6. Abschnitt.vorbringen, daß die Wunder in allen Religionen vorkom- men, für keine besonders beweisen und sich am Ende auf noch unbekannte Naturphänomene zurückführen lassen. Den bergeversetzenden Glauben, wie er sich damals bei den Nachfolgern Savonarola's zu erkennen gab, constatirt er als ein curioses Phänomen, doch ohne bittere Bemerkung.
Gewöhnung an die Kirche,Gegenüber von solchen Stimmungen hatten Clerus und Mönchthum den großen Vortheil, daß man an sie gewöhnt war und daß ihr Dasein sich mit dem Dasein von Jeder- mann berührte und verflocht. Es ist der Vortheil den alle alten und mächtigen Dinge von jeher in der Welt gehabt haben. Jedermann hatte irgend einen Verwandten im Priesterrock oder in der Kutte, irgend eine Aussicht auf Protection oder künftigen Gewinn aus dem Schatz der Kirche, und in der Mitte von Italien saß die römische Curie, welche ihre Leute bisweilen plötzlich reich machte. Doch muß man sehr hervorheben, daß dieß Alles die Zunge und die Feder nicht band. Die Autoren der lästerlichen Komik sind ja selber meist Mönche, Pfründner u. s. w.; Poggio, der die Facetien schrieb, war Geistlicher, Francesco Berni hatte ein Canonicat, Teofilo Folengo war Benedic- tiner, Matteo Bandello, der seinen eigenen Orden lächerlich macht, war Dominicaner und zwar Nepot eines Generals dieses Ordens. Treibt sie ein Uebermaß des Sicherheits- gefühles? oder ein Bedürfniß, die eigene Person von der Verrufenheit des Standes zu sondern? oder jene pessimi- stische Selbstsucht mit dem Wahlspruch: "uns hält's noch aus"? Vielleicht war etwas von Allem dabei. Bei Folengo wirkt freilich schon das Lutherthum kenntlich ein 1).
und an ihre Segnungen.Die Abhängigkeit von Segnungen und Sacramenten, von welcher bereits (S. 104) bei Anlaß des Papstthums
1) Vgl. dessen u. d. Namen Limerno Pitocco gedichteten Orlandino, cap. VI, Str. 40, s. cap. VII, Str. 57. cap. VIII, Str. 3, s., bes. 75.
6. Abſchnitt.vorbringen, daß die Wunder in allen Religionen vorkom- men, für keine beſonders beweiſen und ſich am Ende auf noch unbekannte Naturphänomene zurückführen laſſen. Den bergeverſetzenden Glauben, wie er ſich damals bei den Nachfolgern Savonarola's zu erkennen gab, conſtatirt er als ein curioſes Phänomen, doch ohne bittere Bemerkung.
Gewöhnung an die Kirche,Gegenüber von ſolchen Stimmungen hatten Clerus und Mönchthum den großen Vortheil, daß man an ſie gewöhnt war und daß ihr Daſein ſich mit dem Daſein von Jeder- mann berührte und verflocht. Es iſt der Vortheil den alle alten und mächtigen Dinge von jeher in der Welt gehabt haben. Jedermann hatte irgend einen Verwandten im Prieſterrock oder in der Kutte, irgend eine Ausſicht auf Protection oder künftigen Gewinn aus dem Schatz der Kirche, und in der Mitte von Italien ſaß die römiſche Curie, welche ihre Leute bisweilen plötzlich reich machte. Doch muß man ſehr hervorheben, daß dieß Alles die Zunge und die Feder nicht band. Die Autoren der läſterlichen Komik ſind ja ſelber meiſt Mönche, Pfründner u. ſ. w.; Poggio, der die Facetien ſchrieb, war Geiſtlicher, Francesco Berni hatte ein Canonicat, Teofilo Folengo war Benedic- tiner, Matteo Bandello, der ſeinen eigenen Orden lächerlich macht, war Dominicaner und zwar Nepot eines Generals dieſes Ordens. Treibt ſie ein Uebermaß des Sicherheits- gefühles? oder ein Bedürfniß, die eigene Perſon von der Verrufenheit des Standes zu ſondern? oder jene peſſimi- ſtiſche Selbſtſucht mit dem Wahlſpruch: „uns hält's noch aus“? Vielleicht war etwas von Allem dabei. Bei Folengo wirkt freilich ſchon das Lutherthum kenntlich ein 1).
und an ihre Segnungen.Die Abhängigkeit von Segnungen und Sacramenten, von welcher bereits (S. 104) bei Anlaß des Papſtthums
1) Vgl. deſſen u. d. Namen Limerno Pitocco gedichteten Orlandino, cap. VI, Str. 40, s. cap. VII, Str. 57. cap. VIII, Str. 3, s., beſ. 75.
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vorbringen, daß die Wunder in allen Religionen vorkom-
men, für keine beſonders beweiſen und ſich am Ende auf
noch unbekannte Naturphänomene zurückführen laſſen. Den
bergeverſetzenden Glauben, wie er ſich damals bei den
Nachfolgern Savonarola's zu erkennen gab, conſtatirt er
als ein curioſes Phänomen, doch ohne bittere Bemerkung.
6. Abſchnitt.
Gegenüber von ſolchen Stimmungen hatten Clerus und
Mönchthum den großen Vortheil, daß man an ſie gewöhnt
war und daß ihr Daſein ſich mit dem Daſein von Jeder-
mann berührte und verflocht. Es iſt der Vortheil den alle
alten und mächtigen Dinge von jeher in der Welt gehabt
haben. Jedermann hatte irgend einen Verwandten im
Prieſterrock oder in der Kutte, irgend eine Ausſicht auf
Protection oder künftigen Gewinn aus dem Schatz der
Kirche, und in der Mitte von Italien ſaß die römiſche
Curie, welche ihre Leute bisweilen plötzlich reich machte.
Doch muß man ſehr hervorheben, daß dieß Alles die Zunge
und die Feder nicht band. Die Autoren der läſterlichen
Komik ſind ja ſelber meiſt Mönche, Pfründner u. ſ. w.;
Poggio, der die Facetien ſchrieb, war Geiſtlicher, Francesco
Berni hatte ein Canonicat, Teofilo Folengo war Benedic-
tiner, Matteo Bandello, der ſeinen eigenen Orden lächerlich
macht, war Dominicaner und zwar Nepot eines Generals
dieſes Ordens. Treibt ſie ein Uebermaß des Sicherheits-
gefühles? oder ein Bedürfniß, die eigene Perſon von der
Verrufenheit des Standes zu ſondern? oder jene peſſimi-
ſtiſche Selbſtſucht mit dem Wahlſpruch: „uns hält's noch
aus“? Vielleicht war etwas von Allem dabei. Bei Folengo
wirkt freilich ſchon das Lutherthum kenntlich ein 1).
Gewöhnung an
die Kirche,
Die Abhängigkeit von Segnungen und Sacramenten,
von welcher bereits (S. 104) bei Anlaß des Papſtthums
und an ihre
Segnungen.
1) Vgl. deſſen u. d. Namen Limerno Pitocco gedichteten Orlandino,
cap. VI, Str. 40, s. cap. VII, Str. 57. cap. VIII, Str. 3, s.,
beſ. 75.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/476>, abgerufen am 26.11.2024.
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