Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

Bild:
<< vorherige Seite

Die landesrechtliche Haftung des Staates und der privaten Verbände.
pflichtet und berechtigt würde, nicht mehr das wäre, was wir
Juristische Person nennen1. Die deliktische Haftung kann nur
die sekundäre Folge einer bestehenden Haftung aus rechtsmäßigem
(rechtsgeschäftlichem) Verhalten sein. Es kann sich, mit anderen
Worten, nur fragen, ob und wieweit eine im übrigen für rechts-
geschäftliches Handeln anerkannte juristische Person aus Delikt
haften solle; sie kann nicht dazu geschaffen werden. Daß die
Juristische Person für das rechtswidrige Verhalten ihrer Organe
hafte, ist nicht eine begriffliche Notwendigkeit, aber unter Um-
ständen eine praktische, ein (gesetzgebungspolitisches) Postulat.
Wieweit also ein im Gesetz anerkannter Verband für rechts-
geschäftliches
Verhalten haften solle, bedarf, nachdem seine
Rechtsfähigkeit bestimmt ist, keiner Abgrenzung mehr; wieweit
er aber für das rechtswidrige Verhalten haften solle, ist damit
noch nicht gegeben, sondern muß in sachlicher Abwägung vom
Gesetzgeber (oder mangels gesetzlicher Regelung vom Richter)
noch besonders erwogen werden. Es ist nicht eine Frage begriff-
licher Deduktion, sondern sachlicher Erwägung2.

Der Versuch, eine solche begriffliche Abgrenzung zu finden,
ist deshalb zur Unfruchtbarkeit verurteilt; z. B. der Versuch,

1 Wenn die Rechtsordnung einer Gruppe gewisse gemeinsame Pflichten
(wie Steuerpflicht, Dienstpflicht, Haftung für Rechtsbrüche) auferlegt und
Organe zur Erfüllung dieser Pflichten einsetzt, etwa im Sinne der "passiv
öffentlich-rechtlichen Verbände" Hatschecks, Die Selbstverwaltung in
politischer und juristischer Bedeutung [1901] 6, 112 ff., so ist das eine Ge-
meinschaft des öffentlichen Rechts, nicht ein Verband mit Juristischer
Person, sondern eine Unterabteilung des Staates; die Rechtsfähigkeit kann
aber nur in der Ausübung subjektiver Rechte, d. h. privater Rechte, be-
tätigt werden.
2 Dafür mag allerdings auch in Betracht kommen, wieweit eine Organs-
person unter dem Einfluß des Verbandes und im Geiste dieser Gemeinschaft
handle und nicht unter der Einwirkung bloß individueller, persönlicher Be-
weggründe; so sicher dieser Gemeinschaftsgeist psychologisch das Handeln
der Mitglieder einer Gemeinschaft beherrschen und sie dadurch als die bloßen
"Organe" eines unpersönlichen (Gemeinschafts-) Empfindens, Wertens und
Wollens erscheinen lassen kann, so gewiß ist diese Tatsache als solche recht-
lich (d. h. für die folgerichtige Erfassung, die Konstruktion des gegebenen,
geltenden Rechts) nicht von Bedeutung; rechtlich bedeutsam ist nur der
Rechtssatz, daß (aus welchen Gründen immer) die Gemeinschaft aus dem
Handeln gewisser Einzelner haftet; aber gesetzgebungspolitisch ist jene Tat-
sache sehr bedeutsam.

Die landesrechtliche Haftung des Staates und der privaten Verbände.
pflichtet und berechtigt würde, nicht mehr das wäre, was wir
Juristische Person nennen1. Die deliktische Haftung kann nur
die sekundäre Folge einer bestehenden Haftung aus rechtsmäßigem
(rechtsgeschäftlichem) Verhalten sein. Es kann sich, mit anderen
Worten, nur fragen, ob und wieweit eine im übrigen für rechts-
geschäftliches Handeln anerkannte juristische Person aus Delikt
haften solle; sie kann nicht dazu geschaffen werden. Daß die
Juristische Person für das rechtswidrige Verhalten ihrer Organe
hafte, ist nicht eine begriffliche Notwendigkeit, aber unter Um-
ständen eine praktische, ein (gesetzgebungspolitisches) Postulat.
Wieweit also ein im Gesetz anerkannter Verband für rechts-
geschäftliches
Verhalten haften solle, bedarf, nachdem seine
Rechtsfähigkeit bestimmt ist, keiner Abgrenzung mehr; wieweit
er aber für das rechtswidrige Verhalten haften solle, ist damit
noch nicht gegeben, sondern muß in sachlicher Abwägung vom
Gesetzgeber (oder mangels gesetzlicher Regelung vom Richter)
noch besonders erwogen werden. Es ist nicht eine Frage begriff-
licher Deduktion, sondern sachlicher Erwägung2.

