Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. konkreten Falles festzustellen hat1. Wenn die positive Geltungdes Rechts davon abhängt, daß eine organisierte Macht es hand- habt (vgl. oben S. 177 ff.), können vertraglich eingesetzte Behörden nicht dieses Recht schaffen: denn die Zuständigkeit der Behörden hängt selbst von einem Rechtsgeschäft ab, das schon im geltenden Recht begründet sein muß, um gültig zu sein. Man sagt gewöhnlich, völkerrechtliches Gewohnheitsrecht 1 Deshalb kann man sich auch kein objektives geltenes Recht und
keinen Staat denken in einer Gemeinschaft, wo die Justiz bloß durch ver- einbarte Richter ausgeübt würde; in dieser Gemeinschaft gälte auch nur vereinbartes Recht oder besser konventionelle Regeln ohne "selbstherrliche" Verbindlichkeit, in der Ausdrucksweise Stammlers. -- Deshalb, weil die Völkerrechtsgemeinschaft nicht organisiert ist, kann sie nicht positives Recht haben, nicht bloß weil das Völkerrecht nicht erzwingbar ist, wie von den Gegnern des Völkerrechts vielfach gelehrt, von den Verteidigern be- kämpft wird; aber der Mangel des Zwanges geht auch auf den Mangel der Organisation zurück. Wilson, Der Staat 455, meint, das Völkerrecht liege zwischen der Moral und dem positiven Recht; ähnliche "Zwischenstufe": Berolzheimer, System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie II 325; v. Martitz in Kultur der Gegenwart 475 ff.; Merighnac, Traite de droit public international I (1905) 125. -- Als "äußeres Staatsrecht" betrachten deshalb das Völkerrecht in verschiedenen Formulierungen: Ph. Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2. A., I (1895) 493; Wenzel, Juristische Grundprobleme (1920) 356 ff., 403; Verdroß, Einheit 56; Erich Kauf- mann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus (1911) 159, 179, 190 ff. III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. konkreten Falles festzustellen hat1. Wenn die positive Geltungdes Rechts davon abhängt, daß eine organisierte Macht es hand- habt (vgl. oben S. 177 ff.), können vertraglich eingesetzte Behörden nicht dieses Recht schaffen: denn die Zuständigkeit der Behörden hängt selbst von einem Rechtsgeschäft ab, das schon im geltenden Recht begründet sein muß, um gültig zu sein. Man sagt gewöhnlich, völkerrechtliches Gewohnheitsrecht 1 Deshalb kann man sich auch kein objektives geltenes Recht und
keinen Staat denken in einer Gemeinschaft, wo die Justiz bloß durch ver- einbarte Richter ausgeübt würde; in dieser Gemeinschaft gälte auch nur vereinbartes Recht oder besser konventionelle Regeln ohne „selbstherrliche“ Verbindlichkeit, in der Ausdrucksweise Stammlers. — Deshalb, weil die Völkerrechtsgemeinschaft nicht organisiert ist, kann sie nicht positives Recht haben, nicht bloß weil das Völkerrecht nicht erzwingbar ist, wie von den Gegnern des Völkerrechts vielfach gelehrt, von den Verteidigern be- kämpft wird; aber der Mangel des Zwanges geht auch auf den Mangel der Organisation zurück. Wilson, Der Staat 455, meint, das Völkerrecht liege zwischen der Moral und dem positiven Recht; ähnliche „Zwischenstufe“: Berolzheimer, System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie II 325; v. Martitz in Kultur der Gegenwart 475 ff.; Mérighnac, Traité de droit public international I (1905) 125. — Als „äußeres Staatsrecht“ betrachten deshalb das Völkerrecht in verschiedenen Formulierungen: Ph. Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2. A., I (1895) 493; Wenzel, Juristische Grundprobleme (1920) 356 ff., 403; Verdroß, Einheit 56; Erich Kauf- mann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus (1911) 159, 179, 190 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0393" n="378"/><fw place="top" type="header">III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.