Zum Schluß betrachten wir noch in Kürze die Rück-1. Abschnitt. wirkung dieser politischen Zustände auf den Geist der Nation im Allgemeinen.
Es leuchtet ein, daß die allgemeine politische Unsicher-Der Patriotis- mus. heit in dem Italien des XIV. und XV. Jahrhunderts bei den edlern Gemüthern einen patriotischen Unwillen und Widerstand hervorrufen mußte. Schon Dante und Pe- trarca 1) proclamiren laut ein Gesammt-Italien, auf welches sich alle höchsten Bestrebungen zu beziehen hätten. Man wendet wohl ein, es sei dieß nur ein Enthusiasmus einzelner Hochgebildeten gewesen, von welchem die Masse der Nation keine Kenntniß nahm, allein es möchte sich damals mit Deutschland kaum viel anders verhalten haben, obwohl es wenigstens dem Namen nach die Einheit und einen aner- kannten Oberherrn, den Kaiser hatte. Die erste laute lite- rarische Verherrlichung Deutschlands (mit Ausnahme einiger Verse bei den Minnesängern) gehört den Humanisten der Zeit Maximilians I. an 2) und erscheint fast wie ein Echo italienischer Declamationen. Und doch war Deutschland früher factisch in einem ganz andern Grade ein Volk ge- wesen als Italien jemals seit der Römerzeit. Frankreich verdankt das Bewußtsein seiner Volkseinheit wesentlich erst den Kämpfen gegen die Engländer, und Spanien hat auf die Länge nicht einmal vermocht, das engverwandte Portugal zu absorbiren. Für Italien waren Existenz und Lebensbe-Unmöglichkeit der Einheit. dingungen des Kirchenstaates ein Hinderniß der Einheit im Großen, dessen Beseitigung sich kaum jemals hoffen ließ. Wenn dann im politischen Verkehr des XV. Jahrhunderts gleichwohl hie und da des Gesammtvaterlandes mit Emphase
1)Petrarca: epist. fam. I, 3, p. 574, worin er Gott dafür preist als Italiener geboren zu sein. Sodann: Apologia contra cuius- dam anonymi Galli calumnias, vom J. 1367, p. 1068, s.
2) Ich meine besonders die Schriften von Wimpheling, Bebel, u. A. im I. Bande der scriptores des Schardius.
Cultur der Renaissance. 9
Zum Schluß betrachten wir noch in Kürze die Rück-1. Abſchnitt. wirkung dieſer politiſchen Zuſtände auf den Geiſt der Nation im Allgemeinen.
Es leuchtet ein, daß die allgemeine politiſche Unſicher-Der Patriotis- mus. heit in dem Italien des XIV. und XV. Jahrhunderts bei den edlern Gemüthern einen patriotiſchen Unwillen und Widerſtand hervorrufen mußte. Schon Dante und Pe- trarca 1) proclamiren laut ein Geſammt-Italien, auf welches ſich alle höchſten Beſtrebungen zu beziehen hätten. Man wendet wohl ein, es ſei dieß nur ein Enthuſiasmus einzelner Hochgebildeten geweſen, von welchem die Maſſe der Nation keine Kenntniß nahm, allein es möchte ſich damals mit Deutſchland kaum viel anders verhalten haben, obwohl es wenigſtens dem Namen nach die Einheit und einen aner- kannten Oberherrn, den Kaiſer hatte. Die erſte laute lite- rariſche Verherrlichung Deutſchlands (mit Ausnahme einiger Verſe bei den Minneſängern) gehört den Humaniſten der Zeit Maximilians I. an 2) und erſcheint faſt wie ein Echo italieniſcher Declamationen. Und doch war Deutſchland früher factiſch in einem ganz andern Grade ein Volk ge- weſen als Italien jemals ſeit der Römerzeit. Frankreich verdankt das Bewußtſein ſeiner Volkseinheit weſentlich erſt den Kämpfen gegen die Engländer, und Spanien hat auf die Länge nicht einmal vermocht, das engverwandte Portugal zu abſorbiren. Für Italien waren Exiſtenz und Lebensbe-Unmöglichkeit der Einheit. dingungen des Kirchenſtaates ein Hinderniß der Einheit im Großen, deſſen Beſeitigung ſich kaum jemals hoffen ließ. Wenn dann im politiſchen Verkehr des XV. Jahrhunderts gleichwohl hie und da des Geſammtvaterlandes mit Emphaſe
1)Petrarca: epist. fam. I, 3, p. 574, worin er Gott dafür preist als Italiener geboren zu ſein. Sodann: Apologia contra cuius- dam anonymi Galli calumnias, vom J. 1367, p. 1068, s.
2) Ich meine beſonders die Schriften von Wimpheling, Bebel, u. A. im I. Bande der scriptores des Schardius.
Cultur der Renaiſſance. 9
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Zum Schluß betrachten wir noch in Kürze die Rück-
wirkung dieſer politiſchen Zuſtände auf den Geiſt der Nation
im Allgemeinen.
1. Abſchnitt.
Es leuchtet ein, daß die allgemeine politiſche Unſicher-
heit in dem Italien des XIV. und XV. Jahrhunderts bei
den edlern Gemüthern einen patriotiſchen Unwillen und
Widerſtand hervorrufen mußte. Schon Dante und Pe-
trarca 1) proclamiren laut ein Geſammt-Italien, auf welches
ſich alle höchſten Beſtrebungen zu beziehen hätten. Man
wendet wohl ein, es ſei dieß nur ein Enthuſiasmus einzelner
Hochgebildeten geweſen, von welchem die Maſſe der Nation
keine Kenntniß nahm, allein es möchte ſich damals mit
Deutſchland kaum viel anders verhalten haben, obwohl es
wenigſtens dem Namen nach die Einheit und einen aner-
kannten Oberherrn, den Kaiſer hatte. Die erſte laute lite-
rariſche Verherrlichung Deutſchlands (mit Ausnahme einiger
Verſe bei den Minneſängern) gehört den Humaniſten der
Zeit Maximilians I. an 2) und erſcheint faſt wie ein Echo
italieniſcher Declamationen. Und doch war Deutſchland
früher factiſch in einem ganz andern Grade ein Volk ge-
weſen als Italien jemals ſeit der Römerzeit. Frankreich
verdankt das Bewußtſein ſeiner Volkseinheit weſentlich erſt
den Kämpfen gegen die Engländer, und Spanien hat auf
die Länge nicht einmal vermocht, das engverwandte Portugal
zu abſorbiren. Für Italien waren Exiſtenz und Lebensbe-
dingungen des Kirchenſtaates ein Hinderniß der Einheit
im Großen, deſſen Beſeitigung ſich kaum jemals hoffen ließ.
Wenn dann im politiſchen Verkehr des XV. Jahrhunderts
gleichwohl hie und da des Geſammtvaterlandes mit Emphaſe
Der Patriotis-
mus.
Unmöglichkeit
der Einheit.
1) Petrarca: epist. fam. I, 3, p. 574, worin er Gott dafür preist
als Italiener geboren zu ſein. Sodann: Apologia contra cuius-
dam anonymi Galli calumnias, vom J. 1367, p. 1068, s.
2) Ich meine beſonders die Schriften von Wimpheling, Bebel, u. A.
im I. Bande der scriptores des Schardius.
Cultur der Renaiſſance. 9
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/139>, abgerufen am 25.11.2024.
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