Heilwissenschaft, so wie jeder einzelne Theil derselben, aus beyden Gattungen zusammengesetzt.
§ 559.
Historisch ist nämlich jeder Theil, weil überall Thatsa- chen mitgetheilt werden, welche bloß das Gedächtniß in An- spruch nehmen; philosophisch aber, weil keine Thatsache, keine Erscheinung vorgetragen wird, wo man nicht auf den urfachlichen Zusammenhang derselben unter sich, und mit andern, Rücksicht nähme, wo also nicht auch das höhere Geistesvermögen thätig seyn müßte.
§ 560.
Man gehe also zum Studium eines jeden Zweiges der Heilkunst mit dem Gedanken, daß man nicht nur Thatsachen zu erlernen, sandern auch durch Anstrengung seiner Geistes- kräfte tiefer in ihr Wesen einzudringen, und die Grundsätze der- selben in sich zu entwickeln habe. Deshalb muß man früh darauf bedacht seyn, dem Gange seines Geistes die gehörige Rich- tung zu geben.
§ 561.
So wie bey dem Eintritte in das Gebiet irgend einer Wissenschaft keine Methode vortheilhafter ist, als die syn- thetische, so ist sie auch bey dem ersten Studium der Heil- kunst die zweckmäßigste. Man erlangt nämlich durch Auf- stellung bewiesener und erörterter Lehrsätze, zuerst eine Ue- bersicht über den gesammten Inhalt der Wissenschaft, und man kann hierauf mit Hülfe der analytischen Methode jene Begriffe einer nähern Zergliederung unterwerfen, und von den einzelnen, den Sinnen gegebenen Thatsachen sich zu den obersten Principien erheben.
§. 562.
Drittter Theil.
Heilwiſſenſchaft, ſo wie jeder einzelne Theil derſelben, aus beyden Gattungen zuſammengeſetzt.
§ 559.
Hiſtoriſch iſt naͤmlich jeder Theil, weil uͤberall Thatſa- chen mitgetheilt werden, welche bloß das Gedaͤchtniß in An- ſpruch nehmen; philoſophiſch aber, weil keine Thatſache, keine Erſcheinung vorgetragen wird, wo man nicht auf den urfachlichen Zuſammenhang derſelben unter ſich, und mit andern, Ruͤckſicht naͤhme, wo alſo nicht auch das hoͤhere Geiſtesvermoͤgen thaͤtig ſeyn muͤßte.
§ 560.
Man gehe alſo zum Studium eines jeden Zweiges der Heilkunſt mit dem Gedanken, daß man nicht nur Thatſachen zu erlernen, ſandern auch durch Anſtrengung ſeiner Geiſtes- kraͤfte tiefer in ihr Weſen einzudringen, und die Grundſaͤtze der- ſelben in ſich zu entwickeln habe. Deshalb muß man fruͤh darauf bedacht ſeyn, dem Gange ſeines Geiſtes die gehoͤrige Rich- tung zu geben.
§ 561.
So wie bey dem Eintritte in das Gebiet irgend einer Wiſſenſchaft keine Methode vortheilhafter iſt, als die ſyn- thetiſche, ſo iſt ſie auch bey dem erſten Studium der Heil- kunſt die zweckmaͤßigſte. Man erlangt naͤmlich durch Auf- ſtellung bewieſener und eroͤrterter Lehrſaͤtze, zuerſt eine Ue- berſicht uͤber den geſammten Inhalt der Wiſſenſchaft, und man kann hierauf mit Huͤlfe der analytiſchen Methode jene Begriffe einer naͤhern Zergliederung unterwerfen, und von den einzelnen, den Sinnen gegebenen Thatſachen ſich zu den oberſten Principien erheben.
§. 562.
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Drittter Theil.
Heilwiſſenſchaft, ſo wie jeder einzelne Theil derſelben, aus
beyden Gattungen zuſammengeſetzt.
§ 559.
Hiſtoriſch iſt naͤmlich jeder Theil, weil uͤberall Thatſa-
chen mitgetheilt werden, welche bloß das Gedaͤchtniß in An-
ſpruch nehmen; philoſophiſch aber, weil keine Thatſache,
keine Erſcheinung vorgetragen wird, wo man nicht auf den
urfachlichen Zuſammenhang derſelben unter ſich, und mit
andern, Ruͤckſicht naͤhme, wo alſo nicht auch das hoͤhere
Geiſtesvermoͤgen thaͤtig ſeyn muͤßte.
§ 560.
Man gehe alſo zum Studium eines jeden Zweiges der
Heilkunſt mit dem Gedanken, daß man nicht nur Thatſachen
zu erlernen, ſandern auch durch Anſtrengung ſeiner Geiſtes-
kraͤfte tiefer in ihr Weſen einzudringen, und die Grundſaͤtze der-
ſelben in ſich zu entwickeln habe. Deshalb muß man fruͤh darauf
bedacht ſeyn, dem Gange ſeines Geiſtes die gehoͤrige Rich-
tung zu geben.
§ 561.
So wie bey dem Eintritte in das Gebiet irgend einer
Wiſſenſchaft keine Methode vortheilhafter iſt, als die ſyn-
thetiſche, ſo iſt ſie auch bey dem erſten Studium der Heil-
kunſt die zweckmaͤßigſte. Man erlangt naͤmlich durch Auf-
ſtellung bewieſener und eroͤrterter Lehrſaͤtze, zuerſt eine Ue-
berſicht uͤber den geſammten Inhalt der Wiſſenſchaft, und
man kann hierauf mit Huͤlfe der analytiſchen Methode jene
Begriffe einer naͤhern Zergliederung unterwerfen, und von
den einzelnen, den Sinnen gegebenen Thatſachen ſich zu den
oberſten Principien erheben.
§. 562.
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Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/190>, abgerufen am 16.07.2024.
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