gemeiniglich grade die edelsten Selen verabsäumt; und diese Vernachläßigung allein erklärt dem nach- denkenden Beobachter schon zum Theil das sonst unauflöslichscheinende Räthsel, warum auch diese, welche in dem Reiche eines alweisen und algütigen Weltregenten einer ausgezeichneten Glükseeligkeit genießen solten, nicht selten elend sind.
Es sind aber hiebei vornehmlich vier Re- geln zu beobachten, die ich dir mittheilen wil.
Die erste und wichtigste unter allen ist diese: wolle, indem du auf die Schaubühne des geschäftigen Lebens tritst, nicht glänzen, sondern nüzen und glüklich sein! O eine goldene Regel, deren Beobachtung Zufriedenheit, deren Vernachläßigung unausbleibliches Elend zum Gefolge hat! Und doch, wie selten wird sie befolgt!
Der junge rüstige Geist des Jünglings, durch eine thörichte Erziehung und durch das al- gemeine Beispiel zur Ehrsucht entflamt, fühlt kaum den ersten dürftigen Knospen der frühreifen Manskraft seiner Sele zum Ausbruch anschwellen: so schaut er schon gierig umher, und brent, und
lechzt
gemeiniglich grade die edelſten Selen verabſaͤumt; und dieſe Vernachlaͤßigung allein erklaͤrt dem nach- denkenden Beobachter ſchon zum Theil das ſonſt unaufloͤslichſcheinende Raͤthſel, warum auch dieſe, welche in dem Reiche eines alweiſen und alguͤtigen Weltregenten einer ausgezeichneten Gluͤkſeeligkeit genießen ſolten, nicht ſelten elend ſind.
Es ſind aber hiebei vornehmlich vier Re- geln zu beobachten, die ich dir mittheilen wil.
Die erſte und wichtigſte unter allen iſt dieſe: wolle, indem du auf die Schaubuͤhne des geſchaͤftigen Lebens tritſt, nicht glaͤnzen, ſondern nuͤzen und gluͤklich ſein! O eine goldene Regel, deren Beobachtung Zufriedenheit, deren Vernachlaͤßigung unausbleibliches Elend zum Gefolge hat! Und doch, wie ſelten wird ſie befolgt!
Der junge ruͤſtige Geiſt des Juͤnglings, durch eine thoͤrichte Erziehung und durch das al- gemeine Beiſpiel zur Ehrſucht entflamt, fuͤhlt kaum den erſten duͤrftigen Knospen der fruͤhreifen Manskraft ſeiner Sele zum Ausbruch anſchwellen: ſo ſchaut er ſchon gierig umher, und brent, und
lechzt
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0044"n="14"/>
gemeiniglich grade die edelſten Selen verabſaͤumt;<lb/>
und dieſe Vernachlaͤßigung allein erklaͤrt dem nach-<lb/>
denkenden Beobachter ſchon zum Theil das ſonſt<lb/>
unaufloͤslichſcheinende Raͤthſel, warum auch dieſe,<lb/>
welche in dem Reiche eines alweiſen und alguͤtigen<lb/>
Weltregenten einer ausgezeichneten Gluͤkſeeligkeit<lb/>
genießen ſolten, nicht ſelten elend ſind.</p><lb/><p>Es ſind aber hiebei vornehmlich vier Re-<lb/>
geln zu beobachten, die ich dir mittheilen wil.</p><lb/><p>Die erſte und wichtigſte unter allen iſt dieſe:<lb/><hirendition="#fr">wolle, indem du auf die Schaubuͤhne des<lb/>
geſchaͤftigen Lebens tritſt, nicht glaͤnzen,<lb/>ſondern nuͤzen und gluͤklich ſein</hi>! O eine<lb/>
goldene Regel, deren Beobachtung Zufriedenheit,<lb/>
deren Vernachlaͤßigung unausbleibliches Elend<lb/>
zum Gefolge hat! Und doch, wie ſelten wird ſie<lb/>
befolgt!</p><lb/><p>Der junge ruͤſtige Geiſt des Juͤnglings,<lb/>
durch eine thoͤrichte Erziehung und durch das al-<lb/>
gemeine Beiſpiel zur Ehrſucht entflamt, fuͤhlt<lb/>
kaum den erſten duͤrftigen Knospen der fruͤhreifen<lb/>
Manskraft ſeiner Sele zum Ausbruch anſchwellen:<lb/>ſo ſchaut er ſchon gierig umher, und brent, und<lb/><fwplace="bottom"type="catch">lechzt</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[14/0044]
gemeiniglich grade die edelſten Selen verabſaͤumt;
und dieſe Vernachlaͤßigung allein erklaͤrt dem nach-
denkenden Beobachter ſchon zum Theil das ſonſt
unaufloͤslichſcheinende Raͤthſel, warum auch dieſe,
welche in dem Reiche eines alweiſen und alguͤtigen
Weltregenten einer ausgezeichneten Gluͤkſeeligkeit
genießen ſolten, nicht ſelten elend ſind.
Es ſind aber hiebei vornehmlich vier Re-
geln zu beobachten, die ich dir mittheilen wil.
Die erſte und wichtigſte unter allen iſt dieſe:
wolle, indem du auf die Schaubuͤhne des
geſchaͤftigen Lebens tritſt, nicht glaͤnzen,
ſondern nuͤzen und gluͤklich ſein! O eine
goldene Regel, deren Beobachtung Zufriedenheit,
deren Vernachlaͤßigung unausbleibliches Elend
zum Gefolge hat! Und doch, wie ſelten wird ſie
befolgt!
Der junge ruͤſtige Geiſt des Juͤnglings,
durch eine thoͤrichte Erziehung und durch das al-
gemeine Beiſpiel zur Ehrſucht entflamt, fuͤhlt
kaum den erſten duͤrftigen Knospen der fruͤhreifen
Manskraft ſeiner Sele zum Ausbruch anſchwellen:
ſo ſchaut er ſchon gierig umher, und brent, und
lechzt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/44>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.