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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.zeichen dieselbe Stelle ein wie im ganzen Mittelalter, und
aus sonderbaren Wolkenbildungen gestaltet die Phantasie
auch jetzt wieder streitende Heere und glaubt deren Lärm
hoch in der Luft zu hören 1). Schon bedenklicher wird der
Aberglaube, wenn er sich mit heiligen Dingen combinirt,
wenn z. B. Madonnenbilder die Augen bewegen 2) oder
Bei Calamitä-
ten.
weinen, ja wenn Landescalamitäten mit irgend einem an-
geblichen Frevel in Verbindung gebracht werden, dessen
Sühnung dann der Pöbel verlangt (S. 485). Als Pia-
cenza 1478 von langem und heftigem Regen heimgesucht
wurde, hieß es, derselbe werde nicht aufhören, bis ein ge-
wisser Wucherer, der unlängst in S. Francesco begraben
worden war, nicht mehr in geweihter Erde ruhe. Da sich
der Bischof weigerte, die Leiche gutwillig ausgraben zu
lassen, holten die jungen Bursche sie mit Gewalt, zerrten
sie in den Straßen unter gräulichem Tumult herum und
warfen sie zuletzt in den Po 3). Freilich auch ein Angelo
Poliziano läßt sich auf dieselbe Anschauungsweise ein, wo
es Giacomo Pazzi gilt, einen Hauptanstifter der nach seiner
Familie benannten Verschwörung zu Florenz in demselben
Jahre 1478. Als man ihn erdrosselte, hatte er mit fürch-
terlichen Worten seine Seele dem Satan übergeben. Nun
trat auch hier Regen ein, so daß die Getreideernte bedroht
war; auch hier grub ein Haufe von Leuten (meist Bauern)
die Leiche in der Kirche aus und alsobald wichen die Re-

1) Prato, Arch. stor. III, p. 324, zum J. 1514.
2) Wie die Madonna dell' arbore im Dom von Mailand 1515 that,
vgl. Prato, l. c., p. 327. Freilich erzählt derselbe Chronist p. 357,
daß man beim Graben der Fundamente für den Bau der triulzischen
Grabcapelle (bei S. Nazaro) einen todten Drachen so dick wie ein
Pferd gefunden habe; man brachte den Kopf in den Palast Triulzi
und gab den Rest Preis.
3) Et fuit mirabile quod illico pluvia cessavit. Diarium Par-
mense
bei Murat. XXII, Col. 280. Dieser Autor theilt auch
sonst jenen concentrirten Haß gegen die Wucherer, wovon das Volk
erfüllt ist. Vgl. Col. 371.

6. Abſchnitt.zeichen dieſelbe Stelle ein wie im ganzen Mittelalter, und
aus ſonderbaren Wolkenbildungen geſtaltet die Phantaſie
auch jetzt wieder ſtreitende Heere und glaubt deren Lärm
hoch in der Luft zu hören 1). Schon bedenklicher wird der
Aberglaube, wenn er ſich mit heiligen Dingen combinirt,
wenn z. B. Madonnenbilder die Augen bewegen 2) oder
Bei Calamitä-
ten.
weinen, ja wenn Landescalamitäten mit irgend einem an-
geblichen Frevel in Verbindung gebracht werden, deſſen
Sühnung dann der Pöbel verlangt (S. 485). Als Pia-
cenza 1478 von langem und heftigem Regen heimgeſucht
wurde, hieß es, derſelbe werde nicht aufhören, bis ein ge-
wiſſer Wucherer, der unlängſt in S. Francesco begraben
worden war, nicht mehr in geweihter Erde ruhe. Da ſich
der Biſchof weigerte, die Leiche gutwillig ausgraben zu
laſſen, holten die jungen Burſche ſie mit Gewalt, zerrten
ſie in den Straßen unter gräulichem Tumult herum und
warfen ſie zuletzt in den Po 3). Freilich auch ein Angelo
Poliziano läßt ſich auf dieſelbe Anſchauungsweiſe ein, wo
es Giacomo Pazzi gilt, einen Hauptanſtifter der nach ſeiner
Familie benannten Verſchwörung zu Florenz in demſelben
Jahre 1478. Als man ihn erdroſſelte, hatte er mit fürch-
terlichen Worten ſeine Seele dem Satan übergeben. Nun
trat auch hier Regen ein, ſo daß die Getreideernte bedroht
war; auch hier grub ein Haufe von Leuten (meiſt Bauern)
die Leiche in der Kirche aus und alſobald wichen die Re-

