Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

scheinungen abgeändert, den hierdurch herbeigeführten Tod des
Reisenden verursacht hat. Es dürfte wohl auch der Arzt, welcher
den unregelmäßigen Verlauf der Krankheit zu einem regel-
mäßigen gestaltet hat, als die Ursache der Rettung des Kranken
anzusehen sein. Und wer die regelmäßige Entwicklung des
Verlaufs gegebener Erscheinungen vor den Eingriffen einer
unregelmäßigen Erscheinung bewahrt hat, ist nicht minder als
die Ursache anzusehen, daß es bei der regelmäßigen Ent-
wicklung sein Bewenden behielt. Handelt es sich endlich um
ruhende Kräfte, etwa um die in der Schachtel aufbewahrten
Streichhölzer, so ist derjenige, welcher sie entzündet, Ursache
der Erscheinung des Brennens, obgleich sich hier wohl nicht
gerade sagen läßt, er habe den regelmäßigen Verlauf von
Erscheinungen abgeändert. -- Es müßte auch nach der
Definition v. B. zur Feststellung der Ursachlichkeit der Beweis
erbracht werden, daß ohne das Eingreifen der menschlichen
Thätigkeit in bereits vorhandene Erscheinungen der Verlauf
derselben wirklich ein regelmäßiger geblieben sein würde.
Nicht darum ist aber Jemand Ursache der neuen Erscheinung,
weil er es verschuldet hätte, daß nicht der regelmäßige Verlauf
der früheren Erscheinungen eingetreten ist. Es ist vielmehr
durchaus gleichgültig, welchen Verlauf die früheren Er-
scheinungen ohne die hinzugetretene menschliche Thätigkeit
genommen haben würden -- einen regelmäßigen oder unregel-
mäßigen.

Die Berufung v. B. endlich auf die römischen Quellen
(S. 119 flg.) trägt zur Rechtfertigung seiner Theorie nichts bei.
-- Für den Satz, daß der aus einer der Regel des Lebens
entsprechenden Handlung hervorgegang ene Erfolg nicht ver-
antwortet zu werden brauche, wird auf den bonus pater
familias
hingewiesen. Aber dieser abstracte Mustermann darf
für das Strafrecht keine Berechtigung beanspruchen, weil es

ſcheinungen abgeändert, den hierdurch herbeigeführten Tod des
Reiſenden verurſacht hat. Es dürfte wohl auch der Arzt, welcher
den unregelmäßigen Verlauf der Krankheit zu einem regel-
mäßigen geſtaltet hat, als die Urſache der Rettung des Kranken
anzuſehen ſein. Und wer die regelmäßige Entwicklung des
Verlaufs gegebener Erſcheinungen vor den Eingriffen einer
unregelmäßigen Erſcheinung bewahrt hat, iſt nicht minder als
die Urſache anzuſehen, daß es bei der regelmäßigen Ent-
wicklung ſein Bewenden behielt. Handelt es ſich endlich um
ruhende Kräfte, etwa um die in der Schachtel aufbewahrten
Streichhölzer, ſo iſt derjenige, welcher ſie entzündet, Urſache
der Erſcheinung des Brennens, obgleich ſich hier wohl nicht
gerade ſagen läßt, er habe den regelmäßigen Verlauf von
Erſcheinungen abgeändert. — Es müßte auch nach der
Definition v. B. zur Feſtſtellung der Urſachlichkeit der Beweis
erbracht werden, daß ohne das Eingreifen der menſchlichen
Thätigkeit in bereits vorhandene Erſcheinungen der Verlauf
derſelben wirklich ein regelmäßiger geblieben ſein würde.
Nicht darum iſt aber Jemand Urſache der neuen Erſcheinung,
weil er es verſchuldet hätte, daß nicht der regelmäßige Verlauf
der früheren Erſcheinungen eingetreten iſt. Es iſt vielmehr
durchaus gleichgültig, welchen Verlauf die früheren Er-
ſcheinungen ohne die hinzugetretene menſchliche Thätigkeit
genommen haben würden — einen regelmäßigen oder unregel-
mäßigen.

