Wahre Verdienste mit wahrer Beschei- denheit zu verbinden -- siehe da, mein Sohn, den kurzen Inbegrif der ganzen Kunst, sich ge- fällig und beliebt zu machen! Das eine dieser beiden Mittel ohne das andere ist nichts; verei- nigt sind sie alles. Verdienste ohne Bescheiden- heit können kalte Bewunderung, Bescheidenheit ohne Verdienste kan mitleidige Güte, aber wohl- wollende Achtung können nur beide in Verbin- dung wirken.
Die erste Seite also, von der du dich als Neuling ankündigen wirst, sei Beschei- denheit; Bescheidenheit im Anzuge, im Gange, in der Stellung, in Mienen, Blik- ken, Worten und Handlungen, vornemlich aber -- und das ist die Hauptsache -- in dem Innersten deines Herzens. Denn ist sie da, so wird sie sich von selbst und ohne Zwang auch über dein ganzes Aeusserliches ergießen; wo nicht, so werden Eitelkeit und Dünkel hinter allen dei- nen Grimassen von Demuth wider deinen Willen hervorgukken, und dem Menschenkenner nicht verborgen bleiben. Sie wird aber zuverlässig da
sein,
Wahre Verdienſte mit wahrer Beſchei- denheit zu verbinden — ſiehe da, mein Sohn, den kurzen Inbegrif der ganzen Kunſt, ſich ge- faͤllig und beliebt zu machen! Das eine dieſer beiden Mittel ohne das andere iſt nichts; verei- nigt ſind ſie alles. Verdienſte ohne Beſcheiden- heit koͤnnen kalte Bewunderung, Beſcheidenheit ohne Verdienſte kan mitleidige Guͤte, aber wohl- wollende Achtung koͤnnen nur beide in Verbin- dung wirken.
Die erſte Seite alſo, von der du dich als Neuling ankuͤndigen wirſt, ſei Beſchei- denheit; Beſcheidenheit im Anzuge, im Gange, in der Stellung, in Mienen, Blik- ken, Worten und Handlungen, vornemlich aber — und das iſt die Hauptſache — in dem Innerſten deines Herzens. Denn iſt ſie da, ſo wird ſie ſich von ſelbſt und ohne Zwang auch uͤber dein ganzes Aeuſſerliches ergießen; wo nicht, ſo werden Eitelkeit und Duͤnkel hinter allen dei- nen Grimaſſen von Demuth wider deinen Willen hervorgukken, und dem Menſchenkenner nicht verborgen bleiben. Sie wird aber zuverlaͤſſig da
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Wahre Verdienſte mit wahrer Beſchei-
denheit zu verbinden — ſiehe da, mein Sohn,
den kurzen Inbegrif der ganzen Kunſt, ſich ge-
faͤllig und beliebt zu machen! Das eine dieſer
beiden Mittel ohne das andere iſt nichts; verei-
nigt ſind ſie alles. Verdienſte ohne Beſcheiden-
heit koͤnnen kalte Bewunderung, Beſcheidenheit
ohne Verdienſte kan mitleidige Guͤte, aber wohl-
wollende Achtung koͤnnen nur beide in Verbin-
dung wirken.
Die erſte Seite alſo, von der du dich
als Neuling ankuͤndigen wirſt, ſei Beſchei-
denheit; Beſcheidenheit im Anzuge, im
Gange, in der Stellung, in Mienen, Blik-
ken, Worten und Handlungen, vornemlich
aber — und das iſt die Hauptſache — in dem
Innerſten deines Herzens. Denn iſt ſie da,
ſo wird ſie ſich von ſelbſt und ohne Zwang auch
uͤber dein ganzes Aeuſſerliches ergießen; wo nicht,
ſo werden Eitelkeit und Duͤnkel hinter allen dei-
nen Grimaſſen von Demuth wider deinen Willen
hervorgukken, und dem Menſchenkenner nicht
verborgen bleiben. Sie wird aber zuverlaͤſſig da
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/188>, abgerufen am 25.11.2024.
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