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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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aufgeschnapt: husch! ist das gelehrte Närchen
am Schreibpult, um sie dem lieben Publikum,
welches mit dergleichen süßlichen und faden Zeuge
sich den Magen schon so oft überladen hat, viel-
leicht zum taufendsten male aufgewärmt und an-
gewässert, von neuem wieder aufzutischen. Es
würde ein unausstehlicher Anblik sein, wenn ein
Maler eine Versamlung ehrwürdiger Greise
mahlte, und vor ihnen einen Ourang Outang in
geheiligtem Ornat, als Lehrer, auftreten ließe, der
die Geselschaft mit Grimassen unterhielte: und
diesen ärgerlichen Anblik müssen wir gleichwohl
mit jeder neuen Messe wohl hundert und mehr-
mahl in Natura ertragen. --

Hüte dich, mein Sohn, vor dieser eben so
lächerlichen als schädlichen Autorseuche. Wisse,
daß das fürchterliche Anschwellen der Bücher
und die damit verbundene Lesewuth, welche
täglich weiter um sich greift, eine Folge und zu-
gleich mit eine Ursache der immer grösser wer-
denden Verderbniß unserer Sitten und der ganzen
Menschheit ist. Man schreibt und lieset, nicht
um zu bessern, nicht um gebessert zu werden, son-

dern

aufgeſchnapt: huſch! iſt das gelehrte Naͤrchen
am Schreibpult, um ſie dem lieben Publikum,
welches mit dergleichen ſuͤßlichen und faden Zeuge
ſich den Magen ſchon ſo oft uͤberladen hat, viel-
leicht zum taufendſten male aufgewaͤrmt und an-
gewaͤſſert, von neuem wieder aufzutiſchen. Es
wuͤrde ein unausſtehlicher Anblik ſein, wenn ein
Maler eine Verſamlung ehrwuͤrdiger Greiſe
mahlte, und vor ihnen einen Ourang Outang in
geheiligtem Ornat, als Lehrer, auftreten ließe, der
die Geſelſchaft mit Grimaſſen unterhielte: und
dieſen aͤrgerlichen Anblik muͤſſen wir gleichwohl
mit jeder neuen Meſſe wohl hundert und mehr-
mahl in Natura ertragen. —

Huͤte dich, mein Sohn, vor dieſer eben ſo
laͤcherlichen als ſchaͤdlichen Autorſeuche. Wiſſe,
daß das fuͤrchterliche Anſchwellen der Buͤcher
und die damit verbundene Leſewuth, welche
taͤglich weiter um ſich greift, eine Folge und zu-
gleich mit eine Urſache der immer groͤſſer wer-
denden Verderbniß unſerer Sitten und der ganzen
Menſchheit iſt. Man ſchreibt und lieſet, nicht
um zu beſſern, nicht um gebeſſert zu werden, ſon-

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[26/0056] aufgeſchnapt: huſch! iſt das gelehrte Naͤrchen am Schreibpult, um ſie dem lieben Publikum, welches mit dergleichen ſuͤßlichen und faden Zeuge ſich den Magen ſchon ſo oft uͤberladen hat, viel- leicht zum taufendſten male aufgewaͤrmt und an- gewaͤſſert, von neuem wieder aufzutiſchen. Es wuͤrde ein unausſtehlicher Anblik ſein, wenn ein Maler eine Verſamlung ehrwuͤrdiger Greiſe mahlte, und vor ihnen einen Ourang Outang in geheiligtem Ornat, als Lehrer, auftreten ließe, der die Geſelſchaft mit Grimaſſen unterhielte: und dieſen aͤrgerlichen Anblik muͤſſen wir gleichwohl mit jeder neuen Meſſe wohl hundert und mehr- mahl in Natura ertragen. — Huͤte dich, mein Sohn, vor dieſer eben ſo laͤcherlichen als ſchaͤdlichen Autorſeuche. Wiſſe, daß das fuͤrchterliche Anſchwellen der Buͤcher und die damit verbundene Leſewuth, welche taͤglich weiter um ſich greift, eine Folge und zu- gleich mit eine Urſache der immer groͤſſer wer- denden Verderbniß unſerer Sitten und der ganzen Menſchheit iſt. Man ſchreibt und lieſet, nicht um zu beſſern, nicht um gebeſſert zu werden, ſon- dern

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/56>, abgerufen am 24.11.2024.