Florentiner selber zuletzt als einen Verbrecher ansahen 1). Wie1. Abschnitt. sehr er sich auch, nach der Art der Meisten, in Sitte und Rede gehen ließ, -- das Heil des Staates war doch sein erster und letzter Gedanke. Sein vollständigstes Programm über die Ein-Seine Verfaf- sung. richtung eines neuen florentinischen Staatswesens ist niederge- legt in der Denkschrift an Leo X.2), verfaßt nach dem Tode des jüngern Lorenzo Medici, Herzogs von Urbino (st. 1519), dem er sein Buch vom Fürsten gewidmet hatte. Die Lage der Dinge ist eine späte und schon total verdorbene, und die vorgeschlagenen Mittel und Wege sind nicht alle moralisch; aber es ist höchst interessant zu sehen wie er als Erbinn der Medici die Republik und zwar eine mittlere Democratie einzuschieben hofft. Ein kunstreicheres Gebäude von Con- cessionen an den Papst, die speciellen Anhänger desselben und die verschiedenen florentinischen Interessen ist gar nicht denkbar; man glaubt in ein Uhrwerk hineinzusehen. Zahl- reiche andere Principien, Einzelbemerkungen, Parallelen, politische Perspectiven u. s. w. für Florenz finden sich in den Discorsi, darunter Lichtblicke von erster Schönheit; erSeine Discorst. erkennt z. B. das Gesetz einer fortschreitenden, und zwar stoßweise sich äußernden Entwicklung der Republiken an und verlangt, daß das Staatswesen beweglich und der Veränderung fähig sei, indem nur so die plötzlichen Blut- urtheile und Verbannungen vermieden würden. Aus einem ähnlichen Grunde, nämlich um Privat-Gewaltthaten und fremde Intervention ("den Tod aller Freiheit") abzuschneiden, wünscht er gegen verhaßte Bürger eine gerichtliche Anklage (accusa) eingeführt zu sehen, an deren Stelle Florenz von jeher nur die Uebelreden gehabt habe. Meisterhaft characterisirt er die unfreiwilligen, verspäteten Entschlüsse, welche in Republiken bei kritischen Zeiten eine so große Rolle spielen. Dazwischen einmal verführt ihn die Phan-
1)Varchi, stor. fiorent. I, p. 210.
2)Discorso sopra il riformar lo stato di Firenze, in den Opere minori p. 207.
Florentiner ſelber zuletzt als einen Verbrecher anſahen 1). Wie1. Abſchnitt. ſehr er ſich auch, nach der Art der Meiſten, in Sitte und Rede gehen ließ, — das Heil des Staates war doch ſein erſter und letzter Gedanke. Sein vollſtändigſtes Programm über die Ein-Seine Verfaf- ſung. richtung eines neuen florentiniſchen Staatsweſens iſt niederge- legt in der Denkſchrift an Leo X.2), verfaßt nach dem Tode des jüngern Lorenzo Medici, Herzogs von Urbino (ſt. 1519), dem er ſein Buch vom Fürſten gewidmet hatte. Die Lage der Dinge iſt eine ſpäte und ſchon total verdorbene, und die vorgeſchlagenen Mittel und Wege ſind nicht alle moraliſch; aber es iſt höchſt intereſſant zu ſehen wie er als Erbinn der Medici die Republik und zwar eine mittlere Democratie einzuſchieben hofft. Ein kunſtreicheres Gebäude von Con- ceſſionen an den Papſt, die ſpeciellen Anhänger deſſelben und die verſchiedenen florentiniſchen Intereſſen iſt gar nicht denkbar; man glaubt in ein Uhrwerk hineinzuſehen. Zahl- reiche andere Principien, Einzelbemerkungen, Parallelen, politiſche Perſpectiven u. ſ. w. für Florenz finden ſich in den Discorſi, darunter Lichtblicke von erſter Schönheit; erSeine Discorſt. erkennt z. B. das Geſetz einer fortſchreitenden, und zwar ſtoßweiſe ſich äußernden Entwicklung der Republiken an und verlangt, daß das Staatsweſen beweglich und der Veränderung fähig ſei, indem nur ſo die plötzlichen Blut- urtheile und Verbannungen vermieden würden. Aus einem ähnlichen Grunde, nämlich um Privat-Gewaltthaten und fremde Intervention („den Tod aller Freiheit“) abzuſchneiden, wünſcht er gegen verhaßte Bürger eine gerichtliche Anklage (accusa) eingeführt zu ſehen, an deren Stelle Florenz von jeher nur die Uebelreden gehabt habe. Meiſterhaft characteriſirt er die unfreiwilligen, verſpäteten Entſchlüſſe, welche in Republiken bei kritiſchen Zeiten eine ſo große Rolle ſpielen. Dazwiſchen einmal verführt ihn die Phan-
1)Varchi, stor. fiorent. I, p. 210.
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Florentiner ſelber zuletzt als einen Verbrecher anſahen 1). Wie
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letzter Gedanke. Sein vollſtändigſtes Programm über die Ein-
richtung eines neuen florentiniſchen Staatsweſens iſt niederge-
legt in der Denkſchrift an Leo X. 2), verfaßt nach dem Tode
des jüngern Lorenzo Medici, Herzogs von Urbino (ſt. 1519),
dem er ſein Buch vom Fürſten gewidmet hatte. Die Lage der
Dinge iſt eine ſpäte und ſchon total verdorbene, und die
vorgeſchlagenen Mittel und Wege ſind nicht alle moraliſch;
aber es iſt höchſt intereſſant zu ſehen wie er als Erbinn
der Medici die Republik und zwar eine mittlere Democratie
einzuſchieben hofft. Ein kunſtreicheres Gebäude von Con-
ceſſionen an den Papſt, die ſpeciellen Anhänger deſſelben
und die verſchiedenen florentiniſchen Intereſſen iſt gar nicht
denkbar; man glaubt in ein Uhrwerk hineinzuſehen. Zahl-
reiche andere Principien, Einzelbemerkungen, Parallelen,
politiſche Perſpectiven u. ſ. w. für Florenz finden ſich in
den Discorſi, darunter Lichtblicke von erſter Schönheit; er
erkennt z. B. das Geſetz einer fortſchreitenden, und zwar
ſtoßweiſe ſich äußernden Entwicklung der Republiken an
und verlangt, daß das Staatsweſen beweglich und der
Veränderung fähig ſei, indem nur ſo die plötzlichen Blut-
urtheile und Verbannungen vermieden würden. Aus einem
ähnlichen Grunde, nämlich um Privat-Gewaltthaten und
fremde Intervention („den Tod aller Freiheit“) abzuſchneiden,
wünſcht er gegen verhaßte Bürger eine gerichtliche Anklage
(accusa) eingeführt zu ſehen, an deren Stelle Florenz
von jeher nur die Uebelreden gehabt habe. Meiſterhaft
characteriſirt er die unfreiwilligen, verſpäteten Entſchlüſſe,
welche in Republiken bei kritiſchen Zeiten eine ſo große
Rolle ſpielen. Dazwiſchen einmal verführt ihn die Phan-
1. Abſchnitt.
Seine Verfaf-
ſung.
Seine Discorſt.
1) Varchi, stor. fiorent. I, p. 210.
2) Discorso sopra il riformar lo stato di Firenze, in den Opere
minori p. 207.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/97>, abgerufen am 24.11.2024.
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