1) Prato, Arch. stor. III, p. 324, zum J. 1514.
2) Wie die Madonna dell' arbore im Dom von Mailand 1515 that,
vgl. Prato, l. c., p. 327. Freilich erzählt derſelbe Chroniſt p. 357,
daß man beim Graben der Fundamente für den Bau der triulziſchen
Grabcapelle (bei S. Nazaro) einen todten Drachen ſo dick wie ein
Pferd gefunden habe; man brachte den Kopf in den Palaſt Triulzi
und gab den Reſt Preis.
3) Et fuit mirabile quod illico pluvia cessavit. Diarium Par-
mense
bei Murat. XXII, Col. 280. Dieſer Autor theilt auch
ſonſt jenen concentrirten Haß gegen die Wucherer, wovon das Volk
erfüllt iſt. Vgl. Col. 371.
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[526/0536] zeichen dieſelbe Stelle ein wie im ganzen Mittelalter, und aus ſonderbaren Wolkenbildungen geſtaltet die Phantaſie auch jetzt wieder ſtreitende Heere und glaubt deren Lärm hoch in der Luft zu hören 1). Schon bedenklicher wird der Aberglaube, wenn er ſich mit heiligen Dingen combinirt, wenn z. B. Madonnenbilder die Augen bewegen 2) oder weinen, ja wenn Landescalamitäten mit irgend einem an- geblichen Frevel in Verbindung gebracht werden, deſſen Sühnung dann der Pöbel verlangt (S. 485). Als Pia- cenza 1478 von langem und heftigem Regen heimgeſucht wurde, hieß es, derſelbe werde nicht aufhören, bis ein ge- wiſſer Wucherer, der unlängſt in S. Francesco begraben worden war, nicht mehr in geweihter Erde ruhe. Da ſich der Biſchof weigerte, die Leiche gutwillig ausgraben zu laſſen, holten die jungen Burſche ſie mit Gewalt, zerrten ſie in den Straßen unter gräulichem Tumult herum und warfen ſie zuletzt in den Po 3). Freilich auch ein Angelo Poliziano läßt ſich auf dieſelbe Anſchauungsweiſe ein, wo es Giacomo Pazzi gilt, einen Hauptanſtifter der nach ſeiner Familie benannten Verſchwörung zu Florenz in demſelben Jahre 1478. Als man ihn erdroſſelte, hatte er mit fürch- terlichen Worten ſeine Seele dem Satan übergeben. Nun trat auch hier Regen ein, ſo daß die Getreideernte bedroht war; auch hier grub ein Haufe von Leuten (meiſt Bauern) die Leiche in der Kirche aus und alſobald wichen die Re- 6. Abſchnitt. Bei Calamitä- ten. 1) Prato, Arch. stor. III, p. 324, zum J. 1514. 2) Wie die Madonna dell' arbore im Dom von Mailand 1515 that, vgl. Prato, l. c., p. 327. Freilich erzählt derſelbe Chroniſt p. 357, daß man beim Graben der Fundamente für den Bau der triulziſchen Grabcapelle (bei S. Nazaro) einen todten Drachen ſo dick wie ein Pferd gefunden habe; man brachte den Kopf in den Palaſt Triulzi und gab den Reſt Preis. 3) Et fuit mirabile quod illico pluvia cessavit. Diarium Par- mense bei Murat. XXII, Col. 280. Dieſer Autor theilt auch ſonſt jenen concentrirten Haß gegen die Wucherer, wovon das Volk erfüllt iſt. Vgl. Col. 371.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/536>, abgerufen am 24.11.2024.