Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Und hier kan ich nicht umhin, dich noch
ganz besonders vor dem Misbrauche dei-
ner etwanigen Ueberlegenheit an Wiz und
Verstande zu warnen
. Man misbraucht aber
beide, wenn man sie dazu anwendet, Schwächere
in Verlegenheit zu sezen, sie lächerlich oder wohl
gar verächtlich zu machen. Davor hüte dich,
mein Sohn, auf das allersorgfältigste, fest über-
zeugt, daß Wiz, Scharfsin und Verstand, wenn
sie nicht von beständiger Gutmüthigkeit begleitet
werden, uns weder Liebe noch wahre Achtung er-
werben können. Sie sind ein Messer, welches
uns gegeben ward, den Armen am Geist unser
Brod zu schneiden, nicht ihnen damit ins
Herz zu stoßen. Wehe dem unfreundlichen
Besizer derselben, der sie dazu misbrauchen kan!
Die Wollust edler Selen -- sich geliebt zu
sehen -- wird ihm nie zu Theil werden. Und
würden seine wizigen Einfälle auch noch so laut
belacht und beklatscht: so wird er doch nie mehr
davon haben, als der Pavian, dessen hämische
Affenstreiche auch wohl belacht werden, aber

bei
M

Und hier kan ich nicht umhin, dich noch
ganz beſonders vor dem Misbrauche dei-
ner etwanigen Ueberlegenheit an Wiz und
Verſtande zu warnen
. Man misbraucht aber
beide, wenn man ſie dazu anwendet, Schwaͤchere
in Verlegenheit zu ſezen, ſie laͤcherlich oder wohl
gar veraͤchtlich zu machen. Davor huͤte dich,
mein Sohn, auf das allerſorgfaͤltigſte, feſt uͤber-
zeugt, daß Wiz, Scharfſin und Verſtand, wenn
ſie nicht von beſtaͤndiger Gutmuͤthigkeit begleitet
werden, uns weder Liebe noch wahre Achtung er-
werben koͤnnen. Sie ſind ein Meſſer, welches
uns gegeben ward, den Armen am Geiſt unſer
Brod zu ſchneiden, nicht ihnen damit ins
Herz zu ſtoßen. Wehe dem unfreundlichen
Beſizer derſelben, der ſie dazu misbrauchen kan!
Die Wolluſt edler Selen — ſich geliebt zu
ſehen — wird ihm nie zu Theil werden. Und
wuͤrden ſeine wizigen Einfaͤlle auch noch ſo laut
belacht und beklatſcht: ſo wird er doch nie mehr
davon haben, als der Pavian, deſſen haͤmiſche
Affenſtreiche auch wohl belacht werden, aber

bei
M
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0207" n="177"/>
        <p><hi rendition="#fr">Und hier kan ich nicht umhin, dich noch<lb/>
ganz be&#x017F;onders vor dem Misbrauche dei-<lb/>
ner etwanigen Ueberlegenheit an Wiz und<lb/>
Ver&#x017F;tande zu warnen</hi>. Man misbraucht aber<lb/>
beide, wenn man &#x017F;ie dazu anwendet, Schwa&#x0364;chere<lb/>
in Verlegenheit zu &#x017F;ezen, &#x017F;ie la&#x0364;cherlich oder wohl<lb/>
gar vera&#x0364;chtlich zu machen. Davor hu&#x0364;te dich,<lb/>
mein Sohn, auf das aller&#x017F;orgfa&#x0364;ltig&#x017F;te, fe&#x017F;t u&#x0364;ber-<lb/>
zeugt, daß Wiz, Scharf&#x017F;in und Ver&#x017F;tand, wenn<lb/>
&#x017F;ie nicht von be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Gutmu&#x0364;thigkeit begleitet<lb/>
werden, uns weder Liebe noch wahre Achtung er-<lb/>
werben ko&#x0364;nnen. Sie &#x017F;ind ein Me&#x017F;&#x017F;er, welches<lb/>
uns gegeben ward, den Armen am Gei&#x017F;t un&#x017F;er<lb/>
Brod zu &#x017F;chneiden, nicht ihnen damit ins<lb/>
Herz zu &#x017F;toßen. Wehe dem unfreundlichen<lb/>
Be&#x017F;izer der&#x017F;elben, der &#x017F;ie dazu misbrauchen kan!<lb/>
Die Wollu&#x017F;t edler Selen &#x2014; &#x017F;ich geliebt zu<lb/>
&#x017F;ehen &#x2014; wird ihm nie zu Theil werden. Und<lb/>
wu&#x0364;rden &#x017F;eine wizigen Einfa&#x0364;lle auch noch &#x017F;o laut<lb/>
belacht und beklat&#x017F;cht: &#x017F;o wird er doch nie mehr<lb/>
davon haben, als der Pavian, de&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;mi&#x017F;che<lb/>
Affen&#x017F;treiche auch wohl belacht werden, aber<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M</fw><fw place="bottom" type="catch">bei</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0207] Und hier kan ich nicht umhin, dich noch ganz beſonders vor dem Misbrauche dei- ner etwanigen Ueberlegenheit an Wiz und Verſtande zu warnen. Man misbraucht aber beide, wenn man ſie dazu anwendet, Schwaͤchere in Verlegenheit zu ſezen, ſie laͤcherlich oder wohl gar veraͤchtlich zu machen. Davor huͤte dich, mein Sohn, auf das allerſorgfaͤltigſte, feſt uͤber- zeugt, daß Wiz, Scharfſin und Verſtand, wenn ſie nicht von beſtaͤndiger Gutmuͤthigkeit begleitet werden, uns weder Liebe noch wahre Achtung er- werben koͤnnen. Sie ſind ein Meſſer, welches uns gegeben ward, den Armen am Geiſt unſer Brod zu ſchneiden, nicht ihnen damit ins Herz zu ſtoßen. Wehe dem unfreundlichen Beſizer derſelben, der ſie dazu misbrauchen kan! Die Wolluſt edler Selen — ſich geliebt zu ſehen — wird ihm nie zu Theil werden. Und wuͤrden ſeine wizigen Einfaͤlle auch noch ſo laut belacht und beklatſcht: ſo wird er doch nie mehr davon haben, als der Pavian, deſſen haͤmiſche Affenſtreiche auch wohl belacht werden, aber bei M

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/207
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/207>, abgerufen am 24.11.2024.