6. Abschnitteine unschuldige Styl- und Modesache, von der andern aber wie ein religiöser Abfall.
Einwirkung des antiken Aber- glaubens.Doch das Alterthum hatte noch eine ganz besonders gefährliche Wirkung und zwar dogmatischer Art: es theilte der Renaissance seine Art des Aberglaubens mit. Einzelnes davon hatte sich in Italien durch das Mittelalter hindurch am Leben erhalten; um so viel leichter lebte jetzt das Ganze neu auf. Daß dabei die Phantasie mächtig mitspielte, ver- steht sich von selbst. Nur sie konnte den forschenden Geist der Italiener so weit zum Schweigen bringen.
Der Glaube an die göttliche Weltregierung war wie gesagt, bei den Einen durch die Masse des Unrechtes und Unglückes erschüttert; die Andern, wie z. B. Dante, gaben wenigstens das Erdenleben dem Zufall und seinem Jammer Preis und wenn sie dabei dennoch einen starken Glauben behaupteten, so kam dieß daher, daß sie die höhere Bestim- mung des Menschen für das Jenseits festhielten. Sobald nun auch diese Ueberzeugung von der Unsterblichkeit wankte, bekam der Fatalismus das Uebergewicht -- oder wenn Letzteres geschah, so war Ersteres die Folge davon.
Astrologie.In die Lücke trat zunächst die Astrologie des Alter- thums, auch wohl die der Araber. Aus der jedesmaligen Stellung der Planeten unter sich und zu den Zeichen des Thierkreises errieth sie künftige Ereignisse und ganze Lebens- läufe und bestimmte auf diesem Wege die wichtigsten Ent- schlüsse. In vielen Fällen mag die Handlungsweise, zu welcher man sich durch die Gestirne bestimmen ließ, an sich nicht unsittlicher gewesen sein als diejenige, welche man ohne dieses befolgt haben würde; sehr oft aber muß der Entscheid auf Unkosten des Gewissens und der Ehre erfolgt sein. Es ist ewig lehrreich zu sehen, wie alle Bildung und Aufklärung gegen diesen Wahn nicht aufkam, weil derselbe seine Stütze hatte an der leidenschaftlichen Phantasie, an dem heißen Wunsch, die Zukunft voraus zu wissen und zu bestimmen, und weil das Alterthum ihn bestätigte.
6. Abſchnitteine unſchuldige Styl- und Modeſache, von der andern aber wie ein religiöſer Abfall.
Einwirkung des antiken Aber- glaubens.Doch das Alterthum hatte noch eine ganz beſonders gefährliche Wirkung und zwar dogmatiſcher Art: es theilte der Renaiſſance ſeine Art des Aberglaubens mit. Einzelnes davon hatte ſich in Italien durch das Mittelalter hindurch am Leben erhalten; um ſo viel leichter lebte jetzt das Ganze neu auf. Daß dabei die Phantaſie mächtig mitſpielte, ver- ſteht ſich von ſelbſt. Nur ſie konnte den forſchenden Geiſt der Italiener ſo weit zum Schweigen bringen.
Der Glaube an die göttliche Weltregierung war wie geſagt, bei den Einen durch die Maſſe des Unrechtes und Unglückes erſchüttert; die Andern, wie z. B. Dante, gaben wenigſtens das Erdenleben dem Zufall und ſeinem Jammer Preis und wenn ſie dabei dennoch einen ſtarken Glauben behaupteten, ſo kam dieß daher, daß ſie die höhere Beſtim- mung des Menſchen für das Jenſeits feſthielten. Sobald nun auch dieſe Ueberzeugung von der Unſterblichkeit wankte, bekam der Fatalismus das Uebergewicht — oder wenn Letzteres geſchah, ſo war Erſteres die Folge davon.
Aſtrologie.In die Lücke trat zunächſt die Aſtrologie des Alter- thums, auch wohl die der Araber. Aus der jedesmaligen Stellung der Planeten unter ſich und zu den Zeichen des Thierkreiſes errieth ſie künftige Ereigniſſe und ganze Lebens- läufe und beſtimmte auf dieſem Wege die wichtigſten Ent- ſchlüſſe. In vielen Fällen mag die Handlungsweiſe, zu welcher man ſich durch die Geſtirne beſtimmen ließ, an ſich nicht unſittlicher geweſen ſein als diejenige, welche man ohne dieſes befolgt haben würde; ſehr oft aber muß der Entſcheid auf Unkoſten des Gewiſſens und der Ehre erfolgt ſein. Es iſt ewig lehrreich zu ſehen, wie alle Bildung und Aufklärung gegen dieſen Wahn nicht aufkam, weil derſelbe ſeine Stütze hatte an der leidenſchaftlichen Phantaſie, an dem heißen Wunſch, die Zukunft voraus zu wiſſen und zu beſtimmen, und weil das Alterthum ihn beſtätigte.
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eine unſchuldige Styl- und Modeſache, von der andern aber
wie ein religiöſer Abfall.
6. Abſchnitt
Doch das Alterthum hatte noch eine ganz beſonders
gefährliche Wirkung und zwar dogmatiſcher Art: es theilte
der Renaiſſance ſeine Art des Aberglaubens mit. Einzelnes
davon hatte ſich in Italien durch das Mittelalter hindurch
am Leben erhalten; um ſo viel leichter lebte jetzt das Ganze
neu auf. Daß dabei die Phantaſie mächtig mitſpielte, ver-
ſteht ſich von ſelbſt. Nur ſie konnte den forſchenden Geiſt
der Italiener ſo weit zum Schweigen bringen.
Einwirkung des
antiken Aber-
glaubens.
Der Glaube an die göttliche Weltregierung war wie
geſagt, bei den Einen durch die Maſſe des Unrechtes und
Unglückes erſchüttert; die Andern, wie z. B. Dante, gaben
wenigſtens das Erdenleben dem Zufall und ſeinem Jammer
Preis und wenn ſie dabei dennoch einen ſtarken Glauben
behaupteten, ſo kam dieß daher, daß ſie die höhere Beſtim-
mung des Menſchen für das Jenſeits feſthielten. Sobald
nun auch dieſe Ueberzeugung von der Unſterblichkeit wankte,
bekam der Fatalismus das Uebergewicht — oder wenn
Letzteres geſchah, ſo war Erſteres die Folge davon.
In die Lücke trat zunächſt die Aſtrologie des Alter-
thums, auch wohl die der Araber. Aus der jedesmaligen
Stellung der Planeten unter ſich und zu den Zeichen des
Thierkreiſes errieth ſie künftige Ereigniſſe und ganze Lebens-
läufe und beſtimmte auf dieſem Wege die wichtigſten Ent-
ſchlüſſe. In vielen Fällen mag die Handlungsweiſe, zu
welcher man ſich durch die Geſtirne beſtimmen ließ, an ſich
nicht unſittlicher geweſen ſein als diejenige, welche man
ohne dieſes befolgt haben würde; ſehr oft aber muß der
Entſcheid auf Unkoſten des Gewiſſens und der Ehre erfolgt
ſein. Es iſt ewig lehrreich zu ſehen, wie alle Bildung und
Aufklärung gegen dieſen Wahn nicht aufkam, weil derſelbe
ſeine Stütze hatte an der leidenſchaftlichen Phantaſie, an
dem heißen Wunſch, die Zukunft voraus zu wiſſen und zu
beſtimmen, und weil das Alterthum ihn beſtätigte.
Aſtrologie.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/522>, abgerufen am 24.11.2024.
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