Der Versuch, eine solche begriffliche Abgrenzung zu finden,
ist deshalb zur Unfruchtbarkeit verurteilt; z. B. der Versuch,

1 Wenn die Rechtsordnung einer Gruppe gewisse gemeinsame Pflichten
(wie Steuerpflicht, Dienstpflicht, Haftung für Rechtsbrüche) auferlegt und
Organe zur Erfüllung dieser Pflichten einsetzt, etwa im Sinne der „passiv
öffentlich-rechtlichen Verbände“ Hatschecks, Die Selbstverwaltung in
politischer und juristischer Bedeutung [1901] 6, 112 ff., so ist das eine Ge-
meinschaft des öffentlichen Rechts, nicht ein Verband mit Juristischer
Person, sondern eine Unterabteilung des Staates; die Rechtsfähigkeit kann
aber nur in der Ausübung subjektiver Rechte, d. h. privater Rechte, be-
tätigt werden.
2 Dafür mag allerdings auch in Betracht kommen, wieweit eine Organs-
person unter dem Einfluß des Verbandes und im Geiste dieser Gemeinschaft
handle und nicht unter der Einwirkung bloß individueller, persönlicher Be-
weggründe; so sicher dieser Gemeinschaftsgeist psychologisch das Handeln
der Mitglieder einer Gemeinschaft beherrschen und sie dadurch als die bloßen
„Organe“ eines unpersönlichen (Gemeinschafts-) Empfindens, Wertens und
Wollens erscheinen lassen kann, so gewiß ist diese Tatsache als solche recht-
lich (d. h. für die folgerichtige Erfassung, die Konstruktion des gegebenen,
geltenden Rechts) nicht von Bedeutung; rechtlich bedeutsam ist nur der
Rechtssatz, daß (aus welchen Gründen immer) die Gemeinschaft aus dem
Handeln gewisser Einzelner haftet; aber gesetzgebungspolitisch ist jene Tat-
sache sehr bedeutsam.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0438" n="423"/><fw place="top" type="header">Die landesrechtliche Haftung des Staates und der privaten Verbände.</fw><lb/>
pflichtet und berechtigt würde, nicht mehr das wäre, was wir<lb/>
Juristische Person nennen<note place="foot" n="1">Wenn die Rechtsordnung einer Gruppe gewisse gemeinsame Pflichten<lb/>
(wie Steuerpflicht, Dienstpflicht, Haftung für Rechtsbrüche) auferlegt und<lb/>
Organe zur Erfüllung dieser Pflichten einsetzt, etwa im Sinne der &#x201E;passiv<lb/>
öffentlich-rechtlichen Verbände&#x201C; <hi rendition="#g">Hatschecks,</hi> Die Selbstverwaltung in<lb/>
politischer und juristischer Bedeutung [1901] 6, 112 ff., so ist das eine Ge-<lb/>
meinschaft des öffentlichen Rechts, nicht ein Verband mit Juristischer<lb/>
Person, sondern eine Unterabteilung des Staates; die Rechtsfähigkeit kann<lb/>
aber nur in der Ausübung subjektiver Rechte, d. h. privater Rechte, be-<lb/>
tätigt werden.</note>. Die deliktische Haftung kann nur<lb/>
die sekundäre Folge einer bestehenden Haftung aus rechtsmäßigem<lb/>
(rechtsgeschäftlichem) Verhalten sein. Es kann sich, mit anderen<lb/>
Worten, nur fragen, ob und wieweit eine im übrigen für rechts-<lb/>
geschäftliches Handeln anerkannte juristische Person aus Delikt<lb/>
haften solle; sie kann nicht <hi rendition="#g">dazu</hi> geschaffen werden. Daß die<lb/>
Juristische Person für das rechtswidrige Verhalten ihrer Organe<lb/>
hafte, ist nicht eine begriffliche Notwendigkeit, aber unter Um-<lb/>
ständen eine praktische, ein (gesetzgebungspolitisches) Postulat.<lb/>
Wieweit also ein im Gesetz anerkannter Verband für <hi rendition="#g">rechts-<lb/>
geschäftliches</hi> Verhalten haften solle, bedarf, nachdem seine<lb/>
Rechtsfähigkeit bestimmt ist, keiner Abgrenzung mehr; wieweit<lb/>
er aber für das <hi rendition="#g">rechtswidrige</hi> Verhalten haften solle, ist damit<lb/>
noch nicht gegeben, sondern muß in sachlicher Abwägung vom<lb/>
Gesetzgeber (oder mangels gesetzlicher Regelung vom Richter)<lb/>
noch besonders erwogen werden. Es ist nicht eine Frage begriff-<lb/>
licher Deduktion, sondern sachlicher Erwägung<note place="foot" n="2">Dafür mag allerdings auch in Betracht kommen, wieweit eine Organs-<lb/>
person unter dem Einfluß des Verbandes und im Geiste dieser Gemeinschaft<lb/>
