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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

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soltest du sie durchaus kennen lernen, um sie ge-
schikt zu lenken. Diese Wissenschaft läßt sich nicht
sistematisch erlernen; du mußt dir sie durch eigne
Erfahrung und Beobachtung erwerben. Ich wil
dir solche Winke geben, die ich für nüzliche Wege-
seulen bei deiner vorhabenden Reise halte.

Ich habe dir oft gesagt, und es ist sehr wahr,
wir dürfen in Ansehung der Menschen keine al-
gemeinen Folgerungen aus gewissen besondern
Grundsäzen ziehen, wiewohl sie, überhaupt ge-
nommen, richtig sind. Wir dürfen z. B. nicht
annehmen, weil der Mensch ein vernünftiges
Thier ist, werde er auch allezeit vernünftig han-
deln, oder, weil er die und die herschende Leiden-
schaft hat, so werde er immer und regelmäßig
derselben gemäß verfahren.

Nein, wir sind zusammengesezte Maschinen;
und wiewohl wir eine Haupttriebfeder haben, die
das Ganze in Bewegung sezt, haben wir doch
auch viele kleine Räder, die ihrer Seits diese
Bewegung verzögern, beschleunigen und zuweilen
gar ihr Einhalt thun.

Laßt

ſolteſt du ſie durchaus kennen lernen, um ſie ge-
ſchikt zu lenken. Dieſe Wiſſenſchaft laͤßt ſich nicht
ſiſtematiſch erlernen; du mußt dir ſie durch eigne
Erfahrung und Beobachtung erwerben. Ich wil
dir ſolche Winke geben, die ich fuͤr nuͤzliche Wege-
ſeulen bei deiner vorhabenden Reiſe halte.

Ich habe dir oft geſagt, und es iſt ſehr wahr,
wir duͤrfen in Anſehung der Menſchen keine al-
gemeinen Folgerungen aus gewiſſen beſondern
Grundſaͤzen ziehen, wiewohl ſie, uͤberhaupt ge-
nommen, richtig ſind. Wir duͤrfen z. B. nicht
annehmen, weil der Menſch ein vernuͤnftiges
Thier iſt, werde er auch allezeit vernuͤnftig han-
deln, oder, weil er die und die herſchende Leiden-
ſchaft hat, ſo werde er immer und regelmaͤßig
derſelben gemaͤß verfahren.

Nein, wir ſind zuſammengeſezte Maſchinen;
und wiewohl wir eine Haupttriebfeder haben, die
das Ganze in Bewegung ſezt, haben wir doch
auch viele kleine Raͤder, die ihrer Seits dieſe
Bewegung verzoͤgern, beſchleunigen und zuweilen
gar ihr Einhalt thun.

Laßt
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[106/0112] ſolteſt du ſie durchaus kennen lernen, um ſie ge- ſchikt zu lenken. Dieſe Wiſſenſchaft laͤßt ſich nicht ſiſtematiſch erlernen; du mußt dir ſie durch eigne Erfahrung und Beobachtung erwerben. Ich wil dir ſolche Winke geben, die ich fuͤr nuͤzliche Wege- ſeulen bei deiner vorhabenden Reiſe halte. Ich habe dir oft geſagt, und es iſt ſehr wahr, wir duͤrfen in Anſehung der Menſchen keine al- gemeinen Folgerungen aus gewiſſen beſondern Grundſaͤzen ziehen, wiewohl ſie, uͤberhaupt ge- nommen, richtig ſind. Wir duͤrfen z. B. nicht annehmen, weil der Menſch ein vernuͤnftiges Thier iſt, werde er auch allezeit vernuͤnftig han- deln, oder, weil er die und die herſchende Leiden- ſchaft hat, ſo werde er immer und regelmaͤßig derſelben gemaͤß verfahren. Nein, wir ſind zuſammengeſezte Maſchinen; und wiewohl wir eine Haupttriebfeder haben, die das Ganze in Bewegung ſezt, haben wir doch auch viele kleine Raͤder, die ihrer Seits dieſe Bewegung verzoͤgern, beſchleunigen und zuweilen gar ihr Einhalt thun. Laßt

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/112>, abgerufen am 07.05.2024.