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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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2. Abschnitt.kraft setzt schon die unerschütterlich gleichmäßige Ausarbei-
tung der Divina Commedia voraus. Sieht man aber auf
den Inhalt, so ist in der ganzen äußern und geistigen Welt
kaum ein wichtiger Gegenstand, den er nicht ergründet
hätte und über welchen seine Aussage -- oft nur wenige
Worte -- nicht die gewichtigste Stimme aus jener Zeit
wäre. Für die bildende Kunst ist er Urkunde -- und
wahrlich noch um wichtigerer Dinge willen als wegen seiner
paar Zeilen über die damaligen Künstler; bald wurde er
aber auch Quelle der Inspiration 1).

Character des
XV. Jahrh.
Das XV. Jahrhundert ist zunächst vorzüglich das-
jenige der vielseitigen Menschen. Keine Biographie, welche
nicht wesentliche, über den Dilettantismus hinausgehende
Nebenbeschäftigungen des Betreffenden namhaft machte.
Der florentinische Kaufmann und Staatsmann ist oft zu-
gleich ein Gelehrter in beiden alten Sprachen; die berühm-
testen Humanisten müssen ihm und seinen Söhnen des
Aristoteles Politik und Ethik vortragen 2); auch die Töchter
des Hauses erhalten eine hohe Bildung, wie denn über-
haupt in diesen Sphären die Anfänge der höhern Privat-
erziehung vorzüglich zu suchen sind. Der Humanist seiner-
seits wird zur größten Vielseitigkeit aufgefordert, indem sein
philologisches Wissen lange nicht bloß wie heute der objec-
tiven Kenntniß des classischen Weltalters, sondern einer
täglichen Anwendung auf das wirkliche Leben dienen muß.

1) Die Engel, welche er am Jahrestag von Beatrice's Tode auf Täfel-
chen zeichnete (Vita nuova, p. 61), könnten wohl mehr als Di-
lettantenarbeit gewesen sein. Lion. Aretino sagt, er habe egregia-
mente
gezeichnet und sei ein großer Liebhaber der Musik gewesen.
2) Für dieses und das Folgende vgl[.] bes Vespasiano Fiorentino, für
die florentinische Bildung des XV. Jahrhunderts eine Quelle ersten
Ranges. Hieher p. 359, 379, 401 etc. -- Sodann die schöne
und lehrreiche Vita Jannoctii Manetti (geb. 1396) bei
Murat. XX.

2. Abſchnitt.kraft ſetzt ſchon die unerſchütterlich gleichmäßige Ausarbei-
tung der Divina Commedia voraus. Sieht man aber auf
den Inhalt, ſo iſt in der ganzen äußern und geiſtigen Welt
kaum ein wichtiger Gegenſtand, den er nicht ergründet
hätte und über welchen ſeine Ausſage — oft nur wenige
Worte — nicht die gewichtigſte Stimme aus jener Zeit
wäre. Für die bildende Kunſt iſt er Urkunde — und
wahrlich noch um wichtigerer Dinge willen als wegen ſeiner
paar Zeilen über die damaligen Künſtler; bald wurde er
aber auch Quelle der Inſpiration 1).

Character des
XV. Jahrh.
Das XV. Jahrhundert iſt zunächſt vorzüglich das-
jenige der vielſeitigen Menſchen. Keine Biographie, welche
nicht weſentliche, über den Dilettantismus hinausgehende
Nebenbeſchäftigungen des Betreffenden namhaft machte.
Der florentiniſche Kaufmann und Staatsmann iſt oft zu-
gleich ein Gelehrter in beiden alten Sprachen; die berühm-
teſten Humaniſten müſſen ihm und ſeinen Söhnen des
Ariſtoteles Politik und Ethik vortragen 2); auch die Töchter
des Hauſes erhalten eine hohe Bildung, wie denn über-
haupt in dieſen Sphären die Anfänge der höhern Privat-
erziehung vorzüglich zu ſuchen ſind. Der Humaniſt ſeiner-
ſeits wird zur größten Vielſeitigkeit aufgefordert, indem ſein
philologiſches Wiſſen lange nicht bloß wie heute der objec-
tiven Kenntniß des claſſiſchen Weltalters, ſondern einer
täglichen Anwendung auf das wirkliche Leben dienen muß.

1) Die Engel, welche er am Jahrestag von Beatrice's Tode auf Täfel-
chen zeichnete (Vita nuova, p. 61), könnten wohl mehr als Di-
lettantenarbeit geweſen ſein. Lion. Aretino ſagt, er habe egregia-
mente
gezeichnet und ſei ein großer Liebhaber der Muſik geweſen.
2) Für dieſes und das Folgende vgl[.] beſ Vespaſiano Fiorentino, für
die florentiniſche Bildung des XV. Jahrhunderts eine Quelle erſten
Ranges. Hieher p. 359, 379, 401 etc. — Sodann die ſchöne
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[138/0148] kraft ſetzt ſchon die unerſchütterlich gleichmäßige Ausarbei- tung der Divina Commedia voraus. Sieht man aber auf den Inhalt, ſo iſt in der ganzen äußern und geiſtigen Welt kaum ein wichtiger Gegenſtand, den er nicht ergründet hätte und über welchen ſeine Ausſage — oft nur wenige Worte — nicht die gewichtigſte Stimme aus jener Zeit wäre. Für die bildende Kunſt iſt er Urkunde — und wahrlich noch um wichtigerer Dinge willen als wegen ſeiner paar Zeilen über die damaligen Künſtler; bald wurde er aber auch Quelle der Inſpiration 1). 2. Abſchnitt. Das XV. Jahrhundert iſt zunächſt vorzüglich das- jenige der vielſeitigen Menſchen. Keine Biographie, welche nicht weſentliche, über den Dilettantismus hinausgehende Nebenbeſchäftigungen des Betreffenden namhaft machte. Der florentiniſche Kaufmann und Staatsmann iſt oft zu- gleich ein Gelehrter in beiden alten Sprachen; die berühm- teſten Humaniſten müſſen ihm und ſeinen Söhnen des Ariſtoteles Politik und Ethik vortragen 2); auch die Töchter des Hauſes erhalten eine hohe Bildung, wie denn über- haupt in dieſen Sphären die Anfänge der höhern Privat- erziehung vorzüglich zu ſuchen ſind. Der Humaniſt ſeiner- ſeits wird zur größten Vielſeitigkeit aufgefordert, indem ſein philologiſches Wiſſen lange nicht bloß wie heute der objec- tiven Kenntniß des claſſiſchen Weltalters, ſondern einer täglichen Anwendung auf das wirkliche Leben dienen muß. Character des XV. Jahrh. 1) Die Engel, welche er am Jahrestag von Beatrice's Tode auf Täfel- chen zeichnete (Vita nuova, p. 61), könnten wohl mehr als Di- lettantenarbeit geweſen ſein. Lion. Aretino ſagt, er habe egregia- mente gezeichnet und ſei ein großer Liebhaber der Muſik geweſen. 2) Für dieſes und das Folgende vgl. beſ Vespaſiano Fiorentino, für die florentiniſche Bildung des XV. Jahrhunderts eine Quelle erſten Ranges. Hieher p. 359, 379, 401 etc. — Sodann die ſchöne und lehrreiche Vita Jannoctii Manetti (geb. 1396) bei Murat. XX.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/148>, abgerufen am 19.04.2024.