1. Abschnitt.in einem erhabenen Ernst. Dante 1) erkennt und benennt Abscheu der Florentiner.vortrefflich das Unadliche, Gemeinverständige der neufürst- lichen Hab- und Herrschgier. "Was tönen ihre Posaunen, Schellen, Hörner und Flöten anders als: herbei zu uns, ihr Henker! ihr Raubvögel!" Man malt sich die Burg des Tyrannen hoch und isolirt, voller Kerker und Lausch- röhren, 2) als einen Aufenthalt der Bosheit und des Elends. Andere weissagen Jedem Unglück, der in Tyrannendienste gehe 3) und bejammern am Ende den Tyrannen selbst, wel- cher unvermeidlich der Feind aller Guten und Tüchtigen sei, sich auf Niemanden verlassen dürfe, und den Unter- thanen die Erwartung seines Sturzes auf dem Gesicht lesen könne. "So wie die Tyrannien entstehen, wachsen und sich befestigen, so wächst auch in ihrem Innern verborgen der Stoff mit, welcher ihnen Verwirrung und Untergang bringen muß." 4) Der tiefste Gegensatz wird nicht deutlich her- vorgehoben: Florenz war damals mit der reichsten Ent- wicklung der Individualitäten beschäftigt, während die Ge- waltherrscher keine andere Individualität gelten und gewähren ließen als die ihrige und die ihrer nächsten Diener. War doch die Controle des einzelnen Menschen bis auf's Paß- wesen herab schon völlig durchgeführt. 5)
1)De vulgari eloquio, I, c. 12: ... qui non heroico more, sed plebeo sequuntur superbiam etc.
2) Dieß zwar erst in Schriften des XV. Jahrh., aber gewiß nach frühern Phantasien: L. B. Alberti, de re aedif. V, 3. -- Franc. di Giorgio, Trattato, bei Della Valle, Lettere sanesi, III., 121.
3)Franco Sacchetti, Nov. 61.
4)Matteo Villani, VI, 1.
5) Das Paßbureau von Padua um die Mitte des XIV. Jahrh. als quelli delle bullette bezeichnet bei Franco Sacchetti, Nov. 117. In den letzten zehn Jahren Friedrichs II., als die persönlichste Con- trole herrschte, muß das Paßwesen schon sehr ausgebildet gewesen sein.
1. Abſchnitt.in einem erhabenen Ernſt. Dante 1) erkennt und benennt Abſcheu der Florentiner.vortrefflich das Unadliche, Gemeinverſtändige der neufürſt- lichen Hab- und Herrſchgier. „Was tönen ihre Poſaunen, Schellen, Hörner und Flöten anders als: herbei zu uns, ihr Henker! ihr Raubvögel!“ Man malt ſich die Burg des Tyrannen hoch und iſolirt, voller Kerker und Lauſch- röhren, 2) als einen Aufenthalt der Bosheit und des Elends. Andere weiſſagen Jedem Unglück, der in Tyrannendienſte gehe 3) und bejammern am Ende den Tyrannen ſelbſt, wel- cher unvermeidlich der Feind aller Guten und Tüchtigen ſei, ſich auf Niemanden verlaſſen dürfe, und den Unter- thanen die Erwartung ſeines Sturzes auf dem Geſicht leſen könne. „So wie die Tyrannien entſtehen, wachſen und ſich befeſtigen, ſo wächſt auch in ihrem Innern verborgen der Stoff mit, welcher ihnen Verwirrung und Untergang bringen muß.“ 4) Der tiefſte Gegenſatz wird nicht deutlich her- vorgehoben: Florenz war damals mit der reichſten Ent- wicklung der Individualitäten beſchäftigt, während die Ge- waltherrſcher keine andere Individualität gelten und gewähren ließen als die ihrige und die ihrer nächſten Diener. War doch die Controle des einzelnen Menſchen bis auf's Paß- weſen herab ſchon völlig durchgeführt. 5)
1)De vulgari eloquio, I, c. 12: … qui non heroico more, sed plebeo sequuntur superbiam etc.
2) Dieß zwar erſt in Schriften des XV. Jahrh., aber gewiß nach frühern Phantaſien: L. B. Alberti, de re aedif. V, 3. — Franc. di Giorgio, Trattato, bei Della Valle, Lettere sanesi, III., 121.
3)Franco Sacchetti, Nov. 61.
4)Matteo Villani, VI, 1.
5) Das Paßbureau von Padua um die Mitte des XIV. Jahrh. als quelli delle bullette bezeichnet bei Franco Sacchetti, Nov. 117. In den letzten zehn Jahren Friedrichs II., als die perſönlichſte Con- trole herrſchte, muß das Paßweſen ſchon ſehr ausgebildet geweſen ſein.
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ihr Henker! ihr Raubvögel!“ Man malt ſich die Burg
des Tyrannen hoch und iſolirt, voller Kerker und Lauſch-
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Andere weiſſagen Jedem Unglück, der in Tyrannendienſte
gehe 3) und bejammern am Ende den Tyrannen ſelbſt, wel-
cher unvermeidlich der Feind aller Guten und Tüchtigen
ſei, ſich auf Niemanden verlaſſen dürfe, und den Unter-
thanen die Erwartung ſeines Sturzes auf dem Geſicht leſen
könne. „So wie die Tyrannien entſtehen, wachſen und ſich
befeſtigen, ſo wächſt auch in ihrem Innern verborgen der
Stoff mit, welcher ihnen Verwirrung und Untergang bringen
muß.“ 4) Der tiefſte Gegenſatz wird nicht deutlich her-
vorgehoben: Florenz war damals mit der reichſten Ent-
wicklung der Individualitäten beſchäftigt, während die Ge-
waltherrſcher keine andere Individualität gelten und gewähren
ließen als die ihrige und die ihrer nächſten Diener. War
doch die Controle des einzelnen Menſchen bis auf's Paß-
weſen herab ſchon völlig durchgeführt. 5)
1. Abſchnitt.
Abſcheu der
Florentiner.
1) De vulgari eloquio, I, c. 12: … qui non heroico more, sed
plebeo sequuntur superbiam etc.
2) Dieß zwar erſt in Schriften des XV. Jahrh., aber gewiß nach
frühern Phantaſien: L. B. Alberti, de re aedif. V, 3. — Franc.
di Giorgio, Trattato, bei Della Valle, Lettere sanesi, III., 121.
3) Franco Sacchetti, Nov. 61.
4) Matteo Villani, VI, 1.
5) Das Paßbureau von Padua um die Mitte des XIV. Jahrh. als
quelli delle bullette bezeichnet bei Franco Sacchetti, Nov. 117.
In den letzten zehn Jahren Friedrichs II., als die perſönlichſte Con-
trole herrſchte, muß das Paßweſen ſchon ſehr ausgebildet geweſen
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/20>, abgerufen am 23.02.2025.
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