Naturproduct, dem man nicht ganz böse sein kann. Bei1. Abschnitt. der tiefsten Immoralität seiner Mittel erscheint er in deren Anwendung völlig naiv; er würde wahrscheinlich sich sehr verwundert haben, wenn ihm Jemand hätte begreiflich machen wollen, daß nicht nur für die Zwecke sondern auch für die Mittel eine sittliche Verantwortung existirt; ja er würde vielleicht seine möglichste Vermeidung aller Bluturtheile als eine ganz besondere Tugend geltend gemacht haben. Den halbmythischen Respect der Italiener vor seiner politischen Force nahm er wie einen schuldigen Tribut 1) an; noch 1496 rühmte er sich: Papst Alexander sei sein Caplan, Kaiser Max sein Condottiere, Venedig sein Kämmerer, der König von Frankreich sein Courier, der da kommen und gehen müsse wie ihm beliebe. 2) Mit einer erstaunlichen Besonnenheit wägt er noch in der letzten Noth (1499) die möglichen Ausgänge ab, und verläßt sich dabei, was ihm Ehre macht, auf die Güte der menschlichen Natur; seinen Bruder Cardinal Ascanio, der sich erbietet, im Castell von Mailand auszuharren, weist er ab, da sie früher bittern Streit gehabt hatten: "Monsignore, nichts für ungut, Euch traue ich nicht, wenn Ihr schon mein Bruder seid" -- be- reits hatte er sich einen Commandanten für das Castell, diese "Bürgschaft seiner Rückkehr" ausgesucht, einen Mann, dem er nie Uebles, stets nur Gutes erwiesen. 3) Derselbe verrieth dann gleichwohl die Burg. -- Im Innern warInnere Regie- rung. der Moro bemüht, gut und nützlich zu walten, wie er denn in Mailand und auch in Como noch zuletzt auf seine Be- liebtheit rechnete; doch hatte er in den spätern Jahren (seit 1496) die Steuerkraft seines Staates übermäßig an-
1)Chron. venetum, bei Murat. XXIV, Col. 65.
2)Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 492. Vgl. 481. 561.
3) Seine letzte Unterredung mit demselben, echt und merkwürdig, bei Senarega, Murat. XXIV, Col. 567.
Naturproduct, dem man nicht ganz böſe ſein kann. Bei1. Abſchnitt. der tiefſten Immoralität ſeiner Mittel erſcheint er in deren Anwendung völlig naiv; er würde wahrſcheinlich ſich ſehr verwundert haben, wenn ihm Jemand hätte begreiflich machen wollen, daß nicht nur für die Zwecke ſondern auch für die Mittel eine ſittliche Verantwortung exiſtirt; ja er würde vielleicht ſeine möglichſte Vermeidung aller Bluturtheile als eine ganz beſondere Tugend geltend gemacht haben. Den halbmythiſchen Reſpect der Italiener vor ſeiner politiſchen Force nahm er wie einen ſchuldigen Tribut 1) an; noch 1496 rühmte er ſich: Papſt Alexander ſei ſein Caplan, Kaiſer Max ſein Condottiere, Venedig ſein Kämmerer, der König von Frankreich ſein Courier, der da kommen und gehen müſſe wie ihm beliebe. 2) Mit einer erſtaunlichen Beſonnenheit wägt er noch in der letzten Noth (1499) die möglichen Ausgänge ab, und verläßt ſich dabei, was ihm Ehre macht, auf die Güte der menſchlichen Natur; ſeinen Bruder Cardinal Ascanio, der ſich erbietet, im Caſtell von Mailand auszuharren, weiſt er ab, da ſie früher bittern Streit gehabt hatten: „Monſignore, nichts für ungut, Euch traue ich nicht, wenn Ihr ſchon mein Bruder ſeid“ — be- reits hatte er ſich einen Commandanten für das Caſtell, dieſe „Bürgſchaft ſeiner Rückkehr“ ausgeſucht, einen Mann, dem er nie Uebles, ſtets nur Gutes erwieſen. 3) Derſelbe verrieth dann gleichwohl die Burg. — Im Innern warInnere Regie- rung. der Moro bemüht, gut und nützlich zu walten, wie er denn in Mailand und auch in Como noch zuletzt auf ſeine Be- liebtheit rechnete; doch hatte er in den ſpätern Jahren (ſeit 1496) die Steuerkraft ſeines Staates übermäßig an-
1)Chron. venetum, bei Murat. XXIV, Col. 65.
2)Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 492. Vgl. 481. 561.
