Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Einzelnen.
Einzelnen nach außen; er absorbiert1, hier wirklich der unersätt- liche Leviathan, rechtlich die Einzelnen in ihrem Verhältnis nach außen; er hat für den Einzelnen das ausschließliche jus reprae- sentationis omnimodo gegenüber allen, die nicht seinem Verbande angehören, und diese wiederum können ihm gegenüber nur als Staaten Rechte geltend machen. Zwischen den einzelnen Ange- hörigen verschiedener Staaten gibt es grundsätzlich keine un- mittelbaren Rechtsbeziehungen, sowenig wie zwischen einem Staat und einem einzelnen Angehörigen eines anderen; nur ihre re- spektiven Staaten stehen untereinander in unmittelbarer Be- ziehung. Jeder Einzelne ist für sein Verhalten seinem Staat ver- antwortlich, und sein Staat ist für das Verhalten seiner Mitglieder den anderen verantwortlich. Und deshalb können die Beziehungen unter Einzelnen, die verschiedenen Staaten angehören, nur auf dem Umwege des Völkerrechts, als Rechtsbeziehungen ihrer Staaten untereinander, geordnet werden. Sie setzen solche Be- ziehungen voraus und können nur auf dieser völkerrechtlichen Grundlage als den sekundären Folgen geordnet werden.
Gegen diese Auffassung wird man einwenden, daß es unzu- treffend sei, anzunehmen, die Beziehungen von Angehörigen ver- schiedener Staaten untereinander könnten nur als völkerrechtliche, zwischenstaatliche erfaßt werden; es würden doch zwischen Landesangehörigen und Ausländern auch privatrechtliche Be- ziehungen geknüpft, die die Heimatstaaten dieser Personen nichts angingen, und es wäre ebenso unrichtig, wie unzweck- mäßig, aus diesen privatrechtlichen Beziehungen allen völker- rechtliche Beziehungen von Staat zu Staat zu machen.
Dieser Einwand hat zweifellos etwas Richtiges, aber er trifft nicht den Kern der Sache. Wenn ein Berner einem New Yorker Kaufmann Käse verkauft und nicht liefert, so entsteht daraus ein Streit, der, wie es scheint, rein privatrechtlich ist; der Amerikaner klagt vielleicht in Bern auf Schadenersatz, und das Berner Gericht spricht ihm die Klage nach amerikanischem Recht zu. Wenn sich
1 Vgl. Mola, Il principio giuridico della forza obligatoria dei trattati (1914) 68. -- Pella, La criminalite collective des Etats et le droit penal de I'avenir, Bucarest (1925), 183, will nicht nur die Staaten, sondern auch die einzelnen wegen Verletzung völkerrechtlicher Pflichten vor eine inter- nationale Strafgerichtsbarkeit ziehen.
Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Einzelnen.
Einzelnen nach außen; er absorbiert1, hier wirklich der unersätt- liche Leviathan, rechtlich die Einzelnen in ihrem Verhältnis nach außen; er hat für den Einzelnen das ausschließliche jus reprae- sentationis omnimodo gegenüber allen, die nicht seinem Verbande angehören, und diese wiederum können ihm gegenüber nur als Staaten Rechte geltend machen. Zwischen den einzelnen Ange- hörigen verschiedener Staaten gibt es grundsätzlich keine un- mittelbaren Rechtsbeziehungen, sowenig wie zwischen einem Staat und einem einzelnen Angehörigen eines anderen; nur ihre re- spektiven Staaten stehen untereinander in unmittelbarer Be- ziehung. Jeder Einzelne ist für sein Verhalten seinem Staat ver- antwortlich, und sein Staat ist für das Verhalten seiner Mitglieder den anderen verantwortlich. Und deshalb können die Beziehungen unter Einzelnen, die verschiedenen Staaten angehören, nur auf dem Umwege des Völkerrechts, als Rechtsbeziehungen ihrer Staaten untereinander, geordnet werden. Sie setzen solche Be- ziehungen voraus und können nur auf dieser völkerrechtlichen Grundlage als den sekundären Folgen geordnet werden.
