Grenzen natürlicher Dinge rasen wollen, wo Vernunft und Erfahrung unbescheidener Weise ihm bald hie bald da den Schlagbaum vorschieben?
Vernunft und Erfahrung -- siehe da, mein Sohn, die beiden Erbfeinde der Schwärmerei überhaupt, und des Fanatismus insonderheit! Siehe da einen untrüglichen Probierstein, woran du diese leztern beiden ganz unfehlbar wirst er- kennen können! So oft du nemlich noch zwei- felhaft bist, ob jemand deiner Bekantschaft von dieser gefährlichen Selenkrankheit wirklich ange- stekt sei oder nicht, laß nur, wie aus Nachläßig- keit, das Wort Vernunft fallen, und fasse dei- nen Man ins Auge. Siehst du, daß er darnach trit, indem seine Blikke sich röthen, seine Lippen sich zusammenpressen: so höre auf zu zweifeln, und besorge länger nicht, daß du ihm zu viel thun mögtest. Denn es ist unmöglich, daß der- jenige, der ein Verächter der Vernunft ist, nicht auch Fantast und Schwärmer sein solte, es müßte denn sein, daß er ein Dumkopf und von gar zu stumpfer Einbildungskraft wäre.
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Grenzen natuͤrlicher Dinge raſen wollen, wo Vernunft und Erfahrung unbeſcheidener Weiſe ihm bald hie bald da den Schlagbaum vorſchieben?
Vernunft und Erfahrung — ſiehe da, mein Sohn, die beiden Erbfeinde der Schwaͤrmerei uͤberhaupt, und des Fanatismus inſonderheit! Siehe da einen untruͤglichen Probierſtein, woran du dieſe leztern beiden ganz unfehlbar wirſt er- kennen koͤnnen! So oft du nemlich noch zwei- felhaft biſt, ob jemand deiner Bekantſchaft von dieſer gefaͤhrlichen Selenkrankheit wirklich ange- ſtekt ſei oder nicht, laß nur, wie aus Nachlaͤßig- keit, das Wort Vernunft fallen, und faſſe dei- nen Man ins Auge. Siehſt du, daß er darnach trit, indem ſeine Blikke ſich roͤthen, ſeine Lippen ſich zuſammenpreſſen: ſo hoͤre auf zu zweifeln, und beſorge laͤnger nicht, daß du ihm zu viel thun moͤgteſt. Denn es iſt unmoͤglich, daß der- jenige, der ein Veraͤchter der Vernunft iſt, nicht auch Fantaſt und Schwaͤrmer ſein ſolte, es muͤßte denn ſein, daß er ein Dumkopf und von gar zu ſtumpfer Einbildungskraft waͤre.
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Grenzen natuͤrlicher Dinge raſen wollen, wo
Vernunft und Erfahrung unbeſcheidener Weiſe ihm
bald hie bald da den Schlagbaum vorſchieben?
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Sohn, die beiden Erbfeinde der Schwaͤrmerei
uͤberhaupt, und des Fanatismus inſonderheit!
Siehe da einen untruͤglichen Probierſtein, woran
du dieſe leztern beiden ganz unfehlbar wirſt er-
kennen koͤnnen! So oft du nemlich noch zwei-
felhaft biſt, ob jemand deiner Bekantſchaft von
dieſer gefaͤhrlichen Selenkrankheit wirklich ange-
ſtekt ſei oder nicht, laß nur, wie aus Nachlaͤßig-
keit, das Wort Vernunft fallen, und faſſe dei-
nen Man ins Auge. Siehſt du, daß er darnach
trit, indem ſeine Blikke ſich roͤthen, ſeine Lippen
ſich zuſammenpreſſen: ſo hoͤre auf zu zweifeln,
und beſorge laͤnger nicht, daß du ihm zu viel
thun moͤgteſt. Denn es iſt unmoͤglich, daß der-
jenige, der ein Veraͤchter der Vernunft iſt, nicht
auch Fantaſt und Schwaͤrmer ſein ſolte, es
muͤßte denn ſein, daß er ein Dumkopf und von
gar zu ſtumpfer Einbildungskraft waͤre.
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/226>, abgerufen am 19.05.2024.
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