durch ein vielstimmiges Summen verrathen, wo in den1. Abschnitt. Portiken 1) ringsum und in denen der anstoßenden Gassen die Wechsler und die Hunderte von Goldschmieden sitzen, über ihren Häuptern Läden und Magazine ohne Ende; jenseits von der Brücke beschreibt er den großen Fondaco der Deutschen, in dessen Hallen ihre Waaren und ihre Leute wohnen, und vor welchem stets Schiff an Schiff im Canal liegt; von da weiter aufwärts die Wein- und Oelflotte und parallel damit am Strande, wo es von Facchinen wimmelt, die Gewölbe der Händler; dann vom Rialto bis auf den Marcusplatz die Parfümeriebuden und Wirthshäuser. So geleitet er den Leser von Quartier zu Quartier bis hinaus zu den beiden Lazarethen, welche mit zu den Instituten hoher Zweckmäßigkeit gehörten, die man nur hier so aus- gebildet vorfand. Fürsorge für die Leute war überhaupt ein Kennzeichen der Venezianer, im Frieden wie im Kriege, wo ihre Verpflegung der Verwundeten, selbst der feindlichen, für Andere ein Gegenstand des Erstaunens war. 2) Was irgend öffentliche Anstalt hieß, konnte in Venedig sein Muster finden; auch das Pensionswesen wurde systematisch gehandhabt, sogar in Betreff der Hinterlassenen. Reichthum, politische Sicherheit und Weltkenntniß hatten hier das Nach- denken über solche Dinge gereift. Diese schlanken, blondenDie Einwohner. Leute mit dem leisen, bedächtigen Schritt und der beson- nenen Rede, unterschieden sich in Tracht und Auftreten nur wenig von einander; den Putz, besonders Perlen, hingen sie ihren Frauen und Mädchen an. Damals war das all- gemeine Gedeihen, trotz großer Verluste durch die Türken,
1) Diese ganze Gegend wurde dann durch die Neubauten des beginnen- den XVI. Jahrh. verändert.
2) Benedictus: Carol. VIII, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1597. 1601. 1621. -- Im Chron. Venetum, Murat. XXIV, Col. 26. sind die politischen Tugenden der Venezianer aufgezählt: bonta, innocenza, zelo di carita, pieta, misericordia.
durch ein vielſtimmiges Summen verrathen, wo in den1. Abſchnitt. Portiken 1) ringsum und in denen der anſtoßenden Gaſſen die Wechsler und die Hunderte von Goldſchmieden ſitzen, über ihren Häuptern Läden und Magazine ohne Ende; jenſeits von der Brücke beſchreibt er den großen Fondaco der Deutſchen, in deſſen Hallen ihre Waaren und ihre Leute wohnen, und vor welchem ſtets Schiff an Schiff im Canal liegt; von da weiter aufwärts die Wein- und Oelflotte und parallel damit am Strande, wo es von Facchinen wimmelt, die Gewölbe der Händler; dann vom Rialto bis auf den Marcusplatz die Parfümeriebuden und Wirthshäuſer. So geleitet er den Leſer von Quartier zu Quartier bis hinaus zu den beiden Lazarethen, welche mit zu den Inſtituten hoher Zweckmäßigkeit gehörten, die man nur hier ſo aus- gebildet vorfand. Fürſorge für die Leute war überhaupt ein Kennzeichen der Venezianer, im Frieden wie im Kriege, wo ihre Verpflegung der Verwundeten, ſelbſt der feindlichen, für Andere ein Gegenſtand des Erſtaunens war. 2) Was irgend öffentliche Anſtalt hieß, konnte in Venedig ſein Muſter finden; auch das Penſionsweſen wurde ſyſtematiſch gehandhabt, ſogar in Betreff der Hinterlaſſenen. Reichthum, politiſche Sicherheit und Weltkenntniß hatten hier das Nach- denken über ſolche Dinge gereift. Dieſe ſchlanken, blondenDie Einwohner. Leute mit dem leiſen, bedächtigen Schritt und der beſon- nenen Rede, unterſchieden ſich in Tracht und Auftreten nur wenig von einander; den Putz, beſonders Perlen, hingen ſie ihren Frauen und Mädchen an. Damals war das all- gemeine Gedeihen, trotz großer Verluſte durch die Türken,
1) Dieſe ganze Gegend wurde dann durch die Neubauten des beginnen- den XVI. Jahrh. verändert.
