu uͤben und an- zuwenden. C. K 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/155
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/155>, abgerufen am 07.05.2024.