3) Seine letzte Unterredung mit demſelben, echt und merkwürdig, bei Senarega, Murat. XXIV, Col. 567.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0051"n="41"/>
Naturproduct, dem man nicht ganz böſe ſein kann. Bei<noteplace="right"><hirendition="#b"><hirendition="#u">1. Abſchnitt.</hi></hi></note><lb/>
der tiefſten Immoralität ſeiner Mittel erſcheint er in deren<lb/>
Anwendung völlig naiv; er würde wahrſcheinlich ſich ſehr<lb/>
verwundert haben, wenn ihm Jemand hätte begreiflich machen<lb/>
wollen, daß nicht nur für die Zwecke ſondern auch für die<lb/>
Mittel eine ſittliche Verantwortung exiſtirt; ja er würde<lb/>
vielleicht ſeine möglichſte Vermeidung aller Bluturtheile als<lb/>
eine ganz beſondere Tugend geltend gemacht haben. Den<lb/>
halbmythiſchen Reſpect der Italiener vor ſeiner politiſchen<lb/>
Force nahm er wie einen ſchuldigen Tribut <noteplace="foot"n="1)"><hirendition="#aq">Chron. venetum</hi>, bei <hirendition="#aq">Murat. XXIV, Col. 65</hi>.</note> an; noch<lb/>
1496 rühmte er ſich: Papſt Alexander ſei ſein Caplan,<lb/>
Kaiſer Max ſein Condottiere, Venedig ſein Kämmerer, der<lb/>
König von Frankreich ſein Courier, der da kommen und<lb/>
gehen müſſe wie ihm beliebe. <noteplace="foot"n="2)"><hirendition="#aq">Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 492</hi>. Vgl.<lb/>
481. 561.</note> Mit einer erſtaunlichen<lb/>
Beſonnenheit wägt er noch in der letzten Noth (1499) die<lb/>
möglichen Ausgänge ab, und verläßt ſich dabei, was ihm<lb/>
Ehre macht, auf die Güte der menſchlichen Natur; ſeinen<lb/>
Bruder Cardinal Ascanio, der ſich erbietet, im Caſtell von<lb/>
Mailand auszuharren, weiſt er ab, da ſie früher bittern<lb/>
Streit gehabt hatten: „Monſignore, nichts für ungut, Euch<lb/>
traue ich nicht, wenn Ihr ſchon mein Bruder ſeid“— be-<lb/>
reits hatte er ſich einen Commandanten für das Caſtell,<lb/>
dieſe „Bürgſchaft ſeiner Rückkehr“ ausgeſucht, einen Mann,<lb/>
dem er nie Uebles, ſtets nur Gutes erwieſen. <noteplace="foot"n="3)">Seine letzte Unterredung mit demſelben, echt und merkwürdig, bei<lb/><hirendition="#aq">Senarega, Murat. XXIV, Col</hi>. 567.</note> Derſelbe<lb/>
verrieth dann gleichwohl die Burg. — Im Innern war<noteplace="right">Innere Regie-<lb/>
rung.</note><lb/>
der Moro bemüht, gut und nützlich zu walten, wie er denn<lb/>
in Mailand und auch in Como noch zuletzt auf ſeine Be-<lb/>
liebtheit rechnete; doch hatte er in den ſpätern Jahren<lb/>
(ſeit 1496) die Steuerkraft ſeines Staates übermäßig an-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[41/0051]
Naturproduct, dem man nicht ganz böſe ſein kann. Bei
der tiefſten Immoralität ſeiner Mittel erſcheint er in deren
Anwendung völlig naiv; er würde wahrſcheinlich ſich ſehr
verwundert haben, wenn ihm Jemand hätte begreiflich machen
wollen, daß nicht nur für die Zwecke ſondern auch für die
Mittel eine ſittliche Verantwortung exiſtirt; ja er würde
vielleicht ſeine möglichſte Vermeidung aller Bluturtheile als
eine ganz beſondere Tugend geltend gemacht haben. Den
halbmythiſchen Reſpect der Italiener vor ſeiner politiſchen
Force nahm er wie einen ſchuldigen Tribut 1) an; noch
1496 rühmte er ſich: Papſt Alexander ſei ſein Caplan,
Kaiſer Max ſein Condottiere, Venedig ſein Kämmerer, der
König von Frankreich ſein Courier, der da kommen und
gehen müſſe wie ihm beliebe. 2) Mit einer erſtaunlichen
Beſonnenheit wägt er noch in der letzten Noth (1499) die
möglichen Ausgänge ab, und verläßt ſich dabei, was ihm
Ehre macht, auf die Güte der menſchlichen Natur; ſeinen
Bruder Cardinal Ascanio, der ſich erbietet, im Caſtell von
Mailand auszuharren, weiſt er ab, da ſie früher bittern
Streit gehabt hatten: „Monſignore, nichts für ungut, Euch
traue ich nicht, wenn Ihr ſchon mein Bruder ſeid“ — be-
reits hatte er ſich einen Commandanten für das Caſtell,
dieſe „Bürgſchaft ſeiner Rückkehr“ ausgeſucht, einen Mann,
dem er nie Uebles, ſtets nur Gutes erwieſen. 3) Derſelbe
verrieth dann gleichwohl die Burg. — Im Innern war
der Moro bemüht, gut und nützlich zu walten, wie er denn
in Mailand und auch in Como noch zuletzt auf ſeine Be-
liebtheit rechnete; doch hatte er in den ſpätern Jahren
(ſeit 1496) die Steuerkraft ſeines Staates übermäßig an-
1. Abſchnitt.
Innere Regie-
rung.
1) Chron. venetum, bei Murat. XXIV, Col. 65.
2) Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 492. Vgl.
481. 561.
3) Seine letzte Unterredung mit demſelben, echt und merkwürdig, bei
Senarega, Murat. XXIV, Col. 567.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/51>, abgerufen am 30.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.