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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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in die florentinische Abrechnung von Schuld und Schicksal3. Abschnitt.
mischt sich ein Ausländer nicht wenn er nicht muß; aber
eine ungerechtere Polemik giebt es nicht als wenn man
Lorenzo beschuldigt, er habe im Gebiet des Geistes vorzüg-
lich Mediocritäten beschützt und durch seine Schuld seien
Lionardo da Vinci und der Mathematiker Fra Luca Pac-
ciolo außer Landes, Toscanella, Vespucci u. A. wenigstens
unbefördert geblieben. Allseitig ist er wohl nicht gewesen,
aber von allen Großen, welche je den Geist zu schützen und
zu fördern suchten, einer der vielseitigsten, und derjenige
bei welchem dieß vielleicht am meisten Folge eines tiefern
innern Bedürfnisses war.

Laut genug pflegt auch unser laufendes JahrhundertDas Alterthum
als Lebens-
interesse.

den Werth der Bildung überhaupt und den des Alterthums
insbesondere zu proclamiren. Aber eine vollkommen enthu-
siastische Hingebung, ein Anerkennen, daß dieses Bedürfniß
das erste von allen sei, findet sich doch nirgends wie bei
jenen Florentinern des XV. und beginnenden XVI. Jahr-
hunderts. Hiefür giebt es indirecte Beweise, die jeden
Zweifel beseitigen: man hätte nicht so oft die Töchter des
Hauses an den Studien Theil nehmen lassen, wenn letztere
nicht absolut als das edelste Gut des Erdenlebens gegolten
hätten; man hätte nicht das Exil zu einem Aufenthalt des
Glückes gemacht wie Palla Strozzi; es hätten nicht Men-
schen, die sich sonst Alles erlaubten, noch Kraft und Lust
behalten die Naturgeschichte des Plinius kritisch zu behan-
deln wie Filippo Strozzi 1). Es handelt sich hier nicht um
Lob oder Tadel, sondern um Erkenntniß eines Zeitgeistes
in seiner energischen Eigenthümlichkeit.

Außer Florenz gab es noch manche Städte in Italien,
wo Einzelne und ganze gesellschaftliche Kreise bisweilen mit
Aufwand aller Mittel für den Humanismus thätig waren
und die anwesenden Gelehrten unterstützten. Aus den Brief-

1) Varchi, stor. fiorent. L. IV. p. 321. Ein geistvolles Lebensbild.

in die florentiniſche Abrechnung von Schuld und Schickſal3. Abſchnitt.
miſcht ſich ein Ausländer nicht wenn er nicht muß; aber
eine ungerechtere Polemik giebt es nicht als wenn man
Lorenzo beſchuldigt, er habe im Gebiet des Geiſtes vorzüg-
lich Mediocritäten beſchützt und durch ſeine Schuld ſeien
Lionardo da Vinci und der Mathematiker Fra Luca Pac-
ciolo außer Landes, Toscanella, Vespucci u. A. wenigſtens
unbefördert geblieben. Allſeitig iſt er wohl nicht geweſen,
aber von allen Großen, welche je den Geiſt zu ſchützen und
zu fördern ſuchten, einer der vielſeitigſten, und derjenige
bei welchem dieß vielleicht am meiſten Folge eines tiefern
innern Bedürfniſſes war.

Laut genug pflegt auch unſer laufendes JahrhundertDas Alterthum
als Lebens-
intereſſe.

den Werth der Bildung überhaupt und den des Alterthums
insbeſondere zu proclamiren. Aber eine vollkommen enthu-
ſiaſtiſche Hingebung, ein Anerkennen, daß dieſes Bedürfniß
das erſte von allen ſei, findet ſich doch nirgends wie bei
jenen Florentinern des XV. und beginnenden XVI. Jahr-
hunderts. Hiefür giebt es indirecte Beweiſe, die jeden
Zweifel beſeitigen: man hätte nicht ſo oft die Töchter des
Hauſes an den Studien Theil nehmen laſſen, wenn letztere
nicht abſolut als das edelſte Gut des Erdenlebens gegolten
hätten; man hätte nicht das Exil zu einem Aufenthalt des
Glückes gemacht wie Palla Strozzi; es hätten nicht Men-
ſchen, die ſich ſonſt Alles erlaubten, noch Kraft und Luſt
behalten die Naturgeſchichte des Plinius kritiſch zu behan-
deln wie Filippo Strozzi 1). Es handelt ſich hier nicht um
Lob oder Tadel, ſondern um Erkenntniß eines Zeitgeiſtes
in ſeiner energiſchen Eigenthümlichkeit.

Außer Florenz gab es noch manche Städte in Italien,
wo Einzelne und ganze geſellſchaftliche Kreiſe bisweilen mit
Aufwand aller Mittel für den Humanismus thätig waren
und die anweſenden Gelehrten unterſtützten. Aus den Brief-

1) Varchi, stor. fiorent. L. IV. p. 321. Ein geiſtvolles Lebensbild.
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[215/0225] in die florentiniſche Abrechnung von Schuld und Schickſal miſcht ſich ein Ausländer nicht wenn er nicht muß; aber eine ungerechtere Polemik giebt es nicht als wenn man Lorenzo beſchuldigt, er habe im Gebiet des Geiſtes vorzüg- lich Mediocritäten beſchützt und durch ſeine Schuld ſeien Lionardo da Vinci und der Mathematiker Fra Luca Pac- ciolo außer Landes, Toscanella, Vespucci u. A. wenigſtens unbefördert geblieben. Allſeitig iſt er wohl nicht geweſen, aber von allen Großen, welche je den Geiſt zu ſchützen und zu fördern ſuchten, einer der vielſeitigſten, und derjenige bei welchem dieß vielleicht am meiſten Folge eines tiefern innern Bedürfniſſes war. 3. Abſchnitt. Laut genug pflegt auch unſer laufendes Jahrhundert den Werth der Bildung überhaupt und den des Alterthums insbeſondere zu proclamiren. Aber eine vollkommen enthu- ſiaſtiſche Hingebung, ein Anerkennen, daß dieſes Bedürfniß das erſte von allen ſei, findet ſich doch nirgends wie bei jenen Florentinern des XV. und beginnenden XVI. Jahr- hunderts. Hiefür giebt es indirecte Beweiſe, die jeden Zweifel beſeitigen: man hätte nicht ſo oft die Töchter des Hauſes an den Studien Theil nehmen laſſen, wenn letztere nicht abſolut als das edelſte Gut des Erdenlebens gegolten hätten; man hätte nicht das Exil zu einem Aufenthalt des Glückes gemacht wie Palla Strozzi; es hätten nicht Men- ſchen, die ſich ſonſt Alles erlaubten, noch Kraft und Luſt behalten die Naturgeſchichte des Plinius kritiſch zu behan- deln wie Filippo Strozzi 1). Es handelt ſich hier nicht um Lob oder Tadel, ſondern um Erkenntniß eines Zeitgeiſtes in ſeiner energiſchen Eigenthümlichkeit. Das Alterthum als Lebens- intereſſe. Außer Florenz gab es noch manche Städte in Italien, wo Einzelne und ganze geſellſchaftliche Kreiſe bisweilen mit Aufwand aller Mittel für den Humanismus thätig waren und die anweſenden Gelehrten unterſtützten. Aus den Brief- 1) Varchi, stor. fiorent. L. IV. p. 321. Ein geiſtvolles Lebensbild.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/225>, abgerufen am 20.04.2024.