Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht. berücksichtigenswert dieses Interesse ist im Verhältnis zum Inter-esse an der richtigen Anwendung des Rechts, ist bei jedem Gebiet besonders zu erwägen. Man braucht nur die Fälle einer Verlei- hung, Naturalisation oder Baubewilligung mit den Fällen einer Nachtarbeitsbewilligung1, einer Entscheidung über die Stimm- berechtigung oder einer Weisung über den Straßenverkehr zu vergleichen, um zu sehen, daß die Entscheidung unserer Frage nicht in einheitlicher Weise aus der Natur des betreffenden Rechts- geschäftes oder aus dem Begriff der Rechtskraft oder der Anfecht- barkeit zu gewinnen ist2. Rechtskraft ist dann nicht die richtige Bezeichnung für diese Rechtsbeständigkeit, weil sie nicht der pri- mären Bestimmung der Verfügung selbst entspricht wie beim Urteil, sondern sekundären, zufälligen Erwägungen; die Rechts- sicherheit ist nicht Selbstzweck des Verwaltungsaktes; aber unter Umständen hat die Rechtsunsicherheit (infolge der Wiederauf- lebung des Verwaltungsaktes) ebenso große Nachteile wie die un- richtige Anwendung des Gesetzes. Die Abänderlichkeit ist die natürliche Folge der Anwendung 1 Vgl. Jeze, Principes generaux (1925) 118 ff. 2 Zutreffend darüber Tezner, Die Privatrechtstitel im öffentlichen Recht; Archiv für das öffentliche Recht 9 (1894) 363; G. Jeze, Les prin- cipes generaux du droit administratif 55 ff., warnt vor reiner Logik und will die sich gegenüberstehenden Interessen entscheiden lassen; aber warum versucht er selbst eine Theorie generale des nullites zu geben? 3 Deshalb geht hier, im Privatrecht, die Rechtssicherheit der ma-
teriellen Richtigkeit (Gerechtigkeit) vor, nicht aber notwendig im öffent- lichen Recht, wie Sauer, Grundlagen der Gesellschaft (1924) 444, meint. Der Prozeß ist eine Rechtsvergewisserungsoperation, wie O. Bülow, Dispositives Zivilprozeßrecht und die verbindliche Kraft der RO, Archiv für die zivile Praxis 64 25, sagt; aber nur der Zivilprozeß. I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht. berücksichtigenswert dieses Interesse ist im Verhältnis zum Inter-esse an der richtigen Anwendung des Rechts, ist bei jedem Gebiet besonders zu erwägen. Man braucht nur die Fälle einer Verlei- hung, Naturalisation oder Baubewilligung mit den Fällen einer Nachtarbeitsbewilligung1, einer Entscheidung über die Stimm- berechtigung oder einer Weisung über den Straßenverkehr zu vergleichen, um zu sehen, daß die Entscheidung unserer Frage nicht in einheitlicher Weise aus der Natur des betreffenden Rechts- geschäftes oder aus dem Begriff der Rechtskraft oder der Anfecht- barkeit zu gewinnen ist2. Rechtskraft ist dann nicht die richtige Bezeichnung für diese Rechtsbeständigkeit, weil sie nicht der pri- mären Bestimmung der Verfügung selbst entspricht wie beim Urteil, sondern sekundären, zufälligen Erwägungen; die Rechts- sicherheit ist nicht Selbstzweck des Verwaltungsaktes; aber unter Umständen hat die Rechtsunsicherheit (infolge der Wiederauf- lebung des Verwaltungsaktes) ebenso große Nachteile wie die un- richtige Anwendung des Gesetzes. Die Abänderlichkeit ist die natürliche Folge der Anwendung 1 Vgl. Jèze, Principes généraux (1925) 118 ff. 2 Zutreffend darüber Tezner, Die Privatrechtstitel im öffentlichen Recht; Archiv für das öffentliche Recht 9 (1894) 363; G. Jèze, Les prin- cipes généraux du droit administratif 55 ff., warnt vor reiner Logik und will die sich gegenüberstehenden Interessen entscheiden lassen; aber warum versucht er selbst eine Théorie générale des nullités zu geben? 3 Deshalb geht hier, im Privatrecht, die Rechtssicherheit der ma-
teriellen Richtigkeit (Gerechtigkeit) vor, nicht aber notwendig im öffent- lichen Recht, wie Sauer, Grundlagen der Gesellschaft (1924) 444, meint. Der Prozeß ist eine Rechtsvergewisserungsoperation, wie O. Bülow, Dispositives Zivilprozeßrecht und die verbindliche Kraft der RO, Archiv für die zivile Praxis 64 25, sagt; aber nur der Zivilprozeß. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0079" n="64"/><fw place="top" type="header">I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.</fw><lb/> berücksichtigenswert dieses Interesse ist im Verhältnis zum Inter-<lb/> esse an der richtigen Anwendung des Rechts, ist bei jedem Gebiet<lb/> besonders zu erwägen. Man braucht nur die Fälle einer Verlei-<lb/> hung, Naturalisation oder Baubewilligung mit den Fällen einer<lb/> Nachtarbeitsbewilligung<note place="foot" n="1">Vgl. <hi rendition="#g">Jèze,</hi> Principes généraux (1925) 118 ff.