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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Constitution 1) erlassen mußte zum Schutz der Unsterblich-6. Abschnitt.
keit und Individualität der Seele, letzteres gegen Die welche
lehrten, die Seele sei in allen Menschen nur eine. Wenige
Jahre später erschien aber das Buch des Pomponazzo, worin
die Unmöglichkeit eines philosophischen Beweises für die
Unsterblichkeit dargethan wurde, und nun spann sich der
Kampf mit Gegenschriften und Apologien fort und ver-
stummte erst gegenüber der catholischen Reaction. Die Prä-
existenz der Seelen in Gott, mehr oder weniger nach Plato's
Ideenlehre gedacht, blieb lange ein sehr verbreiteter Begriff
und kam z. B. den Dichtern 2) gelegen. Man erwog nicht
näher welche Consequenz für die Art der Fortdauer nach
dem Tode daran hing.

Die zweite Einwirkung des Alterthums kam ganz vor-
züglich von jenem merkwürdigen Fragment aus Cicero's
sechstem Buche vom Staat her, welches unter dem Namen
"Traum des Scipio" bekannt ist. Ohne den CommentarDer Heiden-
himmel.

des Macrobius wäre es wahrscheinlich untergegangen wie
die übrige zweite Hälfte des ciceronischen Werkes; nun war
es wieder in unzähligen Abschriften 3) und von Anfang der
Typographie an in Abdrücken verbreitet und wurde mehr-
fach neu commentirt. Es ist die Schilderung eines ver-
klärten Jenseits für die großen Männer, durchtönt von der
Harmonie der Sphären. Dieser Heidenhimmel, für den sich
allmälig auch noch andere Aussagen der Alten fanden, ver-
trat allmälig in demselben Maße den christlichen Himmel,
in welchem das Ideal der historischen Größe und des Ruhmes

1) Septimo Decretal. Lib. V. Tit. III, cap. 8.
2) Ariosto, Orlando, canto VII, Str. 61. -- In's Lächerliche gezo-
gen: Orlandino, cap. IV, Str. 67. 68. (Vgl. S. 326). -- Cariteo,
ein Mitglied der neapolitanischen Academie des Pontanus, benützt die
Präexistenz der Seelen um die Sendung des Hauses Aragon damit
zu verherrlichen. Roscoe, Leone X. ed. Bossi, II, p. 288.
3) Orelli ad Cic. de republ. L. VI.

Conſtitution 1) erlaſſen mußte zum Schutz der Unſterblich-6. Abſchnitt.
keit und Individualität der Seele, letzteres gegen Die welche
lehrten, die Seele ſei in allen Menſchen nur eine. Wenige
Jahre ſpäter erſchien aber das Buch des Pomponazzo, worin
die Unmöglichkeit eines philoſophiſchen Beweiſes für die
Unſterblichkeit dargethan wurde, und nun ſpann ſich der
Kampf mit Gegenſchriften und Apologien fort und ver-
ſtummte erſt gegenüber der catholiſchen Reaction. Die Prä-
exiſtenz der Seelen in Gott, mehr oder weniger nach Plato's
Ideenlehre gedacht, blieb lange ein ſehr verbreiteter Begriff
und kam z. B. den Dichtern 2) gelegen. Man erwog nicht
näher welche Conſequenz für die Art der Fortdauer nach
dem Tode daran hing.

Die zweite Einwirkung des Alterthums kam ganz vor-
züglich von jenem merkwürdigen Fragment aus Cicero's
ſechstem Buche vom Staat her, welches unter dem Namen
„Traum des Scipio“ bekannt iſt. Ohne den CommentarDer Heiden-
himmel.

des Macrobius wäre es wahrſcheinlich untergegangen wie
die übrige zweite Hälfte des ciceroniſchen Werkes; nun war
es wieder in unzähligen Abſchriften 3) und von Anfang der
Typographie an in Abdrücken verbreitet und wurde mehr-
fach neu commentirt. Es iſt die Schilderung eines ver-
klärten Jenſeits für die großen Männer, durchtönt von der
Harmonie der Sphären. Dieſer Heidenhimmel, für den ſich
allmälig auch noch andere Ausſagen der Alten fanden, ver-
trat allmälig in demſelben Maße den chriſtlichen Himmel,
in welchem das Ideal der hiſtoriſchen Größe und des Ruhmes

1) Septimo Decretal. Lib. V. Tit. III, cap. 8.
2) Ariosto, Orlando, canto VII, Str. 61. — In's Lächerliche gezo-
gen: Orlandino, cap. IV, Str. 67. 68. (Vgl. S. 326). — Cariteo,
ein Mitglied der neapolitaniſchen Academie des Pontanus, benützt die
Präexiſtenz der Seelen um die Sendung des Hauſes Aragon damit
zu verherrlichen. Roscoe, Leone X. ed. Bossi, II, p. 288.
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[555/0565] Conſtitution 1) erlaſſen mußte zum Schutz der Unſterblich- keit und Individualität der Seele, letzteres gegen Die welche lehrten, die Seele ſei in allen Menſchen nur eine. Wenige Jahre ſpäter erſchien aber das Buch des Pomponazzo, worin die Unmöglichkeit eines philoſophiſchen Beweiſes für die Unſterblichkeit dargethan wurde, und nun ſpann ſich der Kampf mit Gegenſchriften und Apologien fort und ver- ſtummte erſt gegenüber der catholiſchen Reaction. Die Prä- exiſtenz der Seelen in Gott, mehr oder weniger nach Plato's Ideenlehre gedacht, blieb lange ein ſehr verbreiteter Begriff und kam z. B. den Dichtern 2) gelegen. Man erwog nicht näher welche Conſequenz für die Art der Fortdauer nach dem Tode daran hing. 6. Abſchnitt. Die zweite Einwirkung des Alterthums kam ganz vor- züglich von jenem merkwürdigen Fragment aus Cicero's ſechstem Buche vom Staat her, welches unter dem Namen „Traum des Scipio“ bekannt iſt. Ohne den Commentar des Macrobius wäre es wahrſcheinlich untergegangen wie die übrige zweite Hälfte des ciceroniſchen Werkes; nun war es wieder in unzähligen Abſchriften 3) und von Anfang der Typographie an in Abdrücken verbreitet und wurde mehr- fach neu commentirt. Es iſt die Schilderung eines ver- klärten Jenſeits für die großen Männer, durchtönt von der Harmonie der Sphären. Dieſer Heidenhimmel, für den ſich allmälig auch noch andere Ausſagen der Alten fanden, ver- trat allmälig in demſelben Maße den chriſtlichen Himmel, in welchem das Ideal der hiſtoriſchen Größe und des Ruhmes Der Heiden- himmel. 1) Septimo Decretal. Lib. V. Tit. III, cap. 8. 2) Ariosto, Orlando, canto VII, Str. 61. — In's Lächerliche gezo- gen: Orlandino, cap. IV, Str. 67. 68. (Vgl. S. 326). — Cariteo, ein Mitglied der neapolitaniſchen Academie des Pontanus, benützt die Präexiſtenz der Seelen um die Sendung des Hauſes Aragon damit zu verherrlichen. Roscoe, Leone X. ed. Bossi, II, p. 288. 3) Orelli ad Cic. de republ. L. VI.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/565>, abgerufen am 28.03.2024.