Daß Menschen von einem so beschaffenen Innern nicht6. Abschnitt. taugen um eine neue Kirche zu bilden, ist unläugbar, aber die Geschichte des abendländischen Geistes wäre unvollständig ohne die Betrachtung jener Gährungszeit der Italiener, während sie sich den Blick auf andere Nationen, die am Gedanken keinen Theil hatten, getrost ersparen darf. Doch wir kehren zur Frage von der Unsterblichkeit zurück.
Wenn der Unglaube in dieser Beziehung unter den höher Entwickelten eine so bedeutende Stellung gewann, so hing dieß weiter davon ab, daß die große irdische Aufgabe der Entdeckung und Reproduction der Welt in Wort und Bild alle Geistes- und Seelenkräfte bis zu einem hohen Grade für sich in Anspruch nahm. Von dieser nothwendi- gen Weltlichkeit der Renaissance war schon (S. 496) die Rede. Aber überdieß erhob sich aus dieser Forschung und Kunst mit derselben Nothwendigkeit ein allgemeiner GeistAllgemeiner Zweifel. des Zweifels und der Frage. Wenn derselbe sich in der Literatur wenig kund giebt, wenn er z. B. zu einer Kritik der biblischen Geschichte (S. 507) nur vereinzelte Anläufe verräth, so muß man nicht glauben er sei nicht vorhanden ge- wesen. Er war nur übertönt durch das so eben genannte Bedürfniß des Darstellens und Bildens in allen Fächern, d. h. durch den positiven Kunsttrieb; außerdem hemmte ihn auch die noch vorhandene Zwangsmacht der Kirche, sobald er theoretisch zu Werke gehen wollte. Dieser Geist des Zweifels aber mußte sich unvermeidlich und vorzugsweise auf die Frage vom Zustand nach dem Tode werfen, aus Gründen welche zu einleuchtend sind als daß sie genannt zu werden brauchten.
Und nun kam das Alterthum hinzu und wirkte aufUnsterblichkeit der Seele. diese ganze Angelegenheit in zwiefacher Weise. Fürs erste suchte man sich die Psychologie der Alten anzueignen und peinigte den Buchstaben des Aristoteles um eine entscheidende Auskunft. In einem der lucianischen Dialoge jener Zeit 1)
1)Jovian. Pontan. Charon.
Daß Menſchen von einem ſo beſchaffenen Innern nicht6. Abſchnitt. taugen um eine neue Kirche zu bilden, iſt unläugbar, aber die Geſchichte des abendländiſchen Geiſtes wäre unvollſtändig ohne die Betrachtung jener Gährungszeit der Italiener, während ſie ſich den Blick auf andere Nationen, die am Gedanken keinen Theil hatten, getroſt erſparen darf. Doch wir kehren zur Frage von der Unſterblichkeit zurück.
Wenn der Unglaube in dieſer Beziehung unter den höher Entwickelten eine ſo bedeutende Stellung gewann, ſo hing dieß weiter davon ab, daß die große irdiſche Aufgabe der Entdeckung und Reproduction der Welt in Wort und Bild alle Geiſtes- und Seelenkräfte bis zu einem hohen Grade für ſich in Anſpruch nahm. Von dieſer nothwendi- gen Weltlichkeit der Renaiſſance war ſchon (S. 496) die Rede. Aber überdieß erhob ſich aus dieſer Forſchung und Kunſt mit derſelben Nothwendigkeit ein allgemeiner GeiſtAllgemeiner Zweifel. des Zweifels und der Frage. Wenn derſelbe ſich in der Literatur wenig kund giebt, wenn er z. B. zu einer Kritik der bibliſchen Geſchichte (S. 507) nur vereinzelte Anläufe verräth, ſo muß man nicht glauben er ſei nicht vorhanden ge- weſen. Er war nur übertönt durch das ſo eben genannte Bedürfniß des Darſtellens und Bildens in allen Fächern, d. h. durch den poſitiven Kunſttrieb; außerdem hemmte ihn auch die noch vorhandene Zwangsmacht der Kirche, ſobald er theoretiſch zu Werke gehen wollte. Dieſer Geiſt des Zweifels aber mußte ſich unvermeidlich und vorzugsweiſe auf die Frage vom Zuſtand nach dem Tode werfen, aus Gründen welche zu einleuchtend ſind als daß ſie genannt zu werden brauchten.
Und nun kam das Alterthum hinzu und wirkte aufUnſterblichkeit der Seele. dieſe ganze Angelegenheit in zwiefacher Weiſe. Fürs erſte ſuchte man ſich die Pſychologie der Alten anzueignen und peinigte den Buchſtaben des Ariſtoteles um eine entſcheidende Auskunft. In einem der lucianiſchen Dialoge jener Zeit 1)
1)Jovian. Pontan. Charon.
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Daß Menſchen von einem ſo beſchaffenen Innern nicht
taugen um eine neue Kirche zu bilden, iſt unläugbar, aber
die Geſchichte des abendländiſchen Geiſtes wäre unvollſtändig
ohne die Betrachtung jener Gährungszeit der Italiener,
während ſie ſich den Blick auf andere Nationen, die am
Gedanken keinen Theil hatten, getroſt erſparen darf. Doch
wir kehren zur Frage von der Unſterblichkeit zurück.
6. Abſchnitt.
Wenn der Unglaube in dieſer Beziehung unter den
höher Entwickelten eine ſo bedeutende Stellung gewann, ſo
hing dieß weiter davon ab, daß die große irdiſche Aufgabe
der Entdeckung und Reproduction der Welt in Wort und
Bild alle Geiſtes- und Seelenkräfte bis zu einem hohen
Grade für ſich in Anſpruch nahm. Von dieſer nothwendi-
gen Weltlichkeit der Renaiſſance war ſchon (S. 496) die
Rede. Aber überdieß erhob ſich aus dieſer Forſchung und
Kunſt mit derſelben Nothwendigkeit ein allgemeiner Geiſt
des Zweifels und der Frage. Wenn derſelbe ſich in der
Literatur wenig kund giebt, wenn er z. B. zu einer Kritik
der bibliſchen Geſchichte (S. 507) nur vereinzelte Anläufe
verräth, ſo muß man nicht glauben er ſei nicht vorhanden ge-
weſen. Er war nur übertönt durch das ſo eben genannte
Bedürfniß des Darſtellens und Bildens in allen Fächern,
d. h. durch den poſitiven Kunſttrieb; außerdem hemmte ihn
auch die noch vorhandene Zwangsmacht der Kirche, ſobald
er theoretiſch zu Werke gehen wollte. Dieſer Geiſt des
Zweifels aber mußte ſich unvermeidlich und vorzugsweiſe
auf die Frage vom Zuſtand nach dem Tode werfen, aus
Gründen welche zu einleuchtend ſind als daß ſie genannt
zu werden brauchten.
Allgemeiner
Zweifel.
Und nun kam das Alterthum hinzu und wirkte auf
dieſe ganze Angelegenheit in zwiefacher Weiſe. Fürs erſte
ſuchte man ſich die Pſychologie der Alten anzueignen und
peinigte den Buchſtaben des Ariſtoteles um eine entſcheidende
Auskunft. In einem der lucianiſchen Dialoge jener Zeit 1)
Unſterblichkeit
der Seele.
1) Jovian. Pontan. Charon.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/563>, abgerufen am 28.11.2024.
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