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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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um Unbescholtenheit, Ehrbarkeit und daß sie eine gute6. Abschnitt.
Haushälterin werden möge". Wenn dann noch eine starke
Antikisirung im Ausdruck hinzukömmt, so hat man es bis-
weilen schwer, den heidnischen Styl und die theistische
Ueberzeugung auseinander zu halten 1).

Auch im Unglück äußert sich hie und da diese Gesin-
nung mit ergreifender Wahrheit. Es sind aus der spätern
Zeit des Firenzuola, da er jahrelang am Fieber krank lag,
einige Anreden an Gott vorhanden, in welchen er sich bei-
läufig mit Nachdruck als einen gläubigen Christen geltend
macht und doch ein rein theistisches Bewußtsein an den
Tag legt 2). Er faßt sein Leiden weder als Sündenschuld
noch als Prüfung und Vorbereitung auf eine andere Welt;
es ist eine Angelegenheit zwischen ihm und Gott allein, der
die mächtige Liebe zum Leben zwischen den Menschen und
seine Verzweiflung hineingestellt hat. "Ich fluche, doch nur
gegen die Natur, denn Deine Größe verbietet mir, Dich
selbst zu nennen ... gieb mir den Tod, Herr, ich flehe
Dich, gieb mir ihn jetzt!"

Einen augenscheinlichen Beweis für einen ausgebildeten,
bewußten Theismus wird man freilich in diesen und ähn-

1) Als Beispiel die kurze Ode des M. Antonio Flaminio aus den Co-
ryciana (vgl. S. 265):
Dii quibus tam Corycius venusta
Signa, tam dives posuit sacellum,
Ulla si vestros animos piorum
Gratia tangit,
Vos iocos risusque senis faceti
Sospites servate diu; senectam
Vos date et semper viridem et Falerno
Usque madentem.
At simul longo satiatus aevo
Liquerit terras, dapibus Deorum
Laetus intersit, potiore mutans
Nectare Bacchum.
2) Firenzuola, opere, vol. IV, p. 147, s.

um Unbeſcholtenheit, Ehrbarkeit und daß ſie eine gute6. Abſchnitt.
Haushälterin werden möge“. Wenn dann noch eine ſtarke
Antikiſirung im Ausdruck hinzukömmt, ſo hat man es bis-
weilen ſchwer, den heidniſchen Styl und die theiſtiſche
Ueberzeugung auseinander zu halten 1).

Auch im Unglück äußert ſich hie und da dieſe Geſin-
nung mit ergreifender Wahrheit. Es ſind aus der ſpätern
Zeit des Firenzuola, da er jahrelang am Fieber krank lag,
einige Anreden an Gott vorhanden, in welchen er ſich bei-
läufig mit Nachdruck als einen gläubigen Chriſten geltend
macht und doch ein rein theiſtiſches Bewußtſein an den
Tag legt 2). Er faßt ſein Leiden weder als Sündenſchuld
noch als Prüfung und Vorbereitung auf eine andere Welt;
es iſt eine Angelegenheit zwiſchen ihm und Gott allein, der
die mächtige Liebe zum Leben zwiſchen den Menſchen und
ſeine Verzweiflung hineingeſtellt hat. „Ich fluche, doch nur
gegen die Natur, denn Deine Größe verbietet mir, Dich
ſelbſt zu nennen … gieb mir den Tod, Herr, ich flehe
Dich, gieb mir ihn jetzt!“

Einen augenſcheinlichen Beweis für einen ausgebildeten,
bewußten Theismus wird man freilich in dieſen und ähn-

1) Als Beiſpiel die kurze Ode des M. Antonio Flaminio aus den Co-
ryciana (vgl. S. 265):
Dii quibus tam Corycius venusta
Signa, tam dives posuit sacellum,
Ulla si vestros animos piorum
Gratia tangit,
Vos iocos risusque senis faceti
Sospites servate diu; senectam
Vos date et semper viridem et Falerno
Usque madentem.
At simul longo satiatus ævo
Liquerit terras, dapibus Deorum
Lætus intersit, potiore mutans
Nectare Bacchum.
2) Firenzuola, opere, vol. IV, p. 147, s.
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[559/0569] um Unbeſcholtenheit, Ehrbarkeit und daß ſie eine gute Haushälterin werden möge“. Wenn dann noch eine ſtarke Antikiſirung im Ausdruck hinzukömmt, ſo hat man es bis- weilen ſchwer, den heidniſchen Styl und die theiſtiſche Ueberzeugung auseinander zu halten 1). 6. Abſchnitt. Auch im Unglück äußert ſich hie und da dieſe Geſin- nung mit ergreifender Wahrheit. Es ſind aus der ſpätern Zeit des Firenzuola, da er jahrelang am Fieber krank lag, einige Anreden an Gott vorhanden, in welchen er ſich bei- läufig mit Nachdruck als einen gläubigen Chriſten geltend macht und doch ein rein theiſtiſches Bewußtſein an den Tag legt 2). Er faßt ſein Leiden weder als Sündenſchuld noch als Prüfung und Vorbereitung auf eine andere Welt; es iſt eine Angelegenheit zwiſchen ihm und Gott allein, der die mächtige Liebe zum Leben zwiſchen den Menſchen und ſeine Verzweiflung hineingeſtellt hat. „Ich fluche, doch nur gegen die Natur, denn Deine Größe verbietet mir, Dich ſelbſt zu nennen … gieb mir den Tod, Herr, ich flehe Dich, gieb mir ihn jetzt!“ Einen augenſcheinlichen Beweis für einen ausgebildeten, bewußten Theismus wird man freilich in dieſen und ähn- 1) Als Beiſpiel die kurze Ode des M. Antonio Flaminio aus den Co- ryciana (vgl. S. 265): Dii quibus tam Corycius venusta Signa, tam dives posuit sacellum, Ulla si vestros animos piorum Gratia tangit, Vos iocos risusque senis faceti Sospites servate diu; senectam Vos date et semper viridem et Falerno Usque madentem. At simul longo satiatus ævo Liquerit terras, dapibus Deorum Lætus intersit, potiore mutans Nectare Bacchum. 2) Firenzuola, opere, vol. IV, p. 147, s.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/569>, abgerufen am 19.04.2024.