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Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855.

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seine Begierden und seine Bedürfnisse zügelt, mit einem Worte, er nennt so die Vorschrift, welche eben nur darin besteht, nicht anders zu sein, als wozu die Natur ihn gestempelt hat, im Gegensatze zu der von ihm Unmäßigkeit geheißenen Neigung, über das Bedürfniß der vernunftlosen Bestie hinauszugehen.

Die Unmäßigkeit ist demnach jenes ungeregelte Verlangen, das Gefühl der Lust, welche in dem Menschen bei der Befriedigung selbst seiner unwesentlichsten Bedürfnisse sich regt, bis zu den äußersten Grenzen hin zu verlängern. Unersättlich, von der Sucht des Genießens verzehrt, sobald eine angenehme Empfindung in ihm erwacht ist, hat er diese stets von Neuem aufzustacheln gestrebt, ist sein ganzes Sinnen und Trachten solcher Erneuerung zugewendet worden, und er hat es darin denn auch möglichst weit gebracht, so weit nämlich, daß diese Empfindung in ihrer allzu häufigen Anregung endlich sein physisches und moralisches Verderben herbeiführen mußte.

Ueber die Unmäßigkeit im Allgemeinen zu schreiben, hieße die Geschichte aller der Leidenschaften, von welchen die menschliche Species gepeinigt wird, geben, hieße den Menschen von allen Gesichtspuncten aus studiren wollen; und Gott weiß, wie weit ein solches Vorhaben über meine Kräfte gehen würde, und wie weit es die bescheidenen Gränzen überschreiten würde, welche ich mir in diesem Buche gesteckt habe. Nein, ich nehme jenes Wort hier wohlbedächtig nur in seiner engeren Bedeutung, ich will hier darunter nichts weiter verstanden wissen, als die Idee, welche in dem Geiste aller Derer, an welche ich mich hier wende, bereits erwacht sein wird, ich will hier lediglich von der Unmäßigkeit im Genusse von Getränken handeln.

Das durch den Mißbrauch der alkoholischen Getränke verursachte Unheil ist von unermeßlicher, unberechnenbarer Tragweite; denn es lastet nicht allein auf dem einzelnen Menschen, sonder auch auf der Familie und der ganzen öffentlichen Gesellschaft, indem sie, eine

seine Begierden und seine Bedürfnisse zügelt, mit einem Worte, er nennt so die Vorschrift, welche eben nur darin besteht, nicht anders zu sein, als wozu die Natur ihn gestempelt hat, im Gegensatze zu der von ihm Unmäßigkeit geheißenen Neigung, über das Bedürfniß der vernunftlosen Bestie hinauszugehen.

Die Unmäßigkeit ist demnach jenes ungeregelte Verlangen, das Gefühl der Lust, welche in dem Menschen bei der Befriedigung selbst seiner unwesentlichsten Bedürfnisse sich regt, bis zu den äußersten Grenzen hin zu verlängern. Unersättlich, von der Sucht des Genießens verzehrt, sobald eine angenehme Empfindung in ihm erwacht ist, hat er diese stets von Neuem aufzustacheln gestrebt, ist sein ganzes Sinnen und Trachten solcher Erneuerung zugewendet worden, und er hat es darin denn auch möglichst weit gebracht, so weit nämlich, daß diese Empfindung in ihrer allzu häufigen Anregung endlich sein physisches und moralisches Verderben herbeiführen mußte.

Ueber die Unmäßigkeit im Allgemeinen zu schreiben, hieße die Geschichte aller der Leidenschaften, von welchen die menschliche Species gepeinigt wird, geben, hieße den Menschen von allen Gesichtspuncten aus studiren wollen; und Gott weiß, wie weit ein solches Vorhaben über meine Kräfte gehen würde, und wie weit es die bescheidenen Gränzen überschreiten würde, welche ich mir in diesem Buche gesteckt habe. Nein, ich nehme jenes Wort hier wohlbedächtig nur in seiner engeren Bedeutung, ich will hier darunter nichts weiter verstanden wissen, als die Idee, welche in dem Geiste aller Derer, an welche ich mich hier wende, bereits erwacht sein wird, ich will hier lediglich von der Unmäßigkeit im Genusse von Getränken handeln.

Das durch den Mißbrauch der alkoholischen Getränke verursachte Unheil ist von unermeßlicher, unberechnenbarer Tragweite; denn es lastet nicht allein auf dem einzelnen Menschen, sonder auch auf der Familie und der ganzen öffentlichen Gesellschaft, indem sie, eine

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[2/0012] seine Begierden und seine Bedürfnisse zügelt, mit einem Worte, er nennt so die Vorschrift, welche eben nur darin besteht, nicht anders zu sein, als wozu die Natur ihn gestempelt hat, im Gegensatze zu der von ihm Unmäßigkeit geheißenen Neigung, über das Bedürfniß der vernunftlosen Bestie hinauszugehen. Die Unmäßigkeit ist demnach jenes ungeregelte Verlangen, das Gefühl der Lust, welche in dem Menschen bei der Befriedigung selbst seiner unwesentlichsten Bedürfnisse sich regt, bis zu den äußersten Grenzen hin zu verlängern. Unersättlich, von der Sucht des Genießens verzehrt, sobald eine angenehme Empfindung in ihm erwacht ist, hat er diese stets von Neuem aufzustacheln gestrebt, ist sein ganzes Sinnen und Trachten solcher Erneuerung zugewendet worden, und er hat es darin denn auch möglichst weit gebracht, so weit nämlich, daß diese Empfindung in ihrer allzu häufigen Anregung endlich sein physisches und moralisches Verderben herbeiführen mußte. Ueber die Unmäßigkeit im Allgemeinen zu schreiben, hieße die Geschichte aller der Leidenschaften, von welchen die menschliche Species gepeinigt wird, geben, hieße den Menschen von allen Gesichtspuncten aus studiren wollen; und Gott weiß, wie weit ein solches Vorhaben über meine Kräfte gehen würde, und wie weit es die bescheidenen Gränzen überschreiten würde, welche ich mir in diesem Buche gesteckt habe. Nein, ich nehme jenes Wort hier wohlbedächtig nur in seiner engeren Bedeutung, ich will hier darunter nichts weiter verstanden wissen, als die Idee, welche in dem Geiste aller Derer, an welche ich mich hier wende, bereits erwacht sein wird, ich will hier lediglich von der Unmäßigkeit im Genusse von Getränken handeln. Das durch den Mißbrauch der alkoholischen Getränke verursachte Unheil ist von unermeßlicher, unberechnenbarer Tragweite; denn es lastet nicht allein auf dem einzelnen Menschen, sonder auch auf der Familie und der ganzen öffentlichen Gesellschaft, indem sie, eine

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Zitationshilfe: Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdel_trunksucht_1855/12>, abgerufen am 19.04.2024.