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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Zwingendes und nichtzwingendes Recht.

Zwingendes Recht im eigentlichen Sinne sind also diejenigen
Normen, die ein Verhalten vorschreiben, ohne Rücksicht auf den
abweichenden Willen der Beteiligten.

Nichtzwingendes Recht sind dagegen diejenigen normae
agendi, die nur Anwendung finden wollen, falls die Beteiligten
nichts anderes bestimmen (also mangels rechtsgeschäftlicher Ver-
fügung), wie die oben erwähnten, oder zur Ergänzung unvoll-
ständiger Rechtsgeschäfte1.

Das Privatrecht in unserm Sinne fällt daher mit dem An-
wendungsgebiet des Rechtsgeschäftes zusammen; das öffentliche
Recht mit dem Gebiet, das durch zwingendes Recht beherrscht
ist, unter Ausschluß rechtsgeschäftlicher Erzeugung2.

Man wird vielleicht gegen diese Abgrenzung einwenden, sie

1 Die Unterscheidung bezieht sich auf Rechtssätze (und ihre kon-
kreten Anwendungen, die entsprechenden Ansprüche und Pflichten), aber
nicht auf ganze Rechtsinstitute, Rechtsverhältnisse oder "Lebensverhält-
nisse", die mehrere Normen voraussetzen. -- Anders z. B. O. Mayer,
Verwaltungsrecht, 2. A., I 120. Die Gehorsamspflicht des Beamten z. B.
kann öffentlich-rechtlich, sein Gehaltsanspruch oder seine Haftung gegen-
über Dritten privatrechtlich sein. Sie sind (nach positivem Recht) privat-
rechtlich, wenn die entsprechenden Ansprüche (des Beamten oder des
geschädigten Dritten) Gegenstand rechtsgeschäftlicher Verfügung (Ver-
zichtes) sein können. Vgl. Hänel, Deutsches Staatsrecht (1892) 162.
Ob das folgerichtig ist, daß der Beamte öffentlich-rechtlich verpflichtet,
aber privatrechtlich berechtigt sei, ist freilich eine andere Frage; es wird
abhängen vom Zweck, den man mit der ganzen Einrichtung verfolgt;
ebenso wie bei der Frage, ob es folgerichtig ist, daß der Enteigner
kraft öffentlichen Rechts privates Eigentum erwerbe und nach Privat-
recht Entschädigung schulde u. a. m. Aber das wird je nach dem Zweck,
dem die Einrichtung dienen soll, verschieden sein. Aus einem Begriff läßt
sich auch hier nichts ableiten. Daß aus einem öffentlich-rechtlichen "Ver-
hältnis" keine privatrechtlichen Ansprüche entstehen können, ist nicht
beweiskräftig. Auf Disteln können allerdings keine Feigen wachsen; aber
wir sind hier nicht im Gebiete der Kausalität, sondern der Teleologie. Aus
einer öffentlich-rechtlichen Norm kann kein privatrechtlicher Anspruch
begründet werden; allein wenn die Natur des Anspruches bestritten ist,
ist auch die der Norm bestritten, und wenn in einem "Rechtsverhältnis"
eine privatrechtliche Norm vorkommt, kann man es noch schlechthin
öffentlich-rechtlich nennen?
2 O. Mayer ist in seiner Abhandlung: Die Lehre vom öffentlich-
rechtlichen Vertrage, im Archiv für öffentliches Recht 3 1 ff., von diesem
Gegensatz ausgegangen, aber er hat ihn nicht folgerichtig durchgeführt.
Zwingendes und nichtzwingendes Recht.

Zwingendes Recht im eigentlichen Sinne sind also diejenigen
Normen, die ein Verhalten vorschreiben, ohne Rücksicht auf den
abweichenden Willen der Beteiligten.

Nichtzwingendes Recht sind dagegen diejenigen normae
agendi, die nur Anwendung finden wollen, falls die Beteiligten
nichts anderes bestimmen (also mangels rechtsgeschäftlicher Ver-
fügung), wie die oben erwähnten, oder zur Ergänzung unvoll-
ständiger Rechtsgeschäfte1.

Das Privatrecht in unserm Sinne fällt daher mit dem An-
wendungsgebiet des Rechtsgeschäftes zusammen; das öffentliche
Recht mit dem Gebiet, das durch zwingendes Recht beherrscht
ist, unter Ausschluß rechtsgeschäftlicher Erzeugung2.

