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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.Geburt. Die Zweckmäßigkeit, die Geltung des Individuums
und seines Talentes sind hier überall mächtiger als die
Gesetze und Bräuche des sonstigen Abendlandes. War es
Denkweise des
XVI. Jahrh.
doch die Zeit da die Söhne der Päpste sich Fürstenthümer
gründeten! Im XVI. Jahrhundert unter dem Einfluß der
Fremden und der beginnenden Gegenreformation wurde die
ganze Angelegenheit strenger angesehen; Varchi findet, die
Succession der ehelichen Söhne sei "von der Vernunft ge-
boten und von ewigen Zeiten her der Wille des Himmels". 1)
Cardinal Ippolito Medici gründete sein Anrecht auf die
Herrschaft über Florenz darauf, daß er aus einer vielleicht
rechtmäßigen Ehe entsproßt, oder doch wenigstens Sohn
einer Adlichen und nicht (wie der Herzog Alessandro) einer
Dienstmagd sei. 2) Jetzt beginnen auch die morganatischen
Gefühlsehen, welche im XV. Jahrhundert aus sittlichen
und politischen Gründen kaum einen Sinn gehabt hätten.

Condottieren
als Staaten-
gründer.
Die höchste und meistbewunderte Form der Illegitimität
ist aber im XV. Jahrhundert der Condottiere, der sich --
welches auch seine Abkunft sei -- ein Fürstenthum erwirbt.
Im Grunde war schon die Besitznahme von Unteritalien
durch die Normannen im XI. Jahrhundert nichts anderes
gewesen; jetzt aber begannen Projecte dieser Art die Halb-
insel in dauernder Unruhe zu erhalten.

Die Festsetzung eines Soldführers als Landesherrn
konnte auch ohne Usurpation geschehen, wenn ihn der
Brodherr aus Mangel an Geld mit Land und Leuten ab-
fand; 3) ohnehin bedurfte der Condottiere, selbst wenn er
für den Augenblick seine meisten Leute entließ, eines sichern
Ortes, wo er Winterquartier halten und die nothwendigsten

1) Varchi, stor. Fiorent. I, p. 8.
2) Soriano, relaz. di Roma 1533, bei Tommaso Gar, relazioni,
p.
281.
3) Für das Folgende vgl. Canestrini, in der Einleitung zu Tom. XV.
des Archiv. stor.

1. Abſchnitt.Geburt. Die Zweckmäßigkeit, die Geltung des Individuums
und ſeines Talentes ſind hier überall mächtiger als die
Geſetze und Bräuche des ſonſtigen Abendlandes. War es
Denkweiſe des
XVI. Jahrh.
doch die Zeit da die Söhne der Päpſte ſich Fürſtenthümer
gründeten! Im XVI. Jahrhundert unter dem Einfluß der
Fremden und der beginnenden Gegenreformation wurde die
ganze Angelegenheit ſtrenger angeſehen; Varchi findet, die
Succeſſion der ehelichen Söhne ſei „von der Vernunft ge-
boten und von ewigen Zeiten her der Wille des Himmels“. 1)
Cardinal Ippolito Medici gründete ſein Anrecht auf die
Herrſchaft über Florenz darauf, daß er aus einer vielleicht
rechtmäßigen Ehe entſproßt, oder doch wenigſtens Sohn
einer Adlichen und nicht (wie der Herzog Aleſſandro) einer
Dienſtmagd ſei. 2) Jetzt beginnen auch die morganatiſchen
Gefühlsehen, welche im XV. Jahrhundert aus ſittlichen
und politiſchen Gründen kaum einen Sinn gehabt hätten.

Condottieren
als Staaten-
gründer.
Die höchſte und meiſtbewunderte Form der Illegitimität
iſt aber im XV. Jahrhundert der Condottiere, der ſich —
welches auch ſeine Abkunft ſei — ein Fürſtenthum erwirbt.
Im Grunde war ſchon die Beſitznahme von Unteritalien
durch die Normannen im XI. Jahrhundert nichts anderes
geweſen; jetzt aber begannen Projecte dieſer Art die Halb-
inſel in dauernder Unruhe zu erhalten.

Die Feſtſetzung eines Soldführers als Landesherrn
konnte auch ohne Uſurpation geſchehen, wenn ihn der
Brodherr aus Mangel an Geld mit Land und Leuten ab-
fand; 3) ohnehin bedurfte der Condottiere, ſelbſt wenn er
für den Augenblick ſeine meiſten Leute entließ, eines ſichern
Ortes, wo er Winterquartier halten und die nothwendigſten

1) Varchi, stor. Fiorent. I, p. 8.
2) Soriano, relaz. di Roma 1533, bei Tommaso Gar, relazioni,
p.
281.
3) Für das Folgende vgl. Caneſtrini, in der Einleitung zu Tom. XV.
des Archiv. stor.
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[20/0030] Geburt. Die Zweckmäßigkeit, die Geltung des Individuums und ſeines Talentes ſind hier überall mächtiger als die Geſetze und Bräuche des ſonſtigen Abendlandes. War es doch die Zeit da die Söhne der Päpſte ſich Fürſtenthümer gründeten! Im XVI. Jahrhundert unter dem Einfluß der Fremden und der beginnenden Gegenreformation wurde die ganze Angelegenheit ſtrenger angeſehen; Varchi findet, die Succeſſion der ehelichen Söhne ſei „von der Vernunft ge- boten und von ewigen Zeiten her der Wille des Himmels“. 1) Cardinal Ippolito Medici gründete ſein Anrecht auf die Herrſchaft über Florenz darauf, daß er aus einer vielleicht rechtmäßigen Ehe entſproßt, oder doch wenigſtens Sohn einer Adlichen und nicht (wie der Herzog Aleſſandro) einer Dienſtmagd ſei. 2) Jetzt beginnen auch die morganatiſchen Gefühlsehen, welche im XV. Jahrhundert aus ſittlichen und politiſchen Gründen kaum einen Sinn gehabt hätten. 1. Abſchnitt. Denkweiſe des XVI. Jahrh. Die höchſte und meiſtbewunderte Form der Illegitimität iſt aber im XV. Jahrhundert der Condottiere, der ſich — welches auch ſeine Abkunft ſei — ein Fürſtenthum erwirbt. Im Grunde war ſchon die Beſitznahme von Unteritalien durch die Normannen im XI. Jahrhundert nichts anderes geweſen; jetzt aber begannen Projecte dieſer Art die Halb- inſel in dauernder Unruhe zu erhalten. Condottieren als Staaten- gründer. Die Feſtſetzung eines Soldführers als Landesherrn konnte auch ohne Uſurpation geſchehen, wenn ihn der Brodherr aus Mangel an Geld mit Land und Leuten ab- fand; 3) ohnehin bedurfte der Condottiere, ſelbſt wenn er für den Augenblick ſeine meiſten Leute entließ, eines ſichern Ortes, wo er Winterquartier halten und die nothwendigſten 1) Varchi, stor. Fiorent. I, p. 8. 2) Soriano, relaz. di Roma 1533, bei Tommaso Gar, relazioni, p. 281. 3) Für das Folgende vgl. Caneſtrini, in der Einleitung zu Tom. XV. des Archiv. stor.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/30>, abgerufen am 28.03.2024.