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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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früh, wenn sich im XV. Jahrhundert eine Gestalt unter3. Abschnitt.
dieser Schaar findet, die unantastbar scheint; bei weiterem
Suchen läuft man immer Gefahr irgend einer Lästerung
zu begegnen, welche, selbst wenn man sie nicht glaubt, das
Bild trüben wird. Die vielen unzüchtigen lateinischen Ge-
dichte und etwa eine Persiflage der eigenen Familie, wie
z. B. in Pontano's Dialog "Antonius" thaten das Uebrige.
Das XVI. Jahrhundert kannte diese Zeugnisse alle und
war der betreffenden Menschengattung ohnehin müde ge-
worden. Sie mußte büßen für das was sie verübt hatte
und für das Uebermaß der Geltung, das ihr bisher zu
Theil geworden war. Ihr böses Schicksal wollte es, daß
der größte Dichter der Nation sich über sie mit ruhiger,
souveräner Verachtung aussprach 1).

Von den Vorwürfen, die sich jetzt zu einem Gesammt-
widerwillen sammelten, war nur zu Vieles begründet. Ein
bestimmter, kenntlicher Zug zur Sittenstrenge und Reli-
giosität war und blieb in manchen Philologen lebendig,
und es ist ein Zeichen geringer Kenntniß jener Zeit, wenn
man die ganze Classe verurtheilt, aber Viele, und darunter
die lautesten, waren schuldig.

Drei Dinge erklären und vermindern vielleicht ihreDas Maß ihrer
Schuld.

Schuld: die übermäßige, glänzende Verwöhnung wenn das
Glück ihnen günstig war; die Garantielosigkeit ihres äußern
Daseins, so daß Glanz und Elend je nach Launen der
Herrn und nach der Bosheit der Gegner rasch wechselten;
endlich der irremachende Einfluß des Alterthums. Dieses
störte ihre Sittlichkeit ohne ihnen die seinige mitzutheilen;
und auch in religiösen Dingen wirkte es auf sie wesentlich
von seiner sceptischen und negativen Seite, da von einer
Annahme des positiven Götterglaubens doch nicht die Rede
sein konnte. Gerade weil sie das Alterthum dogmatisch,
d. h. als Vorbild alles Denkens und Handelns auffaßten,

1) Ariosto, Satira VII. Vom Jahre 1531.

früh, wenn ſich im XV. Jahrhundert eine Geſtalt unter3. Abſchnitt.
dieſer Schaar findet, die unantaſtbar ſcheint; bei weiterem
Suchen läuft man immer Gefahr irgend einer Läſterung
zu begegnen, welche, ſelbſt wenn man ſie nicht glaubt, das
Bild trüben wird. Die vielen unzüchtigen lateiniſchen Ge-
dichte und etwa eine Perſiflage der eigenen Familie, wie
z. B. in Pontano's Dialog „Antonius“ thaten das Uebrige.
Das XVI. Jahrhundert kannte dieſe Zeugniſſe alle und
war der betreffenden Menſchengattung ohnehin müde ge-
worden. Sie mußte büßen für das was ſie verübt hatte
und für das Uebermaß der Geltung, das ihr bisher zu
Theil geworden war. Ihr böſes Schickſal wollte es, daß
der größte Dichter der Nation ſich über ſie mit ruhiger,
ſouveräner Verachtung ausſprach 1).

Von den Vorwürfen, die ſich jetzt zu einem Geſammt-
widerwillen ſammelten, war nur zu Vieles begründet. Ein
beſtimmter, kenntlicher Zug zur Sittenſtrenge und Reli-
gioſität war und blieb in manchen Philologen lebendig,
und es iſt ein Zeichen geringer Kenntniß jener Zeit, wenn
man die ganze Claſſe verurtheilt, aber Viele, und darunter
die lauteſten, waren ſchuldig.

Drei Dinge erklären und vermindern vielleicht ihreDas Maß ihrer
Schuld.

Schuld: die übermäßige, glänzende Verwöhnung wenn das
Glück ihnen günſtig war; die Garantieloſigkeit ihres äußern
Daſeins, ſo daß Glanz und Elend je nach Launen der
Herrn und nach der Bosheit der Gegner raſch wechſelten;
endlich der irremachende Einfluß des Alterthums. Dieſes
ſtörte ihre Sittlichkeit ohne ihnen die ſeinige mitzutheilen;
und auch in religiöſen Dingen wirkte es auf ſie weſentlich
von ſeiner ſceptiſchen und negativen Seite, da von einer
Annahme des poſitiven Götterglaubens doch nicht die Rede
ſein konnte. Gerade weil ſie das Alterthum dogmatiſch,
d. h. als Vorbild alles Denkens und Handelns auffaßten,

1) Ariosto, Satira VII. Vom Jahre 1531.
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[269/0279] früh, wenn ſich im XV. Jahrhundert eine Geſtalt unter dieſer Schaar findet, die unantaſtbar ſcheint; bei weiterem Suchen läuft man immer Gefahr irgend einer Läſterung zu begegnen, welche, ſelbſt wenn man ſie nicht glaubt, das Bild trüben wird. Die vielen unzüchtigen lateiniſchen Ge- dichte und etwa eine Perſiflage der eigenen Familie, wie z. B. in Pontano's Dialog „Antonius“ thaten das Uebrige. Das XVI. Jahrhundert kannte dieſe Zeugniſſe alle und war der betreffenden Menſchengattung ohnehin müde ge- worden. Sie mußte büßen für das was ſie verübt hatte und für das Uebermaß der Geltung, das ihr bisher zu Theil geworden war. Ihr böſes Schickſal wollte es, daß der größte Dichter der Nation ſich über ſie mit ruhiger, ſouveräner Verachtung ausſprach 1). 3. Abſchnitt. Von den Vorwürfen, die ſich jetzt zu einem Geſammt- widerwillen ſammelten, war nur zu Vieles begründet. Ein beſtimmter, kenntlicher Zug zur Sittenſtrenge und Reli- gioſität war und blieb in manchen Philologen lebendig, und es iſt ein Zeichen geringer Kenntniß jener Zeit, wenn man die ganze Claſſe verurtheilt, aber Viele, und darunter die lauteſten, waren ſchuldig. Drei Dinge erklären und vermindern vielleicht ihre Schuld: die übermäßige, glänzende Verwöhnung wenn das Glück ihnen günſtig war; die Garantieloſigkeit ihres äußern Daſeins, ſo daß Glanz und Elend je nach Launen der Herrn und nach der Bosheit der Gegner raſch wechſelten; endlich der irremachende Einfluß des Alterthums. Dieſes ſtörte ihre Sittlichkeit ohne ihnen die ſeinige mitzutheilen; und auch in religiöſen Dingen wirkte es auf ſie weſentlich von ſeiner ſceptiſchen und negativen Seite, da von einer Annahme des poſitiven Götterglaubens doch nicht die Rede ſein konnte. Gerade weil ſie das Alterthum dogmatiſch, d. h. als Vorbild alles Denkens und Handelns auffaßten, Das Maß ihrer Schuld. 1) Ariosto, Satira VII. Vom Jahre 1531.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/279>, abgerufen am 22.11.2024.