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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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Häfen des brausenden Enthusiasmus, das wirk-
lich Gute, Starke und Erhabene von dem Ueber-
spanten, Sonderbaren und Grotesken vorsichtig
genug abzusondern gewußt: so würden Sprache
und Litteratur, Herz und Geist nichts als reinen
Gewin, ohne allen Schaden, davon gehabt
haben.

Aber nun veränderte sich auf einmahl die
Scene: die Kometen bekamen einen Schweif,
der von des Himmels Scheitelpunkt, wo sie
standen, bis an den Horizont reichte; ein wäs-
serigtes dunstiges Wesen, das, ohne selbst ein
Gestirn zu sein, mit Sternenglanze prahlte, und
alle wirklichen Lichter des Himmels im Hui! aus-
zulöschen drohte. Die Menge erstaunte; der
Schwächere sank auf seine Knie, um anzubeten;
der Klügere lächelte, und ging in sein Kämmer-
lein, um mit der Widerkehr des gewöhnlichen
Tageslichts das Ende dieser luftigen Prunkerschei-
nung ruhig abzuwarten.

Mit andern Worten: das ungewöhnliche
Feuer jener Geister verbrante vielen jungen Leuten
das Gehirn, daß sie in eine Art von Wuth ge-

riethen,

Haͤfen des brauſenden Enthuſiasmus, das wirk-
lich Gute, Starke und Erhabene von dem Ueber-
ſpanten, Sonderbaren und Grotesken vorſichtig
genug abzuſondern gewußt: ſo wuͤrden Sprache
und Litteratur, Herz und Geiſt nichts als reinen
Gewin, ohne allen Schaden, davon gehabt
haben.

Aber nun veraͤnderte ſich auf einmahl die
Scene: die Kometen bekamen einen Schweif,
der von des Himmels Scheitelpunkt, wo ſie
ſtanden, bis an den Horizont reichte; ein waͤſ-
ſerigtes dunſtiges Weſen, das, ohne ſelbſt ein
Geſtirn zu ſein, mit Sternenglanze prahlte, und
alle wirklichen Lichter des Himmels im Hui! aus-
zuloͤſchen drohte. Die Menge erſtaunte; der
Schwaͤchere ſank auf ſeine Knie, um anzubeten;
der Kluͤgere laͤchelte, und ging in ſein Kaͤmmer-
lein, um mit der Widerkehr des gewoͤhnlichen
Tageslichts das Ende dieſer luftigen Prunkerſchei-
nung ruhig abzuwarten.

Mit andern Worten: das ungewoͤhnliche
Feuer jener Geiſter verbrante vielen jungen Leuten
das Gehirn, daß ſie in eine Art von Wuth ge-

riethen,
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[210/0240] Haͤfen des brauſenden Enthuſiasmus, das wirk- lich Gute, Starke und Erhabene von dem Ueber- ſpanten, Sonderbaren und Grotesken vorſichtig genug abzuſondern gewußt: ſo wuͤrden Sprache und Litteratur, Herz und Geiſt nichts als reinen Gewin, ohne allen Schaden, davon gehabt haben. Aber nun veraͤnderte ſich auf einmahl die Scene: die Kometen bekamen einen Schweif, der von des Himmels Scheitelpunkt, wo ſie ſtanden, bis an den Horizont reichte; ein waͤſ- ſerigtes dunſtiges Weſen, das, ohne ſelbſt ein Geſtirn zu ſein, mit Sternenglanze prahlte, und alle wirklichen Lichter des Himmels im Hui! aus- zuloͤſchen drohte. Die Menge erſtaunte; der Schwaͤchere ſank auf ſeine Knie, um anzubeten; der Kluͤgere laͤchelte, und ging in ſein Kaͤmmer- lein, um mit der Widerkehr des gewoͤhnlichen Tageslichts das Ende dieſer luftigen Prunkerſchei- nung ruhig abzuwarten. Mit andern Worten: das ungewoͤhnliche Feuer jener Geiſter verbrante vielen jungen Leuten das Gehirn, daß ſie in eine Art von Wuth ge- riethen,

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/240>, abgerufen am 23.11.2024.