Gegen diese Auffassung wird man einwenden, daß es unzu- treffend sei, anzunehmen, die Beziehungen von Angehörigen ver- schiedener Staaten untereinander könnten nur als völkerrechtliche, zwischenstaatliche erfaßt werden; es würden doch zwischen Landesangehörigen und Ausländern auch privatrechtliche Be- ziehungen geknüpft, die die Heimatstaaten dieser Personen nichts angingen, und es wäre ebenso unrichtig, wie unzweck- mäßig, aus diesen privatrechtlichen Beziehungen allen völker- rechtliche Beziehungen von Staat zu Staat zu machen.
Dieser Einwand hat zweifellos etwas Richtiges, aber er trifft nicht den Kern der Sache. Wenn ein Berner einem New Yorker Kaufmann Käse verkauft und nicht liefert, so entsteht daraus ein Streit, der, wie es scheint, rein privatrechtlich ist; der Amerikaner klagt vielleicht in Bern auf Schadenersatz, und das Berner Gericht spricht ihm die Klage nach amerikanischem Recht zu. Wenn sich
1 Vgl. Mola, Il principio giuridico della forza obligatoria dei trattati (1914) 68. — Pella, La criminalité collective des Etats et le droit pénal de I'avenir, Bucarest (1925), 183, will nicht nur die Staaten, sondern auch die einzelnen wegen Verletzung völkerrechtlicher Pflichten vor eine inter- nationale Strafgerichtsbarkeit ziehen.
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Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Einzelnen.
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sentationis omnimodo gegenüber allen, die nicht seinem Verbande
angehören, und diese wiederum können ihm gegenüber nur als
Staaten Rechte geltend machen. Zwischen den einzelnen Ange-
hörigen verschiedener Staaten gibt es grundsätzlich keine un-
mittelbaren Rechtsbeziehungen, sowenig wie zwischen einem Staat
und einem einzelnen Angehörigen eines anderen; nur ihre re-
spektiven Staaten stehen untereinander in unmittelbarer Be-
ziehung. Jeder Einzelne ist für sein Verhalten seinem Staat ver-
antwortlich, und sein Staat ist für das Verhalten seiner Mitglieder
den anderen verantwortlich. Und deshalb können die Beziehungen
unter Einzelnen, die verschiedenen Staaten angehören, nur auf
dem Umwege des Völkerrechts, als Rechtsbeziehungen ihrer
Staaten untereinander, geordnet werden. Sie setzen solche Be-
ziehungen voraus und können nur auf dieser völkerrechtlichen
Grundlage als den sekundären Folgen geordnet werden.
Gegen diese Auffassung wird man einwenden, daß es unzu-
treffend sei, anzunehmen, die Beziehungen von Angehörigen ver-
schiedener Staaten untereinander könnten nur als völkerrechtliche,
zwischenstaatliche erfaßt werden; es würden doch zwischen
Landesangehörigen und Ausländern auch privatrechtliche Be-
ziehungen geknüpft, die die Heimatstaaten dieser Personen
nichts angingen, und es wäre ebenso unrichtig, wie unzweck-
mäßig, aus diesen privatrechtlichen Beziehungen allen völker-
rechtliche Beziehungen von Staat zu Staat zu machen.
Dieser Einwand hat zweifellos etwas Richtiges, aber er trifft
nicht den Kern der Sache. Wenn ein Berner einem New Yorker
Kaufmann Käse verkauft und nicht liefert, so entsteht daraus ein
Streit, der, wie es scheint, rein privatrechtlich ist; der Amerikaner
klagt vielleicht in Bern auf Schadenersatz, und das Berner Gericht
spricht ihm die Klage nach amerikanischem Recht zu. Wenn sich
1 Vgl. Mola, Il principio giuridico della forza obligatoria dei trattati
(1914) 68. — Pella, La criminalité collective des Etats et le droit pénal
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/462>, abgerufen am 16.02.2025.
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