werden zwischen allen den Wörtern, die man ge- wöhnlicher Weise gleichbedeutend neut, einen kleinen Unterschied entdekken. Das eine hat im- mer mehr Nachdruk, Umfang, Feinheit, als das andre. So ist es auch mit den Menschen. Ueber- haupt sind sie alle einander gleich; aber nicht zwei von ihnen sind es völlig. Die sie nicht sorg- fältig beobachtet haben, verkennen sie beständig, bemerken nicht die Schattierung, den stufenweisen Abfal derjenigen Gemüthsarten, die sich ähnlich scheinen, ohne es zu sein. Geselschaft, mannich- faltige Geselschaft, ist für diese Wissenschaft die einzige Schule.
Welt haben ist, meiner Meinung nach, ein sehr richtiger, glüklicher Ausdruk davon, wenn man Geschiklichkeit und gutes Bezeigen hat, und sich in allen Geselschaften gehörig aufzuführen weiß. Es faßt mit Wahrheit in sich, daß ein Mensch, der diese Volkommenheiten nicht besizt, nicht zur Welt gehört. Ohne sie sind die besten Gaben unwirksam, Höflichkeit ist ungereimt, und Frei- heit anstößig.
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werden zwiſchen allen den Woͤrtern, die man ge- woͤhnlicher Weiſe gleichbedeutend neut, einen kleinen Unterſchied entdekken. Das eine hat im- mer mehr Nachdruk, Umfang, Feinheit, als das andre. So iſt es auch mit den Menſchen. Ueber- haupt ſind ſie alle einander gleich; aber nicht zwei von ihnen ſind es voͤllig. Die ſie nicht ſorg- faͤltig beobachtet haben, verkennen ſie beſtaͤndig, bemerken nicht die Schattierung, den ſtufenweiſen Abfal derjenigen Gemuͤthsarten, die ſich aͤhnlich ſcheinen, ohne es zu ſein. Geſelſchaft, mannich- faltige Geſelſchaft, iſt fuͤr dieſe Wiſſenſchaft die einzige Schule.
Welt haben iſt, meiner Meinung nach, ein ſehr richtiger, gluͤklicher Ausdruk davon, wenn man Geſchiklichkeit und gutes Bezeigen hat, und ſich in allen Geſelſchaften gehoͤrig aufzufuͤhren weiß. Es faßt mit Wahrheit in ſich, daß ein Menſch, der dieſe Volkommenheiten nicht beſizt, nicht zur Welt gehoͤrt. Ohne ſie ſind die beſten Gaben unwirkſam, Hoͤflichkeit iſt ungereimt, und Frei- heit anſtoͤßig.
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werden zwiſchen allen den Woͤrtern, die man ge-
woͤhnlicher Weiſe gleichbedeutend neut, einen
kleinen Unterſchied entdekken. Das eine hat im-
mer mehr Nachdruk, Umfang, Feinheit, als das
andre. So iſt es auch mit den Menſchen. Ueber-
haupt ſind ſie alle einander gleich; aber nicht
zwei von ihnen ſind es voͤllig. Die ſie nicht ſorg-
faͤltig beobachtet haben, verkennen ſie beſtaͤndig,
bemerken nicht die Schattierung, den ſtufenweiſen
Abfal derjenigen Gemuͤthsarten, die ſich aͤhnlich
ſcheinen, ohne es zu ſein. Geſelſchaft, mannich-
faltige Geſelſchaft, iſt fuͤr dieſe Wiſſenſchaft die
einzige Schule.
Welt haben iſt, meiner Meinung nach,
ein ſehr richtiger, gluͤklicher Ausdruk davon, wenn
man Geſchiklichkeit und gutes Bezeigen hat, und
ſich in allen Geſelſchaften gehoͤrig aufzufuͤhren weiß.
Es faßt mit Wahrheit in ſich, daß ein Menſch,
der dieſe Volkommenheiten nicht beſizt, nicht zur
Welt gehoͤrt. Ohne ſie ſind die beſten Gaben
unwirkſam, Hoͤflichkeit iſt ungereimt, und Frei-
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/125>, abgerufen am 27.07.2024.
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