Busoni, Ferruccio: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. 2. Aufl. Leipzig, [1916].des göttlichen Kindes widersetzt sich; sie fordert das Gegen- Da wird der Gesetzgeber unwillig und verweist den "Notation" ("Skription") bringt mich auf Transkription: Es ist ähnlich wie mit dem Menschen. Nackt und mit des göttlichen Kindes widersetzt sich; sie fordert das Gegen- Da wird der Gesetzgeber unwillig und verweist den „Notation“ („Skription“) bringt mich auf Transkription: Es ist ähnlich wie mit dem Menschen. Nackt und mit <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0022" n="22"/> des göttlichen Kindes widersetzt sich; sie fordert das Gegen-<lb/> teil. Jeder Tag beginnt anders als der vorige und doch<lb/> immer mit einer Morgenröte. – Große Künstler spielen<lb/> ihre eigenen Werke immer wieder verschieden, gestalten sie<lb/> im Augenblicke um, beschleunigen und halten zurück – wie<lb/> sie es nicht in Zeichen umsetzen konnten – und immer nach<lb/> den gegebenen Verhältnissen jener „ewigen Harmonie“.</p><lb/> <p>Da wird der Gesetzgeber unwillig und verweist den<lb/> Schöpfer auf dessen eigene Zeichen. So, wie es heute steht,<lb/> behält der Gesetzgeber recht.</p><lb/> <p> „Notation“ („Skription“) bringt mich auf Transkription:<lb/> gegenwärtig ein recht mißverstandener, fast schimpflicher<lb/> Begriff. Die häufige Opposition, die ich mit „Transkrip-<lb/> tionen“ erregte, und die Opposition, die oft unvernünftige<lb/> Kritik in mir hervorrief, veranlaßten mich zum Versuch,<lb/> über diesen Punkt Klarheit zu gewinnen. Was ich endgültig<lb/> darüber denke, ist: Jede Notation ist schon Transkription<lb/> eines abstrakten Einfalls. Mit dem Augenblick, da die Feder<lb/> sich seiner bemächtigt, verliert der Gedanke seine Original-<lb/> gestalt. Die Absicht, den Einfall aufzuschreiben, bedingt<lb/> schon die Wahl von Taktart und Tonart. Form- und Klang-<lb/> mittel, für welche der Komponist sich entscheiden muß,<lb/> bestimmen mehr und mehr den Weg und die Grenzen.</p><lb/> <p>Es ist ähnlich wie mit dem Menschen. Nackt und mit<lb/> noch unbestimmten Neigungen geboren, entschließt er sich<lb/> oder wird er in einem gegebenen Augenblick zum Entschluß<lb/> getrieben, eine Laufbahn zu wählen. Mag auch vom Ein-<lb/> fall oder vom Menschen manches Originale, das unver-<lb/> wüstlich ist, weiterbestehen: sie sind doch von dem Augen-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [22/0022]
des göttlichen Kindes widersetzt sich; sie fordert das Gegen-
teil. Jeder Tag beginnt anders als der vorige und doch
immer mit einer Morgenröte. – Große Künstler spielen
ihre eigenen Werke immer wieder verschieden, gestalten sie
im Augenblicke um, beschleunigen und halten zurück – wie
sie es nicht in Zeichen umsetzen konnten – und immer nach
den gegebenen Verhältnissen jener „ewigen Harmonie“.
Da wird der Gesetzgeber unwillig und verweist den
Schöpfer auf dessen eigene Zeichen. So, wie es heute steht,
behält der Gesetzgeber recht.
„Notation“ („Skription“) bringt mich auf Transkription:
gegenwärtig ein recht mißverstandener, fast schimpflicher
Begriff. Die häufige Opposition, die ich mit „Transkrip-
tionen“ erregte, und die Opposition, die oft unvernünftige
Kritik in mir hervorrief, veranlaßten mich zum Versuch,
über diesen Punkt Klarheit zu gewinnen. Was ich endgültig
darüber denke, ist: Jede Notation ist schon Transkription
eines abstrakten Einfalls. Mit dem Augenblick, da die Feder
sich seiner bemächtigt, verliert der Gedanke seine Original-
gestalt. Die Absicht, den Einfall aufzuschreiben, bedingt
schon die Wahl von Taktart und Tonart. Form- und Klang-
mittel, für welche der Komponist sich entscheiden muß,
bestimmen mehr und mehr den Weg und die Grenzen.
Es ist ähnlich wie mit dem Menschen. Nackt und mit
noch unbestimmten Neigungen geboren, entschließt er sich
oder wird er in einem gegebenen Augenblick zum Entschluß
getrieben, eine Laufbahn zu wählen. Mag auch vom Ein-
fall oder vom Menschen manches Originale, das unver-
wüstlich ist, weiterbestehen: sie sind doch von dem Augen-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften, herausgegeben von Christian Schaper und Ullrich Scheideler, Humboldt-Universität zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2019-05-15T13:49:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Schaper, Maximilian Furthmüller, Theresa Menard, Vanda Hehr, Clemens Gubsch, Claudio Fuchs, Jupp Wegner, David Mews, Ullrich Scheideler: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2019-05-27T13:49:52Z)
Benjamin Fiechter: Konvertierung ins DTA-Basisformat
(2019-05-27T13:49:52Z)
Weitere Informationen:Textgrundlage von 1906 von Busoni hauptsächlich 1914 überarbeitet. Gedruckt 1916 in Altenburg; erschienen im Insel-Verlag zu Leipzig als Nr. 202 der Insel-Bücherei. Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.busoni-nachlass.org/de/Projekt/E1000003.html, http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien. Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |