Privatrechtlich sind also die Normen, und gerade die Normen, welche unabhängig von rechtsgeschäftlicher Verpflichtung Pflichten statuieren; aber Pflichten, die durch Rechtsgeschäfte aufgehoben werden können: also die Normen des nachgiebigen Rechts, welches gilt mangels anderer rechtsgeschäftlicher Abrede.
Man rechnet aber auch zum Privatrecht die Normen, die nur gelten wollen, falls ein Rechtsgeschäft betätigt worden ist: für die Parteien dieses Rechtsgeschäftes (nicht für jedermann). Die Normen nämlich, die der Ergänzung unvollständiger Rechts- geschäfte, insbesondere unvollständiger Verträge dienen sollen. Und sicher sind diese Normen nicht zwingende, also nicht öffent- lich-rechtliche in unserem Sinn. Fraglich aber ist, wie der Ge- setzgeber für private Verträge (ergänzende) rechtliche Normen aufstellen, in welchem Sinn er das tun kann.
Der Vertrag (und das Rechtsgeschäft überhaupt) ist ja, wie wir (oben S. 2 ff.) dargelegt, die inhaltlich ungebundene, der Willkür der Parteien anheimgestellte autonome Ordnung. Wie kann nun der Gesetzgeber, der den Privaten die Freiheit sub- jektiver Entschließung läßt, im Gesetz ihren unvollständig ge- bliebenen Vertragswillen durch Recht, d. h. durch sachlich rich- tige Grundsätze ergänzen? Muß nicht innert der Schranken der Vertragsfreiheit vielmehr gelten, was die Parteien tatsächlich gewollt haben? In der Tat: Der Gesetzgeber begibt sich jedes Maßstabes, um den unvollendeten Vertragswillen gerecht und vernünftig zu ergänzen, wenn er den Anfang, das zu Ergänzende, der Willkür überläßt; wie soll der Gesetzgeber z. B. wissen, ob die Leistung Zug um Zug bei einem Kaufvertrag mangels anderer Abrede billig ist, wenn er nicht weiß, wie billig das Abgeredete ist. Er darf nicht darüber urteilen, ob die verkaufte Sache zu billig oder zu teuer verkauft worden ist; aber er entscheidet, daß der Preis unter allen Umständen (falls nichts anderes darüber abgemacht worden ist) sofort bei Lieferung der Sache zu be- zahlen ist. Aber wenn der Käufer zu teuer gekauft hat und schwer trägt an seiner Zahlungspflicht, ist es offenbar nicht billig, ihn sofort bezahlen zu lassen; wohl aber im umgekehrten Fall, wenn er ohnehin zu billig erworben hat1. Stellt man also bloß auf das
1 Oder wie kann ein Gesetzgeber wissen, ob es billig ist, daß ein Borger keine Zinsen zahle, daß jeder Gesellschafter ohne Rücksicht auf die Art
Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
Privatrechtlich sind also die Normen, und gerade die Normen, welche unabhängig von rechtsgeschäftlicher Verpflichtung Pflichten statuieren; aber Pflichten, die durch Rechtsgeschäfte aufgehoben werden können: also die Normen des nachgiebigen Rechts, welches gilt mangels anderer rechtsgeschäftlicher Abrede.
Man rechnet aber auch zum Privatrecht die Normen, die nur gelten wollen, falls ein Rechtsgeschäft betätigt worden ist: für die Parteien dieses Rechtsgeschäftes (nicht für jedermann). Die Normen nämlich, die der Ergänzung unvollständiger Rechts- geschäfte, insbesondere unvollständiger Verträge dienen sollen. Und sicher sind diese Normen nicht zwingende, also nicht öffent- lich-rechtliche in unserem Sinn. Fraglich aber ist, wie der Ge- setzgeber für private Verträge (ergänzende) rechtliche Normen aufstellen, in welchem Sinn er das tun kann.
Der Vertrag (und das Rechtsgeschäft überhaupt) ist ja, wie wir (oben S. 2 ff.) dargelegt, die inhaltlich ungebundene, der Willkür der Parteien anheimgestellte autonome Ordnung. Wie kann nun der Gesetzgeber, der den Privaten die Freiheit sub- jektiver Entschließung läßt, im Gesetz ihren unvollständig ge- bliebenen Vertragswillen durch Recht, d. h. durch sachlich rich- tige Grundsätze ergänzen? Muß nicht innert der Schranken der Vertragsfreiheit vielmehr gelten, was die Parteien tatsächlich gewollt haben? In der Tat: Der Gesetzgeber begibt sich jedes Maßstabes, um den unvollendeten Vertragswillen gerecht und vernünftig zu ergänzen, wenn er den Anfang, das zu Ergänzende, der Willkür überläßt; wie soll der Gesetzgeber z. B. wissen, ob die Leistung Zug um Zug bei einem Kaufvertrag mangels anderer Abrede billig ist, wenn er nicht weiß, wie billig das Abgeredete ist. Er darf nicht darüber urteilen, ob die verkaufte Sache zu billig oder zu teuer verkauft worden ist; aber er entscheidet, daß der Preis unter allen Umständen (falls nichts anderes darüber abgemacht worden ist) sofort bei Lieferung der Sache zu be- zahlen ist. Aber wenn der Käufer zu teuer gekauft hat und schwer trägt an seiner Zahlungspflicht, ist es offenbar nicht billig, ihn sofort bezahlen zu lassen; wohl aber im umgekehrten Fall, wenn er ohnehin zu billig erworben hat1. Stellt man also bloß auf das
1 Oder wie kann ein Gesetzgeber wissen, ob es billig ist, daß ein Borger keine Zinsen zahle, daß jeder Gesellschafter ohne Rücksicht auf die Art
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Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
Privatrechtlich sind also die Normen, und gerade die Normen,
welche unabhängig von rechtsgeschäftlicher Verpflichtung Pflichten
statuieren; aber Pflichten, die durch Rechtsgeschäfte aufgehoben
werden können: also die Normen des nachgiebigen Rechts, welches
gilt mangels anderer rechtsgeschäftlicher Abrede.
Man rechnet aber auch zum Privatrecht die Normen, die nur
gelten wollen, falls ein Rechtsgeschäft betätigt worden ist: für die
Parteien dieses Rechtsgeschäftes (nicht für jedermann). Die
Normen nämlich, die der Ergänzung unvollständiger Rechts-
geschäfte, insbesondere unvollständiger Verträge dienen sollen.
Und sicher sind diese Normen nicht zwingende, also nicht öffent-
lich-rechtliche in unserem Sinn. Fraglich aber ist, wie der Ge-
setzgeber für private Verträge (ergänzende) rechtliche Normen
aufstellen, in welchem Sinn er das tun kann.
Der Vertrag (und das Rechtsgeschäft überhaupt) ist ja, wie
wir (oben S. 2 ff.) dargelegt, die inhaltlich ungebundene, der
Willkür der Parteien anheimgestellte autonome Ordnung. Wie
kann nun der Gesetzgeber, der den Privaten die Freiheit sub-
jektiver Entschließung läßt, im Gesetz ihren unvollständig ge-
bliebenen Vertragswillen durch Recht, d. h. durch sachlich rich-
tige Grundsätze ergänzen? Muß nicht innert der Schranken der
Vertragsfreiheit vielmehr gelten, was die Parteien tatsächlich
gewollt haben? In der Tat: Der Gesetzgeber begibt sich jedes
Maßstabes, um den unvollendeten Vertragswillen gerecht und
vernünftig zu ergänzen, wenn er den Anfang, das zu Ergänzende,
der Willkür überläßt; wie soll der Gesetzgeber z. B. wissen, ob die
Leistung Zug um Zug bei einem Kaufvertrag mangels anderer
Abrede billig ist, wenn er nicht weiß, wie billig das Abgeredete
ist. Er darf nicht darüber urteilen, ob die verkaufte Sache zu
billig oder zu teuer verkauft worden ist; aber er entscheidet, daß
der Preis unter allen Umständen (falls nichts anderes darüber
abgemacht worden ist) sofort bei Lieferung der Sache zu be-
zahlen ist. Aber wenn der Käufer zu teuer gekauft hat und schwer
trägt an seiner Zahlungspflicht, ist es offenbar nicht billig, ihn
sofort bezahlen zu lassen; wohl aber im umgekehrten Fall, wenn
er ohnehin zu billig erworben hat 1. Stellt man also bloß auf das
1 Oder wie kann ein Gesetzgeber wissen, ob es billig ist, daß ein Borger
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/54>, abgerufen am 16.02.2025.
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