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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.sie nach Kräften aus, so daß die Italiener für die Angriffs-
mittel wie für den Festungsbau die Lehrer von ganz Europa
Kenner und
Dilettanten.
wurden. Fürsten wie Federigo von Urbino, Alfonso von
Ferrara, eigneten sich eine Kennerschaft des Faches an,
gegen welche selbst die eines Maximilian I. nur oberfläch-
lich erschienen sein wird. In Italien gab es zuerst eine
Wissenschaft und Kunst des gesammten im Zusammenhang
behandelten Kriegswesens; hier zuerst begegnen wir einer
neutralen Freude an der correcten Kriegführung als solcher,
wie dieß zu dem häufigen Parteiwechsel und zu der rein
sachlichen Handlungsweise der Condottieren paßte. Während
des mailändisch-venezianischen Krieges von 1451 und 1452,
zwischen Francesco Sforza und Jacopo Picinino, folgte
dem Hauptquartier des letztern der Literat Porcellio, mit
dem Auftrage des Königs Alfonso von Neapel, eine
Relation 1) zu verfassen. Sie ist in einem nicht sehr reinen
aber fließenden Latein im Geiste des damaligen humanisti-
schen Bombastes geschrieben, im Ganzen nach Caesar's Vor-
bild, mit eingestreuten Reden, Prodigien u. s. w.; und da
man seit hundert Jahren ernstlich darob stritt, ob Scipio
Africanus maior oder Hannibal größer gewesen 2), muß sich
Picinino bequemen, durch das ganze Werk Scipio zu heißen
und Sforza Hannibal. Auch über das mailändische Heer
mußte objectiv berichtet werden; der Sophist ließ sich bei
Sforza melden, wurde die Reihen entlang geführt, lobte
Alles höchlich und versprach, was er hier gesehen ebenfalls
der Nachwelt zu überliefern 3). Auch sonst ist die damalige
Literatur Italiens reich an Kriegsschilderungen und Auf-
zeichnungen von Stratagemen zum Gebrauch des beschau-

1) Porcellii commentaria Jac. Picinini, bei Murat. XX. Eine
Fortsetzung für den Krieg von 1453 ibid. XXV.
2) Aus Mißverstand nennt Porcellio den Scipio "Aemilianus", wäh-
rend er den Africanus major meint.
3) Simonetta, Hist. Fr. Sfortiae, bei Murat. XXI, Col. 630.

1. Abſchnitt.ſie nach Kräften aus, ſo daß die Italiener für die Angriffs-
mittel wie für den Feſtungsbau die Lehrer von ganz Europa
Kenner und
Dilettanten.
wurden. Fürſten wie Federigo von Urbino, Alfonſo von
Ferrara, eigneten ſich eine Kennerſchaft des Faches an,
gegen welche ſelbſt die eines Maximilian I. nur oberfläch-
lich erſchienen ſein wird. In Italien gab es zuerſt eine
Wiſſenſchaft und Kunſt des geſammten im Zuſammenhang
behandelten Kriegsweſens; hier zuerſt begegnen wir einer
neutralen Freude an der correcten Kriegführung als ſolcher,
wie dieß zu dem häufigen Parteiwechſel und zu der rein
ſachlichen Handlungsweiſe der Condottieren paßte. Während
des mailändiſch-venezianiſchen Krieges von 1451 und 1452,
zwiſchen Francesco Sforza und Jacopo Picinino, folgte
dem Hauptquartier des letztern der Literat Porcellio, mit
dem Auftrage des Königs Alfonſo von Neapel, eine
Relation 1) zu verfaſſen. Sie iſt in einem nicht ſehr reinen
aber fließenden Latein im Geiſte des damaligen humaniſti-
ſchen Bombaſtes geſchrieben, im Ganzen nach Caeſar's Vor-
bild, mit eingeſtreuten Reden, Prodigien u. ſ. w.; und da
man ſeit hundert Jahren ernſtlich darob ſtritt, ob Scipio
Africanus maior oder Hannibal größer geweſen 2), muß ſich
Picinino bequemen, durch das ganze Werk Scipio zu heißen
und Sforza Hannibal. Auch über das mailändiſche Heer
mußte objectiv berichtet werden; der Sophiſt ließ ſich bei
Sforza melden, wurde die Reihen entlang geführt, lobte
Alles höchlich und verſprach, was er hier geſehen ebenfalls
der Nachwelt zu überliefern 3). Auch ſonſt iſt die damalige
Literatur Italiens reich an Kriegsſchilderungen und Auf-
zeichnungen von Stratagemen zum Gebrauch des beſchau-

1) Porcellii commentaria Jac. Picinini, bei Murat. XX. Eine
Fortſetzung für den Krieg von 1453 ibid. XXV.
2) Aus Mißverſtand nennt Porcellio den Scipio „Aemilianus“, wäh-
rend er den Africanus major meint.
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[100/0110] ſie nach Kräften aus, ſo daß die Italiener für die Angriffs- mittel wie für den Feſtungsbau die Lehrer von ganz Europa wurden. Fürſten wie Federigo von Urbino, Alfonſo von Ferrara, eigneten ſich eine Kennerſchaft des Faches an, gegen welche ſelbſt die eines Maximilian I. nur oberfläch- lich erſchienen ſein wird. In Italien gab es zuerſt eine Wiſſenſchaft und Kunſt des geſammten im Zuſammenhang behandelten Kriegsweſens; hier zuerſt begegnen wir einer neutralen Freude an der correcten Kriegführung als ſolcher, wie dieß zu dem häufigen Parteiwechſel und zu der rein ſachlichen Handlungsweiſe der Condottieren paßte. Während des mailändiſch-venezianiſchen Krieges von 1451 und 1452, zwiſchen Francesco Sforza und Jacopo Picinino, folgte dem Hauptquartier des letztern der Literat Porcellio, mit dem Auftrage des Königs Alfonſo von Neapel, eine Relation 1) zu verfaſſen. Sie iſt in einem nicht ſehr reinen aber fließenden Latein im Geiſte des damaligen humaniſti- ſchen Bombaſtes geſchrieben, im Ganzen nach Caeſar's Vor- bild, mit eingeſtreuten Reden, Prodigien u. ſ. w.; und da man ſeit hundert Jahren ernſtlich darob ſtritt, ob Scipio Africanus maior oder Hannibal größer geweſen 2), muß ſich Picinino bequemen, durch das ganze Werk Scipio zu heißen und Sforza Hannibal. Auch über das mailändiſche Heer mußte objectiv berichtet werden; der Sophiſt ließ ſich bei Sforza melden, wurde die Reihen entlang geführt, lobte Alles höchlich und verſprach, was er hier geſehen ebenfalls der Nachwelt zu überliefern 3). Auch ſonſt iſt die damalige Literatur Italiens reich an Kriegsſchilderungen und Auf- zeichnungen von Stratagemen zum Gebrauch des beſchau- 1. Abſchnitt. Kenner und Dilettanten. 1) Porcellii commentaria Jac. Picinini, bei Murat. XX. Eine Fortſetzung für den Krieg von 1453 ibid. XXV. 2) Aus Mißverſtand nennt Porcellio den Scipio „Aemilianus“, wäh- rend er den Africanus major meint. 3) Simonetta, Hist. Fr. Sfortiæ, bei Murat. XXI, Col. 630.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/110>, abgerufen am 20.04.2024.