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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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entstand 1) übrigens ein Zerrbild davon: die sogenannte3. Abschnitt.
macaroneische Poesie, deren Hauptwerk, das Opus macaro-
nicorum, von Merlinus Cocaius (d. h. Teofilo Folengo von
Mantua) gedichtet ist. Vom Inhalt wird noch hie und da
die Rede sein; was die Form betrifft -- Hexameter u. a.
Verse gemischt aus lateinischen und italienischen Wörtern
mit lateinischen Endungen -- so liegt das Komische der-
selben wesentlich darin, daß sich diese Mischungen wie lauter
Lapsus linguae anhören, wie das Sprudeln eines über-
eifrigen lateinischen Improvisators. Nachahmungen aus
Deutsch und Latein geben hievon keine Ahnung.


Nachdem mehrere glänzende Generationen von Poeten-Sturz der Hu-
manisten.

Philologen seit Anfang des XIV. Jahrhunderts Italien
und die Welt mit dem Cultus des Alterthums erfüllt, die
Bildung und Erziehung wesentlich bestimmt, oft auch das
Staatswesen geleitet, und die antike Literatur nach Kräften
reproducirt hatten, fiel mit dem XVI. Jahrhundert die
ganze Menschenclasse in einen lauten und allgemeinen Miß-
credit, zu einer Zeit, da man ihre Lehre und ihr Wissen
noch durchaus nicht völlig entbehren wollte. Man redet,
schreibt und dichtet noch fortwährend wie sie, aber persön-
lich will Niemand mehr zu ihnen gehören. In die beiden
Hauptanklagen wegen ihres bösartigen Hochmuthes und
ihrer schändlichen Ausschweifungen tönt bereits die dritte
hinein, die Stimme der beginnenden Gegenreformation:
wegen ihres Unglaubens.

Warum verlauteten, muß man zunächst fragen, diese
Vorwürfe nicht früher, mochten sie nun wahr oder unwahr

1) Scardeonius, de urb. Patav. antiq. (Graev. thes. VI, III,
Col.
270) nennt als den eigentlichen Erfinder einen gew. Odaxius
von Padua, um die Mitte des XV. Jahrh. Gemischte Verse aus
Latein und den Landessprachen giebt es aber schon viel früher
allenthalben.

entſtand 1) übrigens ein Zerrbild davon: die ſogenannte3. Abſchnitt.
macaroneiſche Poeſie, deren Hauptwerk, das Opus macaro-
nicorum, von Merlinus Cocaius (d. h. Teofilo Folengo von
Mantua) gedichtet iſt. Vom Inhalt wird noch hie und da
die Rede ſein; was die Form betrifft — Hexameter u. a.
Verſe gemiſcht aus lateiniſchen und italieniſchen Wörtern
mit lateiniſchen Endungen — ſo liegt das Komiſche der-
ſelben weſentlich darin, daß ſich dieſe Miſchungen wie lauter
Lapſus linguae anhören, wie das Sprudeln eines über-
eifrigen lateiniſchen Improviſators. Nachahmungen aus
Deutſch und Latein geben hievon keine Ahnung.


Nachdem mehrere glänzende Generationen von Poeten-Sturz der Hu-
maniſten.

Philologen ſeit Anfang des XIV. Jahrhunderts Italien
und die Welt mit dem Cultus des Alterthums erfüllt, die
Bildung und Erziehung weſentlich beſtimmt, oft auch das
Staatsweſen geleitet, und die antike Literatur nach Kräften
reproducirt hatten, fiel mit dem XVI. Jahrhundert die
ganze Menſchenclaſſe in einen lauten und allgemeinen Miß-
credit, zu einer Zeit, da man ihre Lehre und ihr Wiſſen
noch durchaus nicht völlig entbehren wollte. Man redet,
ſchreibt und dichtet noch fortwährend wie ſie, aber perſön-
lich will Niemand mehr zu ihnen gehören. In die beiden
Hauptanklagen wegen ihres bösartigen Hochmuthes und
ihrer ſchändlichen Ausſchweifungen tönt bereits die dritte
hinein, die Stimme der beginnenden Gegenreformation:
wegen ihres Unglaubens.

Warum verlauteten, muß man zunächſt fragen, dieſe
Vorwürfe nicht früher, mochten ſie nun wahr oder unwahr

1) Scardeonius, de urb. Patav. antiq. (Græv. thes. VI, III,
Col.
270) nennt als den eigentlichen Erfinder einen gew. Odaxius
von Padua, um die Mitte des XV. Jahrh. Gemiſchte Verſe aus
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[267/0277] entſtand 1) übrigens ein Zerrbild davon: die ſogenannte macaroneiſche Poeſie, deren Hauptwerk, das Opus macaro- nicorum, von Merlinus Cocaius (d. h. Teofilo Folengo von Mantua) gedichtet iſt. Vom Inhalt wird noch hie und da die Rede ſein; was die Form betrifft — Hexameter u. a. Verſe gemiſcht aus lateiniſchen und italieniſchen Wörtern mit lateiniſchen Endungen — ſo liegt das Komiſche der- ſelben weſentlich darin, daß ſich dieſe Miſchungen wie lauter Lapſus linguae anhören, wie das Sprudeln eines über- eifrigen lateiniſchen Improviſators. Nachahmungen aus Deutſch und Latein geben hievon keine Ahnung. 3. Abſchnitt. Nachdem mehrere glänzende Generationen von Poeten- Philologen ſeit Anfang des XIV. Jahrhunderts Italien und die Welt mit dem Cultus des Alterthums erfüllt, die Bildung und Erziehung weſentlich beſtimmt, oft auch das Staatsweſen geleitet, und die antike Literatur nach Kräften reproducirt hatten, fiel mit dem XVI. Jahrhundert die ganze Menſchenclaſſe in einen lauten und allgemeinen Miß- credit, zu einer Zeit, da man ihre Lehre und ihr Wiſſen noch durchaus nicht völlig entbehren wollte. Man redet, ſchreibt und dichtet noch fortwährend wie ſie, aber perſön- lich will Niemand mehr zu ihnen gehören. In die beiden Hauptanklagen wegen ihres bösartigen Hochmuthes und ihrer ſchändlichen Ausſchweifungen tönt bereits die dritte hinein, die Stimme der beginnenden Gegenreformation: wegen ihres Unglaubens. Sturz der Hu- maniſten. Warum verlauteten, muß man zunächſt fragen, dieſe Vorwürfe nicht früher, mochten ſie nun wahr oder unwahr 1) Scardeonius, de urb. Patav. antiq. (Græv. thes. VI, III, Col. 270) nennt als den eigentlichen Erfinder einen gew. Odaxius von Padua, um die Mitte des XV. Jahrh. Gemiſchte Verſe aus Latein und den Landesſprachen giebt es aber ſchon viel früher allenthalben.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/277>, abgerufen am 20.04.2024.