</note>, einer Entscheidung über die Stimm-<lb/> berechtigung oder einer Weisung über den Straßenverkehr zu<lb/> vergleichen, um zu sehen, daß die Entscheidung unserer Frage<lb/> nicht in einheitlicher Weise aus der Natur des betreffenden Rechts-<lb/> geschäftes oder aus dem Begriff der Rechtskraft oder der Anfecht-<lb/> barkeit zu gewinnen ist<note place="foot" n="2">Zutreffend darüber <hi rendition="#g">Tezner,</hi> Die Privatrechtstitel im öffentlichen<lb/> Recht; Archiv für das öffentliche Recht <hi rendition="#b">9</hi> (1894) 363; G. <hi rendition="#g">Jèze,</hi> Les prin-<lb/> cipes généraux du droit administratif 55 ff., warnt vor reiner Logik und will<lb/> die sich gegenüberstehenden Interessen entscheiden lassen; aber warum<lb/> versucht er selbst eine Théorie générale des nullités zu geben?</note>. Rechtskraft ist dann nicht die richtige<lb/> Bezeichnung für diese Rechtsbeständigkeit, weil sie nicht der pri-<lb/> mären Bestimmung der Verfügung selbst entspricht wie beim<lb/> Urteil, sondern sekundären, zufälligen Erwägungen; die Rechts-<lb/> sicherheit ist nicht Selbstzweck des Verwaltungsaktes; aber unter<lb/> Umständen hat die Rechtsunsicherheit (infolge der Wiederauf-<lb/> lebung des Verwaltungsaktes) ebenso große Nachteile wie die un-<lb/> richtige Anwendung des Gesetzes.</p><lb/> <p>Die Abänderlichkeit ist die natürliche Folge der Anwendung<lb/> zwingenden Rechts, welches öffentliche Interessen wahrnimmt<lb/> und von Amtes wegen anzuwenden ist; die Rechtskraft ist die<lb/> natürliche Folge der (behördlichen) Anwendung privaten Rechts,<lb/> welches private Interessen schützt und nicht von Amtes wegen<lb/> anzuwenden ist. Wenn das Recht hier falsch angewendet worden<lb/> ist, sind nur private Interessen verletzt, die Rechtssicherheit<lb/> dagegen ist ein öffentliches Interesse<note place="foot" n="3">Deshalb geht hier, im Privatrecht, die Rechtssicherheit der ma-<lb/> teriellen Richtigkeit (Gerechtigkeit) vor, nicht aber notwendig im öffent-<lb/> lichen Recht, wie <hi rendition="#g">Sauer,</hi> Grundlagen der Gesellschaft (1924) 444, meint.<lb/> Der Prozeß ist eine Rechtsvergewisserungsoperation, wie O. <hi rendition="#g">Bülow,</hi><lb/> Dispositives Zivilprozeßrecht und die verbindliche Kraft der RO, Archiv<lb/> für die zivile Praxis <hi rendition="#b">64</hi> 25, sagt; aber nur der Zivilprozeß.</note>. Wenn dort das Recht<lb/> falsch angewendet wird, sind öffentliche Interessen verletzt, und<lb/> wenn nicht andere, ebenso wichtige Interessen es verbieten, muß<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0079]
I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
berücksichtigenswert dieses Interesse ist im Verhältnis zum Inter-
esse an der richtigen Anwendung des Rechts, ist bei jedem Gebiet
besonders zu erwägen. Man braucht nur die Fälle einer Verlei-
hung, Naturalisation oder Baubewilligung mit den Fällen einer
Nachtarbeitsbewilligung 1, einer Entscheidung über die Stimm-
berechtigung oder einer Weisung über den Straßenverkehr zu
vergleichen, um zu sehen, daß die Entscheidung unserer Frage
nicht in einheitlicher Weise aus der Natur des betreffenden Rechts-
geschäftes oder aus dem Begriff der Rechtskraft oder der Anfecht-
barkeit zu gewinnen ist 2. Rechtskraft ist dann nicht die richtige
Bezeichnung für diese Rechtsbeständigkeit, weil sie nicht der pri-
mären Bestimmung der Verfügung selbst entspricht wie beim
Urteil, sondern sekundären, zufälligen Erwägungen; die Rechts-
sicherheit ist nicht Selbstzweck des Verwaltungsaktes; aber unter
Umständen hat die Rechtsunsicherheit (infolge der Wiederauf-
lebung des Verwaltungsaktes) ebenso große Nachteile wie die un-
richtige Anwendung des Gesetzes.
Die Abänderlichkeit ist die natürliche Folge der Anwendung
zwingenden Rechts, welches öffentliche Interessen wahrnimmt
und von Amtes wegen anzuwenden ist; die Rechtskraft ist die
natürliche Folge der (behördlichen) Anwendung privaten Rechts,
welches private Interessen schützt und nicht von Amtes wegen
anzuwenden ist. Wenn das Recht hier falsch angewendet worden
ist, sind nur private Interessen verletzt, die Rechtssicherheit
dagegen ist ein öffentliches Interesse 3. Wenn dort das Recht
falsch angewendet wird, sind öffentliche Interessen verletzt, und
wenn nicht andere, ebenso wichtige Interessen es verbieten, muß
1 Vgl. Jèze, Principes généraux (1925) 118 ff.
2 Zutreffend darüber Tezner, Die Privatrechtstitel im öffentlichen
Recht; Archiv für das öffentliche Recht 9 (1894) 363; G. Jèze, Les prin-
cipes généraux du droit administratif 55 ff., warnt vor reiner Logik und will
die sich gegenüberstehenden Interessen entscheiden lassen; aber warum
versucht er selbst eine Théorie générale des nullités zu geben?
3 Deshalb geht hier, im Privatrecht, die Rechtssicherheit der ma-
teriellen Richtigkeit (Gerechtigkeit) vor, nicht aber notwendig im öffent-
lichen Recht, wie Sauer, Grundlagen der Gesellschaft (1924) 444, meint.
Der Prozeß ist eine Rechtsvergewisserungsoperation, wie O. Bülow,
Dispositives Zivilprozeßrecht und die verbindliche Kraft der RO, Archiv
für die zivile Praxis 64 25, sagt; aber nur der Zivilprozeß.
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