Man wird vielleicht gegen diese Abgrenzung einwenden, sie

1 Die Unterscheidung bezieht sich auf Rechtssätze (und ihre kon-
kreten Anwendungen, die entsprechenden Ansprüche und Pflichten), aber
nicht auf ganze Rechtsinstitute, Rechtsverhältnisse oder „Lebensverhält-
nisse“, die mehrere Normen voraussetzen. — Anders z. B. O. Mayer,
Verwaltungsrecht, 2. A., I 120. Die Gehorsamspflicht des Beamten z. B.
kann öffentlich-rechtlich, sein Gehaltsanspruch oder seine Haftung gegen-
über Dritten privatrechtlich sein. Sie sind (nach positivem Recht) privat-
rechtlich, wenn die entsprechenden Ansprüche (des Beamten oder des
geschädigten Dritten) Gegenstand rechtsgeschäftlicher Verfügung (Ver-
zichtes) sein können. Vgl. Hänel, Deutsches Staatsrecht (1892) 162.
Ob das folgerichtig ist, daß der Beamte öffentlich-rechtlich verpflichtet,
aber privatrechtlich berechtigt sei, ist freilich eine andere Frage; es wird
abhängen vom Zweck, den man mit der ganzen Einrichtung verfolgt;
ebenso wie bei der Frage, ob es folgerichtig ist, daß der Enteigner
kraft öffentlichen Rechts privates Eigentum erwerbe und nach Privat-
recht Entschädigung schulde u. a. m. Aber das wird je nach dem Zweck,
dem die Einrichtung dienen soll, verschieden sein. Aus einem Begriff läßt
sich auch hier nichts ableiten. Daß aus einem öffentlich-rechtlichen „Ver-
hältnis“ keine privatrechtlichen Ansprüche entstehen können, ist nicht
beweiskräftig. Auf Disteln können allerdings keine Feigen wachsen; aber
wir sind hier nicht im Gebiete der Kausalität, sondern der Teleologie. Aus
einer öffentlich-rechtlichen Norm kann kein privatrechtlicher Anspruch
begründet werden; allein wenn die Natur des Anspruches bestritten ist,
ist auch die der Norm bestritten, und wenn in einem „Rechtsverhältnis“
eine privatrechtliche Norm vorkommt, kann man es noch schlechthin
öffentlich-rechtlich nennen?
2 O. Mayer ist in seiner Abhandlung: Die Lehre vom öffentlich-
rechtlichen Vertrage, im Archiv für öffentliches Recht 3 1 ff., von diesem
Gegensatz ausgegangen, aber er hat ihn nicht folgerichtig durchgeführt.
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[27/0042] Zwingendes und nichtzwingendes Recht. Zwingendes Recht im eigentlichen Sinne sind also diejenigen Normen, die ein Verhalten vorschreiben, ohne Rücksicht auf den abweichenden Willen der Beteiligten. Nichtzwingendes Recht sind dagegen diejenigen normae agendi, die nur Anwendung finden wollen, falls die Beteiligten nichts anderes bestimmen (also mangels rechtsgeschäftlicher Ver- fügung), wie die oben erwähnten, oder zur Ergänzung unvoll- ständiger Rechtsgeschäfte 1. Das Privatrecht in unserm Sinne fällt daher mit dem An- wendungsgebiet des Rechtsgeschäftes zusammen; das öffentliche Recht mit dem Gebiet, das durch zwingendes Recht beherrscht ist, unter Ausschluß rechtsgeschäftlicher Erzeugung 2. Man wird vielleicht gegen diese Abgrenzung einwenden, sie 1 Die Unterscheidung bezieht sich auf Rechtssätze (und ihre kon- kreten Anwendungen, die entsprechenden Ansprüche und Pflichten), aber nicht auf ganze Rechtsinstitute, Rechtsverhältnisse oder „Lebensverhält- nisse“, die mehrere Normen voraussetzen. — Anders z. B. O. Mayer, Verwaltungsrecht, 2. A., I 120. Die Gehorsamspflicht des Beamten z. B. kann öffentlich-rechtlich, sein Gehaltsanspruch oder seine Haftung gegen- über Dritten privatrechtlich sein. Sie sind (nach positivem Recht) privat- rechtlich, wenn die entsprechenden Ansprüche (des Beamten oder des geschädigten Dritten) Gegenstand rechtsgeschäftlicher Verfügung (Ver- zichtes) sein können. Vgl. Hänel, Deutsches Staatsrecht (1892) 162. Ob das folgerichtig ist, daß der Beamte öffentlich-rechtlich verpflichtet, aber privatrechtlich berechtigt sei, ist freilich eine andere Frage; es wird abhängen vom Zweck, den man mit der ganzen Einrichtung verfolgt; ebenso wie bei der Frage, ob es folgerichtig ist, daß der Enteigner kraft öffentlichen Rechts privates Eigentum erwerbe und nach Privat- recht Entschädigung schulde u. a. m. Aber das wird je nach dem Zweck, dem die Einrichtung dienen soll, verschieden sein. Aus einem Begriff läßt sich auch hier nichts ableiten. Daß aus einem öffentlich-rechtlichen „Ver- hältnis“ keine privatrechtlichen Ansprüche entstehen können, ist nicht beweiskräftig. Auf Disteln können allerdings keine Feigen wachsen; aber wir sind hier nicht im Gebiete der Kausalität, sondern der Teleologie. Aus einer öffentlich-rechtlichen Norm kann kein privatrechtlicher Anspruch begründet werden; allein wenn die Natur des Anspruches bestritten ist, ist auch die der Norm bestritten, und wenn in einem „Rechtsverhältnis“ eine privatrechtliche Norm vorkommt, kann man es noch schlechthin öffentlich-rechtlich nennen? 2 O. Mayer ist in seiner Abhandlung: Die Lehre vom öffentlich- rechtlichen Vertrage, im Archiv für öffentliches Recht 3 1 ff., von diesem Gegensatz ausgegangen, aber er hat ihn nicht folgerichtig durchgeführt.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/42>, abgerufen am 24.11.2024.