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Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800.

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Kritik der Heilkunst.
§ 37.

Diese Erkenntniß der Krankheiten ist möglich, denn sie
bezieht sich nicht auf den letzten Grund der Dinge, nicht
auf das innere Wesen des Menschen, sondern auf seine Er-
scheinungen im Raume und in der Zeit (§. 29). Diese
Erscheinungen aber können wir eben so, wie die der gesamm-
ten äußern Natur, vollständig beobachten, sie in allen ihren
Verhältnissen auffassen, und darnach mit Gewißheit bestim-
men, daß sie andern, ehemals beobachteten, mehr oder
weniger ähnlich sind.

§ 38.

Zweytens entwirft nun die Heilkunst hiernach einen
Plan, die Krankheiten zu heilen, d. h. die krankhaften Er-
scheinungen zu beseitigen, und stellt durch Verfolgung dieses
Plans die Gesundheit wieder her. Dies involvirt die
Kenntniß aller der Verhältnisse und Bestimmungen, welche
die Natur des Menschen modificiren, und ihrer Würkungs-
art. Sie unterscheidet sich hierdurch von der Rontine, welche
zuweilen Krankheiten heilt, indem sie unter den einzelnen
wahrgenommenen Fällen, welche sie in dem gegenwärtigen
Falle nachahmen will, gerade auf den passenden verfällt.

§ 39.

Ein solcher Heilplan kann aber entworfen und ausge-
führt werden, weil die Krankheiten Erscheinungen (§. 29)
und Modificationen des Lebens, als der allgemeinen Er-
scheinung am Menschen sind (§. 25), welche von den innern
und äußern Verhältnissen der menschlichen Natur abhängen
(§. 26, 27), und weil die Heilung auf der Entfernung dieser,
und der Herbeiführung neuer Verhältnisse beruht. Das

denkende
Kritik der Heilkunſt.
§ 37.

Dieſe Erkenntniß der Krankheiten iſt moͤglich, denn ſie
bezieht ſich nicht auf den letzten Grund der Dinge, nicht
auf das innere Weſen des Menſchen, ſondern auf ſeine Er-
ſcheinungen im Raume und in der Zeit (§. 29). Dieſe
Erſcheinungen aber koͤnnen wir eben ſo, wie die der geſamm-
ten aͤußern Natur, vollſtaͤndig beobachten, ſie in allen ihren
Verhaͤltniſſen auffaſſen, und darnach mit Gewißheit beſtim-
men, daß ſie andern, ehemals beobachteten, mehr oder
weniger aͤhnlich ſind.

§ 38.

Zweytens entwirft nun die Heilkunſt hiernach einen
Plan, die Krankheiten zu heilen, d. h. die krankhaften Er-
ſcheinungen zu beſeitigen, und ſtellt durch Verfolgung dieſes
Plans die Geſundheit wieder her. Dies involvirt die
Kenntniß aller der Verhaͤltniſſe und Beſtimmungen, welche
die Natur des Menſchen modificiren, und ihrer Wuͤrkungs-
art. Sie unterſcheidet ſich hierdurch von der Rontine, welche
zuweilen Krankheiten heilt, indem ſie unter den einzelnen
wahrgenommenen Faͤllen, welche ſie in dem gegenwaͤrtigen
Falle nachahmen will, gerade auf den paſſenden verfaͤllt.

§ 39.

Ein ſolcher Heilplan kann aber entworfen und ausge-
fuͤhrt werden, weil die Krankheiten Erſcheinungen (§. 29)
und Modificationen des Lebens, als der allgemeinen Er-
ſcheinung am Menſchen ſind (§. 25), welche von den innern
und aͤußern Verhaͤltniſſen der menſchlichen Natur abhaͤngen
(§. 26, 27), und weil die Heilung auf der Entfernung dieſer,
und der Herbeifuͤhrung neuer Verhaͤltniſſe beruht. Das

denkende
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[15/0033] Kritik der Heilkunſt. § 37. Dieſe Erkenntniß der Krankheiten iſt moͤglich, denn ſie bezieht ſich nicht auf den letzten Grund der Dinge, nicht auf das innere Weſen des Menſchen, ſondern auf ſeine Er- ſcheinungen im Raume und in der Zeit (§. 29). Dieſe Erſcheinungen aber koͤnnen wir eben ſo, wie die der geſamm- ten aͤußern Natur, vollſtaͤndig beobachten, ſie in allen ihren Verhaͤltniſſen auffaſſen, und darnach mit Gewißheit beſtim- men, daß ſie andern, ehemals beobachteten, mehr oder weniger aͤhnlich ſind. § 38. Zweytens entwirft nun die Heilkunſt hiernach einen Plan, die Krankheiten zu heilen, d. h. die krankhaften Er- ſcheinungen zu beſeitigen, und ſtellt durch Verfolgung dieſes Plans die Geſundheit wieder her. Dies involvirt die Kenntniß aller der Verhaͤltniſſe und Beſtimmungen, welche die Natur des Menſchen modificiren, und ihrer Wuͤrkungs- art. Sie unterſcheidet ſich hierdurch von der Rontine, welche zuweilen Krankheiten heilt, indem ſie unter den einzelnen wahrgenommenen Faͤllen, welche ſie in dem gegenwaͤrtigen Falle nachahmen will, gerade auf den paſſenden verfaͤllt. § 39. Ein ſolcher Heilplan kann aber entworfen und ausge- fuͤhrt werden, weil die Krankheiten Erſcheinungen (§. 29) und Modificationen des Lebens, als der allgemeinen Er- ſcheinung am Menſchen ſind (§. 25), welche von den innern und aͤußern Verhaͤltniſſen der menſchlichen Natur abhaͤngen (§. 26, 27), und weil die Heilung auf der Entfernung dieſer, und der Herbeifuͤhrung neuer Verhaͤltniſſe beruht. Das denkende

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Zitationshilfe: Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/33>, abgerufen am 21.11.2024.