Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Bd. 1. Hamburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Diderich. (Verlegen.) Ja -- das weiß
ich nicht.

Vater. Ich würde ohngefähr so zu ihr
sprechen: "liebe Fliege, deine Frage ist sehr
verwegen, und beweiset, daß du mit deinem
kleinen Kopfe noch nicht ordentlich zu denken ge-
lernt hast. Sonst würdest du bei dem gering-
sten Nachdenken leicht erkant haben, daß Gott
aus blosser Güte viele seiner Geschöpfe so einge-
richtet habe, daß Eins von dem Andern leben
muß. Denn hätt' er dies nicht gethan, so wür-
de er nicht halb so viel Thierarten haben erschaf-
fen können: weil Gras und Früchte nur für we-
nige Arten von lebendigen Geschöpfen hinrei-
chend gewesen wären. Damit also die ganze Erde
belebt würde, damit überal -- in Wasser, Luft
und Erde -- lebendige Wesen wären, die sich
ihres Daseins freuten, so lange sie lebten, und
damit die eine Art von Geschöpfen nicht zum
Untergang einer andern Art sich gar zu stark
vermehrte: so mußte der weise und gute Gott
die Einrichtung treffen, daß einige Geschöpfe
auf Unkosten anderer lebten. -- Ueberdem hast

du

Diderich. (Verlegen.) Ja — das weiß
ich nicht.

Vater. Ich wuͤrde ohngefaͤhr ſo zu ihr
ſprechen: „liebe Fliege, deine Frage iſt ſehr
verwegen, und beweiſet, daß du mit deinem
kleinen Kopfe noch nicht ordentlich zu denken ge-
lernt haſt. Sonſt wuͤrdeſt du bei dem gering-
ſten Nachdenken leicht erkant haben, daß Gott
aus bloſſer Guͤte viele ſeiner Geſchoͤpfe ſo einge-
richtet habe, daß Eins von dem Andern leben
muß. Denn haͤtt' er dies nicht gethan, ſo wuͤr-
de er nicht halb ſo viel Thierarten haben erſchaf-
fen koͤnnen: weil Gras und Fruͤchte nur fuͤr we-
nige Arten von lebendigen Geſchoͤpfen hinrei-
chend geweſen waͤren. Damit alſo die ganze Erde
belebt wuͤrde, damit uͤberal — in Waſſer, Luft
und Erde — lebendige Weſen waͤren, die ſich
ihres Daſeins freuten, ſo lange ſie lebten, und
damit die eine Art von Geſchoͤpfen nicht zum
Untergang einer andern Art ſich gar zu ſtark
vermehrte: ſo mußte der weiſe und gute Gott
die Einrichtung treffen, daß einige Geſchoͤpfe
auf Unkoſten anderer lebten. — Ueberdem haſt

du
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0316" n="276"/>
          <p><hi rendition="#fr">Diderich.</hi> (Verlegen.) Ja &#x2014; das weiß<lb/>
ich nicht.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Vater.</hi> Ich wu&#x0364;rde ohngefa&#x0364;hr &#x017F;o zu ihr<lb/>
&#x017F;prechen: &#x201E;liebe Fliege, deine Frage i&#x017F;t &#x017F;ehr<lb/>
verwegen, und bewei&#x017F;et, daß du mit deinem<lb/>
kleinen Kopfe noch nicht ordentlich zu denken ge-<lb/>
lernt ha&#x017F;t. Son&#x017F;t wu&#x0364;rde&#x017F;t du bei dem gering-<lb/>
&#x017F;ten Nachdenken leicht erkant haben, daß Gott<lb/>
aus blo&#x017F;&#x017F;er Gu&#x0364;te viele &#x017F;einer Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe &#x017F;o einge-<lb/>
richtet habe, daß Eins von dem Andern leben<lb/>
muß. Denn ha&#x0364;tt' er dies nicht gethan, &#x017F;o wu&#x0364;r-<lb/>
de er nicht halb &#x017F;o viel Thierarten haben er&#x017F;chaf-<lb/>
fen ko&#x0364;nnen: weil Gras und Fru&#x0364;chte nur fu&#x0364;r we-<lb/>
nige Arten von lebendigen Ge&#x017F;cho&#x0364;pfen hinrei-<lb/>
chend gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren. Damit al&#x017F;o die ganze Erde<lb/>
belebt wu&#x0364;rde, damit u&#x0364;beral &#x2014; in Wa&#x017F;&#x017F;er, Luft<lb/>
und Erde &#x2014; lebendige We&#x017F;en wa&#x0364;ren, die &#x017F;ich<lb/>
ihres Da&#x017F;eins freuten, &#x017F;o lange &#x017F;ie lebten, und<lb/>
damit die eine Art von Ge&#x017F;cho&#x0364;pfen nicht zum<lb/>
Untergang einer andern Art &#x017F;ich gar zu &#x017F;tark<lb/>
vermehrte: &#x017F;o mußte der wei&#x017F;e und gute Gott<lb/>
die Einrichtung treffen, daß einige Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe<lb/>
auf Unko&#x017F;ten anderer lebten. &#x2014; Ueberdem ha&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">du</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[276/0316] Diderich. (Verlegen.) Ja — das weiß ich nicht. Vater. Ich wuͤrde ohngefaͤhr ſo zu ihr ſprechen: „liebe Fliege, deine Frage iſt ſehr verwegen, und beweiſet, daß du mit deinem kleinen Kopfe noch nicht ordentlich zu denken ge- lernt haſt. Sonſt wuͤrdeſt du bei dem gering- ſten Nachdenken leicht erkant haben, daß Gott aus bloſſer Guͤte viele ſeiner Geſchoͤpfe ſo einge- richtet habe, daß Eins von dem Andern leben muß. Denn haͤtt' er dies nicht gethan, ſo wuͤr- de er nicht halb ſo viel Thierarten haben erſchaf- fen koͤnnen: weil Gras und Fruͤchte nur fuͤr we- nige Arten von lebendigen Geſchoͤpfen hinrei- chend geweſen waͤren. Damit alſo die ganze Erde belebt wuͤrde, damit uͤberal — in Waſſer, Luft und Erde — lebendige Weſen waͤren, die ſich ihres Daſeins freuten, ſo lange ſie lebten, und damit die eine Art von Geſchoͤpfen nicht zum Untergang einer andern Art ſich gar zu ſtark vermehrte: ſo mußte der weiſe und gute Gott die Einrichtung treffen, daß einige Geſchoͤpfe auf Unkoſten anderer lebten. — Ueberdem haſt du

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_robinson01_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_robinson01_1779/316
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Bd. 1. Hamburg, 1779, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_robinson01_1779/316>, abgerufen am 25.11.2024.