handle und nicht unter der Einwirkung bloß individueller, persönlicher Be-<lb/>
weggründe; so sicher dieser Gemeinschaftsgeist psychologisch das Handeln<lb/>
der Mitglieder einer Gemeinschaft beherrschen und sie dadurch als die bloßen<lb/>
&#x201E;Organe&#x201C; eines unpersönlichen (Gemeinschafts-) Empfindens, Wertens und<lb/>
Wollens erscheinen lassen kann, so gewiß ist diese Tatsache als solche recht-<lb/>
lich (d. h. für die folgerichtige Erfassung, die Konstruktion des gegebenen,<lb/>
geltenden Rechts) nicht von Bedeutung; rechtlich bedeutsam ist nur der<lb/>
Rechtssatz, daß (aus welchen Gründen immer) die Gemeinschaft aus dem<lb/>
Handeln gewisser Einzelner haftet; aber gesetzgebungspolitisch ist jene Tat-<lb/>
sache sehr bedeutsam.</note>.</p><lb/>
            <p>Der Versuch, eine solche <hi rendition="#g">begriffliche</hi> Abgrenzung zu finden,<lb/>
ist deshalb zur Unfruchtbarkeit verurteilt; z. B. der Versuch,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[423/0438] Die landesrechtliche Haftung des Staates und der privaten Verbände. pflichtet und berechtigt würde, nicht mehr das wäre, was wir Juristische Person nennen 1. Die deliktische Haftung kann nur die sekundäre Folge einer bestehenden Haftung aus rechtsmäßigem (rechtsgeschäftlichem) Verhalten sein. Es kann sich, mit anderen Worten, nur fragen, ob und wieweit eine im übrigen für rechts- geschäftliches Handeln anerkannte juristische Person aus Delikt haften solle; sie kann nicht dazu geschaffen werden. Daß die Juristische Person für das rechtswidrige Verhalten ihrer Organe hafte, ist nicht eine begriffliche Notwendigkeit, aber unter Um- ständen eine praktische, ein (gesetzgebungspolitisches) Postulat. Wieweit also ein im Gesetz anerkannter Verband für rechts- geschäftliches Verhalten haften solle, bedarf, nachdem seine Rechtsfähigkeit bestimmt ist, keiner Abgrenzung mehr; wieweit er aber für das rechtswidrige Verhalten haften solle, ist damit noch nicht gegeben, sondern muß in sachlicher Abwägung vom Gesetzgeber (oder mangels gesetzlicher Regelung vom Richter) noch besonders erwogen werden. Es ist nicht eine Frage begriff- licher Deduktion, sondern sachlicher Erwägung 2. Der Versuch, eine solche begriffliche Abgrenzung zu finden, ist deshalb zur Unfruchtbarkeit verurteilt; z. B. der Versuch, 1 Wenn die Rechtsordnung einer Gruppe gewisse gemeinsame Pflichten (wie Steuerpflicht, Dienstpflicht, Haftung für Rechtsbrüche) auferlegt und Organe zur Erfüllung dieser Pflichten einsetzt, etwa im Sinne der „passiv öffentlich-rechtlichen Verbände“ Hatschecks, Die Selbstverwaltung in politischer und juristischer Bedeutung [1901] 6, 112 ff., so ist das eine Ge- meinschaft des öffentlichen Rechts, nicht ein Verband mit Juristischer Person, sondern eine Unterabteilung des Staates; die Rechtsfähigkeit kann aber nur in der Ausübung subjektiver Rechte, d. h. privater Rechte, be- tätigt werden. 2 Dafür mag allerdings auch in Betracht kommen, wieweit eine Organs- person unter dem Einfluß des Verbandes und im Geiste dieser Gemeinschaft handle und nicht unter der Einwirkung bloß individueller, persönlicher Be- weggründe; so sicher dieser Gemeinschaftsgeist psychologisch das Handeln der Mitglieder einer Gemeinschaft beherrschen und sie dadurch als die bloßen „Organe“ eines unpersönlichen (Gemeinschafts-) Empfindens, Wertens und Wollens erscheinen lassen kann, so gewiß ist diese Tatsache als solche recht- lich (d. h. für die folgerichtige Erfassung, die Konstruktion des gegebenen, geltenden Rechts) nicht von Bedeutung; rechtlich bedeutsam ist nur der Rechtssatz, daß (aus welchen Gründen immer) die Gemeinschaft aus dem Handeln gewisser Einzelner haftet; aber gesetzgebungspolitisch ist jene Tat- sache sehr bedeutsam.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/438
Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/438>, abgerufen am 22.11.2024.