tragsrecht doch selbständiger gegenüberzustehen. Ist es am Ende öffentliches Recht (in unserem Sinne) oder eine Übergangsstufe zwischen privatem und öffentlichem Recht?
Betrachtet man das Verhältnis von Obligationenrecht (im Sinne des nichtzwingenden Vertragsrechtes) und Sachenrecht etwas näher, so sieht man, daß das Obligationenrecht, wenigstens so wie es heute ausgestaltet ist, ein Sachenrecht allermeist voraus- setzt. Man kann sich zwar gewisse Verträge denken ohne Sachen- recht: der Austausch persönlicher Dienste oder eines persönlichen Verhaltens überhaupt könnte z. B. vereinbart werden auch ohne daß die Parteien ein dingliches Recht an einer Sache hätten: ohne Verwendung sachenrechtlicher Begriffe. Aber beinahe alle anderen entgeltlichen Verträge setzen eine Gegenleistung in Geld voraus, und Geld ist ein Gegenstand des Eigentums; das Entgelt besteht in der Zahlung von Geld, d. h. in der Übertragung von Eigen- tum daran. Darlehen, Kauf, Tausch, Pacht und Miete kann man sich vollends ohne eine sachenrechtliche Ordnung nicht denken; sie verpflichten zu einer Leistung, der nur der Eigentümer des Geldes oder der Sache entsprechen kann.
Umgekehrt aber setzt das Sachenrecht das Obligationen- recht (das Vertragsrecht) voraus; denkbar wäre allerdings eine Rechtsordnung, in der Jeder durch genügenden Rechtsschutz (z. B. als Belohnung für Arbeit oder Verdienst) Besitz und Nutzung an beweglichen und unbeweglichen Sachen zugeteilt erhielte (vgl. oben S. 26); aber ein Recht, über das man nicht verfügen kann, ist kein Privatrecht. Die Regeln des Privatrechts kämen hier gar nicht zur Anwendung, Regeln nämlich, welche den rechts- geschäftlichen Verkehr ordnen, da keine Rechtsgeschäfte abzu- schließen wären: Besitz und Genuß der Sache wären durch zwin- gendes Recht verteilt und der Berechtigte könnte sich bloß dar- über schlüssig machen, ob er von seinem "Recht" Gebrauch machen wolle oder nicht. Auf das "Recht" könnte er nicht ver- zichten; auch nicht zugunsten eines anderen durch Übertragung. Soll er also an Sachen ein subjektives Recht haben, d. h. ein von seinem Willen abhängiges Recht, so muß er auch nach seiner Willkür rechtswirksam darüber verfügen können.
An Sachen gibt es somit dingliche Rechte nur, wenn sie Gegenstand rechtsgeschäftlicher Verfügung sein können; und
Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
tragsrecht doch selbständiger gegenüberzustehen. Ist es am Ende öffentliches Recht (in unserem Sinne) oder eine Übergangsstufe zwischen privatem und öffentlichem Recht?
Betrachtet man das Verhältnis von Obligationenrecht (im Sinne des nichtzwingenden Vertragsrechtes) und Sachenrecht etwas näher, so sieht man, daß das Obligationenrecht, wenigstens so wie es heute ausgestaltet ist, ein Sachenrecht allermeist voraus- setzt. Man kann sich zwar gewisse Verträge denken ohne Sachen- recht: der Austausch persönlicher Dienste oder eines persönlichen Verhaltens überhaupt könnte z. B. vereinbart werden auch ohne daß die Parteien ein dingliches Recht an einer Sache hätten: ohne Verwendung sachenrechtlicher Begriffe. Aber beinahe alle anderen entgeltlichen Verträge setzen eine Gegenleistung in Geld voraus, und Geld ist ein Gegenstand des Eigentums; das Entgelt besteht in der Zahlung von Geld, d. h. in der Übertragung von Eigen- tum daran. Darlehen, Kauf, Tausch, Pacht und Miete kann man sich vollends ohne eine sachenrechtliche Ordnung nicht denken; sie verpflichten zu einer Leistung, der nur der Eigentümer des Geldes oder der Sache entsprechen kann.