Die Berufung v. B. endlich auf die römiſchen Quellen
(S. 119 flg.) trägt zur Rechtfertigung ſeiner Theorie nichts bei.
— Für den Satz, daß der aus einer der Regel des Lebens
entſprechenden Handlung hervorgegang ene Erfolg nicht ver-
antwortet zu werden brauche, wird auf den bonus pater
familias
hingewieſen. Aber dieſer abſtracte Muſtermann darf
für das Strafrecht keine Berechtigung beanſpruchen, weil es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="11"/>
&#x017F;cheinungen abgeändert, den hierdurch herbeigeführten Tod des<lb/>
Rei&#x017F;enden verur&#x017F;acht hat. Es dürfte wohl auch der Arzt, welcher<lb/>
den <hi rendition="#g">unregelmäßigen</hi> Verlauf der Krankheit zu einem regel-<lb/>
mäßigen ge&#x017F;taltet hat, als die Ur&#x017F;ache der Rettung des Kranken<lb/>
anzu&#x017F;ehen &#x017F;ein. Und wer die regelmäßige Entwicklung des<lb/>
Verlaufs gegebener Er&#x017F;cheinungen vor den Eingriffen einer<lb/>
unregelmäßigen Er&#x017F;cheinung bewahrt hat, i&#x017F;t nicht minder als<lb/>
die Ur&#x017F;ache anzu&#x017F;ehen, daß es bei der regelmäßigen Ent-<lb/>
wicklung &#x017F;ein Bewenden behielt. Handelt es &#x017F;ich endlich um<lb/>
ruhende Kräfte, etwa um die in der Schachtel aufbewahrten<lb/>
Streichhölzer, &#x017F;o i&#x017F;t derjenige, welcher &#x017F;ie entzündet, Ur&#x017F;ache<lb/>
der Er&#x017F;cheinung des Brennens, obgleich &#x017F;ich hier wohl nicht<lb/>
gerade &#x017F;agen läßt, er habe den regelmäßigen Verlauf von<lb/>
Er&#x017F;cheinungen abgeändert. &#x2014; Es müßte auch nach der<lb/>
Definition v. B. zur Fe&#x017F;t&#x017F;tellung der Ur&#x017F;achlichkeit der Beweis<lb/>
erbracht werden, daß ohne das Eingreifen der men&#x017F;chlichen<lb/>
Thätigkeit in bereits vorhandene Er&#x017F;cheinungen der Verlauf<lb/>
der&#x017F;elben wirklich ein regelmäßiger geblieben &#x017F;ein würde.<lb/>
Nicht darum i&#x017F;t aber Jemand Ur&#x017F;ache der neuen Er&#x017F;cheinung,<lb/>
weil er es ver&#x017F;chuldet hätte, daß nicht der regelmäßige Verlauf<lb/>
der früheren Er&#x017F;cheinungen eingetreten i&#x017F;t. Es i&#x017F;t vielmehr<lb/>
durchaus gleichgültig, welchen Verlauf die früheren Er-<lb/>
&#x017F;cheinungen ohne die hinzugetretene men&#x017F;chliche Thätigkeit<lb/>
genommen haben würden &#x2014; einen regelmäßigen oder unregel-<lb/>
mäßigen.</p><lb/>
        <p>Die Berufung v. B. endlich auf die römi&#x017F;chen Quellen<lb/>
(S. 119 flg.) trägt zur Rechtfertigung &#x017F;einer Theorie nichts bei.<lb/>
&#x2014; Für den Satz, daß der aus einer der Regel des Lebens<lb/>
ent&#x017F;prechenden Handlung hervorgegang ene Erfolg nicht ver-<lb/>
antwortet zu werden brauche, wird auf den <hi rendition="#aq">bonus pater<lb/>
familias</hi> hingewie&#x017F;en. Aber die&#x017F;er ab&#x017F;tracte Mu&#x017F;termann darf<lb/>
für das Strafrecht keine Berechtigung bean&#x017F;pruchen, weil es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0015] ſcheinungen abgeändert, den hierdurch herbeigeführten Tod des Reiſenden verurſacht hat. Es dürfte wohl auch der Arzt, welcher den unregelmäßigen Verlauf der Krankheit zu einem regel- mäßigen geſtaltet hat, als die Urſache der Rettung des Kranken anzuſehen ſein. Und wer die regelmäßige Entwicklung des Verlaufs gegebener Erſcheinungen vor den Eingriffen einer unregelmäßigen Erſcheinung bewahrt hat, iſt nicht minder als die Urſache anzuſehen, daß es bei der regelmäßigen Ent- wicklung ſein Bewenden behielt. Handelt es ſich endlich um ruhende Kräfte, etwa um die in der Schachtel aufbewahrten Streichhölzer, ſo iſt derjenige, welcher ſie entzündet, Urſache der Erſcheinung des Brennens, obgleich ſich hier wohl nicht gerade ſagen läßt, er habe den regelmäßigen Verlauf von Erſcheinungen abgeändert. — Es müßte auch nach der Definition v. B. zur Feſtſtellung der Urſachlichkeit der Beweis erbracht werden, daß ohne das Eingreifen der menſchlichen Thätigkeit in bereits vorhandene Erſcheinungen der Verlauf derſelben wirklich ein regelmäßiger geblieben ſein würde. Nicht darum iſt aber Jemand Urſache der neuen Erſcheinung, weil er es verſchuldet hätte, daß nicht der regelmäßige Verlauf der früheren Erſcheinungen eingetreten iſt. Es iſt vielmehr durchaus gleichgültig, welchen Verlauf die früheren Er- ſcheinungen ohne die hinzugetretene menſchliche Thätigkeit genommen haben würden — einen regelmäßigen oder unregel- mäßigen. Die Berufung v. B. endlich auf die römiſchen Quellen (S. 119 flg.) trägt zur Rechtfertigung ſeiner Theorie nichts bei. — Für den Satz, daß der aus einer der Regel des Lebens entſprechenden Handlung hervorgegang ene Erfolg nicht ver- antwortet zu werden brauche, wird auf den bonus pater familias hingewieſen. Aber dieſer abſtracte Muſtermann darf für das Strafrecht keine Berechtigung beanſpruchen, weil es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buri_causalitaet_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buri_causalitaet_1873/15
Zitationshilfe: Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buri_causalitaet_1873/15>, abgerufen am 18.12.2024.