2) Benedictus: Carol. VIII, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1597. 1601. 1621. — Im Chron. Venetum, Murat. XXIV, Col. 26. ſind die politiſchen Tugenden der Venezianer aufgezählt: bontà, innocenza, zelo di carità, pietà, misericordia.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0073"n="63"/>
durch ein vielſtimmiges Summen verrathen, wo in den<noteplace="right"><hirendition="#b"><hirendition="#u">1. Abſchnitt.</hi></hi></note><lb/>
Portiken <noteplace="foot"n="1)">Dieſe ganze Gegend wurde dann durch die Neubauten des beginnen-<lb/>
den <hirendition="#aq">XVI.</hi> Jahrh. verändert.</note> ringsum und in denen der anſtoßenden Gaſſen<lb/>
die Wechsler und die Hunderte von Goldſchmieden ſitzen,<lb/>
über ihren Häuptern Läden und Magazine ohne Ende;<lb/>
jenſeits von der Brücke beſchreibt er den großen Fondaco<lb/>
der Deutſchen, in deſſen Hallen ihre Waaren und ihre Leute<lb/>
wohnen, und vor welchem ſtets Schiff an Schiff im Canal<lb/>
liegt; von da weiter aufwärts die Wein- und Oelflotte und<lb/>
parallel damit am Strande, wo es von Facchinen wimmelt,<lb/>
die Gewölbe der Händler; dann vom Rialto bis auf den<lb/>
Marcusplatz die Parfümeriebuden und Wirthshäuſer. So<lb/>
geleitet er den Leſer von Quartier zu Quartier bis hinaus<lb/>
zu den beiden Lazarethen, welche mit zu den Inſtituten<lb/>
hoher Zweckmäßigkeit gehörten, die man nur hier ſo aus-<lb/>
gebildet vorfand. Fürſorge für die Leute war überhaupt<lb/>
ein Kennzeichen der Venezianer, im Frieden wie im Kriege,<lb/>
wo ihre Verpflegung der Verwundeten, ſelbſt der feindlichen,<lb/>
für Andere ein Gegenſtand des Erſtaunens war. <noteplace="foot"n="2)">Benedictus: Carol. <hirendition="#aq">VIII,</hi> bei <hirendition="#aq">Eccard, scriptores, II, Col.</hi> 1597.<lb/>
1601. 1621. — Im <hirendition="#aq">Chron. Venetum, Murat. XXIV, Col.</hi> 26.<lb/>ſind die politiſchen Tugenden der Venezianer aufgezählt: <hirendition="#aq">bontà,<lb/>
innocenza, zelo di carità, pietà, misericordia.</hi></note> Was<lb/>
irgend öffentliche Anſtalt hieß, konnte in Venedig ſein<lb/>
Muſter finden; auch das Penſionsweſen wurde ſyſtematiſch<lb/>
gehandhabt, ſogar in Betreff der Hinterlaſſenen. Reichthum,<lb/>
politiſche Sicherheit und Weltkenntniß hatten hier das Nach-<lb/>
denken über ſolche Dinge gereift. Dieſe ſchlanken, blonden<noteplace="right">Die<lb/>
Einwohner.</note><lb/>
Leute mit dem leiſen, bedächtigen Schritt und der beſon-<lb/>
nenen Rede, unterſchieden ſich in Tracht und Auftreten nur<lb/>
wenig von einander; den Putz, beſonders Perlen, hingen<lb/>ſie ihren Frauen und Mädchen an. Damals war das all-<lb/>
gemeine Gedeihen, trotz großer Verluſte durch die Türken,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[63/0073]
durch ein vielſtimmiges Summen verrathen, wo in den
Portiken 1) ringsum und in denen der anſtoßenden Gaſſen
die Wechsler und die Hunderte von Goldſchmieden ſitzen,
über ihren Häuptern Läden und Magazine ohne Ende;
jenſeits von der Brücke beſchreibt er den großen Fondaco
der Deutſchen, in deſſen Hallen ihre Waaren und ihre Leute
wohnen, und vor welchem ſtets Schiff an Schiff im Canal
liegt; von da weiter aufwärts die Wein- und Oelflotte und
parallel damit am Strande, wo es von Facchinen wimmelt,
die Gewölbe der Händler; dann vom Rialto bis auf den
Marcusplatz die Parfümeriebuden und Wirthshäuſer. So
geleitet er den Leſer von Quartier zu Quartier bis hinaus
zu den beiden Lazarethen, welche mit zu den Inſtituten
hoher Zweckmäßigkeit gehörten, die man nur hier ſo aus-
gebildet vorfand. Fürſorge für die Leute war überhaupt
ein Kennzeichen der Venezianer, im Frieden wie im Kriege,
wo ihre Verpflegung der Verwundeten, ſelbſt der feindlichen,
für Andere ein Gegenſtand des Erſtaunens war. 2) Was
irgend öffentliche Anſtalt hieß, konnte in Venedig ſein
Muſter finden; auch das Penſionsweſen wurde ſyſtematiſch
gehandhabt, ſogar in Betreff der Hinterlaſſenen. Reichthum,
politiſche Sicherheit und Weltkenntniß hatten hier das Nach-
denken über ſolche Dinge gereift. Dieſe ſchlanken, blonden
Leute mit dem leiſen, bedächtigen Schritt und der beſon-
nenen Rede, unterſchieden ſich in Tracht und Auftreten nur
wenig von einander; den Putz, beſonders Perlen, hingen
ſie ihren Frauen und Mädchen an. Damals war das all-
gemeine Gedeihen, trotz großer Verluſte durch die Türken,
1. Abſchnitt.
Die
Einwohner.
1) Dieſe ganze Gegend wurde dann durch die Neubauten des beginnen-
den XVI. Jahrh. verändert.
2) Benedictus: Carol. VIII, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1597.
1601. 1621. — Im Chron. Venetum, Murat. XXIV, Col. 26.
ſind die politiſchen Tugenden der Venezianer aufgezählt: bontà,
innocenza, zelo di carità, pietà, misericordia.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/73>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.