Umgekehrt aber setzt das Sachenrecht das Obligationen- recht (das Vertragsrecht) voraus; denkbar wäre allerdings eine Rechtsordnung, in der Jeder durch genügenden Rechtsschutz (z. B. als Belohnung für Arbeit oder Verdienst) Besitz und Nutzung an beweglichen und unbeweglichen Sachen zugeteilt erhielte (vgl. oben S. 26); aber ein Recht, über das man nicht verfügen kann, ist kein Privatrecht. Die Regeln des Privatrechts kämen hier gar nicht zur Anwendung, Regeln nämlich, welche den rechts- geschäftlichen Verkehr ordnen, da keine Rechtsgeschäfte abzu- schließen wären: Besitz und Genuß der Sache wären durch zwin- gendes Recht verteilt und der Berechtigte könnte sich bloß dar- über schlüssig machen, ob er von seinem „Recht“ Gebrauch machen wolle oder nicht. Auf das „Recht“ könnte er nicht ver- zichten; auch nicht zugunsten eines anderen durch Übertragung. Soll er also an Sachen ein subjektives Recht haben, d. h. ein von seinem Willen abhängiges Recht, so muß er auch nach seiner Willkür rechtswirksam darüber verfügen können.
An Sachen gibt es somit dingliche Rechte nur, wenn sie Gegenstand rechtsgeschäftlicher Verfügung sein können; und
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Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
tragsrecht doch selbständiger gegenüberzustehen. Ist es am Ende
öffentliches Recht (in unserem Sinne) oder eine Übergangsstufe
zwischen privatem und öffentlichem Recht?
Betrachtet man das Verhältnis von Obligationenrecht (im
Sinne des nichtzwingenden Vertragsrechtes) und Sachenrecht
etwas näher, so sieht man, daß das Obligationenrecht, wenigstens
so wie es heute ausgestaltet ist, ein Sachenrecht allermeist voraus-
setzt. Man kann sich zwar gewisse Verträge denken ohne Sachen-
recht: der Austausch persönlicher Dienste oder eines persönlichen
Verhaltens überhaupt könnte z. B. vereinbart werden auch ohne
daß die Parteien ein dingliches Recht an einer Sache hätten: ohne
Verwendung sachenrechtlicher Begriffe. Aber beinahe alle anderen
entgeltlichen Verträge setzen eine Gegenleistung in Geld voraus,
und Geld ist ein Gegenstand des Eigentums; das Entgelt besteht
in der Zahlung von Geld, d. h. in der Übertragung von Eigen-
tum daran. Darlehen, Kauf, Tausch, Pacht und Miete kann
man sich vollends ohne eine sachenrechtliche Ordnung nicht
denken; sie verpflichten zu einer Leistung, der nur der Eigentümer
des Geldes oder der Sache entsprechen kann.
Umgekehrt aber setzt das Sachenrecht das Obligationen-
recht (das Vertragsrecht) voraus; denkbar wäre allerdings eine
Rechtsordnung, in der Jeder durch genügenden Rechtsschutz
(z. B. als Belohnung für Arbeit oder Verdienst) Besitz und Nutzung
an beweglichen und unbeweglichen Sachen zugeteilt erhielte
(vgl. oben S. 26); aber ein Recht, über das man nicht verfügen
kann, ist kein Privatrecht. Die Regeln des Privatrechts kämen
hier gar nicht zur Anwendung, Regeln nämlich, welche den rechts-
geschäftlichen Verkehr ordnen, da keine Rechtsgeschäfte abzu-
schließen wären: Besitz und Genuß der Sache wären durch zwin-
gendes Recht verteilt und der Berechtigte könnte sich bloß dar-
über schlüssig machen, ob er von seinem „Recht“ Gebrauch
machen wolle oder nicht. Auf das „Recht“ könnte er nicht ver-
zichten; auch nicht zugunsten eines anderen durch Übertragung.
Soll er also an Sachen ein subjektives Recht haben, d. h. ein von
seinem Willen abhängiges Recht, so muß er auch nach seiner
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/44>, abgerufen am 21.11.2024.
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