</fw><lb/> konkreten Falles festzustellen hat<note place="foot" n="1">Deshalb kann man sich auch kein objektives geltenes Recht und<lb/> keinen Staat denken in einer Gemeinschaft, wo die Justiz <hi rendition="#g">bloß</hi> durch ver-<lb/> einbarte Richter ausgeübt würde; in dieser Gemeinschaft gälte auch nur<lb/> vereinbartes Recht oder besser konventionelle Regeln ohne „selbstherrliche“<lb/> Verbindlichkeit, in der Ausdrucksweise <hi rendition="#g">Stammlers</hi>. — Deshalb, weil die<lb/> Völkerrechtsgemeinschaft nicht organisiert ist, kann sie nicht <hi rendition="#g">positives</hi><lb/> Recht haben, nicht bloß weil das Völkerrecht nicht erzwingbar ist, wie von<lb/> den Gegnern des Völkerrechts vielfach gelehrt, von den Verteidigern be-<lb/> kämpft wird; aber der Mangel des Zwanges geht auch auf den Mangel der<lb/> Organisation zurück. <hi rendition="#g">Wilson,</hi> Der Staat 455, meint, das Völkerrecht liege<lb/> zwischen der Moral und dem positiven Recht; ähnliche „Zwischenstufe“:<lb/><hi rendition="#g">Berolzheimer,</hi> System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie II 325;<lb/> v. <hi rendition="#g">Martitz</hi> in Kultur der Gegenwart 475 ff.; <hi rendition="#g">Mérighnac,</hi> Traité de droit<lb/> public international I (1905) 125. — Als „äußeres Staatsrecht“ betrachten<lb/> deshalb das Völkerrecht in verschiedenen Formulierungen: Ph. <hi rendition="#g">Zorn,</hi><lb/> Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2. A., I (1895) 493; <hi rendition="#g">Wenzel,</hi> Juristische<lb/> Grundprobleme (1920) 356 ff., 403; <hi rendition="#g">Verdroß,</hi> Einheit 56; <hi rendition="#g">Erich Kauf-<lb/> mann,</hi> Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus<lb/> (1911) 159, 179, 190 ff.</note>. Wenn die positive Geltung<lb/> des Rechts davon abhängt, daß eine organisierte Macht es hand-<lb/> habt (vgl. oben S. 177 ff.), können vertraglich eingesetzte Behörden<lb/> nicht dieses Recht schaffen: denn die Zuständigkeit der Behörden<lb/> hängt selbst von einem Rechtsgeschäft ab, das schon im geltenden<lb/> Recht begründet sein muß, um gültig zu sein.</p><lb/> <p>Man sagt gewöhnlich, völkerrechtliches Gewohnheitsrecht<lb/> sei, was von den Staaten allgemein geübt werde. Versteht man<lb/> aber unter „allgemein“ die Mehrheit, so fragt es sich, wie die<lb/> Mehrheit befugt sein sollte, das Recht in verbindlicher Weise<lb/> für die Minderheit zu bestimmen (man denke etwa an die Mehrheit<lb/> der fünfzig Kleinstaaten gegenüber den sieben oder acht Groß-<lb/> staaten!). Das würde eine allgemeinverbindliche Zuständigkeits-<lb/> ordnung voraussetzen, die nicht existiert. Versteht man darunter<lb/> aber die Gesamtheit der Staaten, so ist damit nicht besser geholfen.<lb/> Denn angenommen, dieser günstigste Fall, daß alle Staaten ein-<lb/> hellig sind in der Anwendung eines zwischenstaatlichen Grund-<lb/> satzes, sei gegeben, so ist damit doch der Streit nicht sicher be-<lb/> endigt, nicht rechtskräftig beigelegt; solange die Einhelligkeit der<lb/> Ansicht besteht, wird der Streit allerdings tatsächlich nicht vor-<lb/> kommen; die grundsätzliche Frage ist aber doch, ob der einmal<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [378/0393]
III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
konkreten Falles festzustellen hat 1. Wenn die positive Geltung
des Rechts davon abhängt, daß eine organisierte Macht es hand-
habt (vgl. oben S. 177 ff.), können vertraglich eingesetzte Behörden
nicht dieses Recht schaffen: denn die Zuständigkeit der Behörden
hängt selbst von einem Rechtsgeschäft ab, das schon im geltenden
Recht begründet sein muß, um gültig zu sein.
Man sagt gewöhnlich, völkerrechtliches Gewohnheitsrecht
sei, was von den Staaten allgemein geübt werde. Versteht man
aber unter „allgemein“ die Mehrheit, so fragt es sich, wie die
Mehrheit befugt sein sollte, das Recht in verbindlicher Weise
für die Minderheit zu bestimmen (man denke etwa an die Mehrheit
der fünfzig Kleinstaaten gegenüber den sieben oder acht Groß-
staaten!). Das würde eine allgemeinverbindliche Zuständigkeits-
ordnung voraussetzen, die nicht existiert. Versteht man darunter
aber die Gesamtheit der Staaten, so ist damit nicht besser geholfen.
Denn angenommen, dieser günstigste Fall, daß alle Staaten ein-
hellig sind in der Anwendung eines zwischenstaatlichen Grund-
satzes, sei gegeben, so ist damit doch der Streit nicht sicher be-
endigt, nicht rechtskräftig beigelegt; solange die Einhelligkeit der
Ansicht besteht, wird der Streit allerdings tatsächlich nicht vor-
kommen; die grundsätzliche Frage ist aber doch, ob der einmal
1 Deshalb kann man sich auch kein objektives geltenes Recht und
keinen Staat denken in einer Gemeinschaft, wo die Justiz bloß durch ver-
einbarte Richter ausgeübt würde; in dieser Gemeinschaft gälte auch nur
vereinbartes Recht oder besser konventionelle Regeln ohne „selbstherrliche“
Verbindlichkeit, in der Ausdrucksweise Stammlers. — Deshalb, weil die
Völkerrechtsgemeinschaft nicht organisiert ist, kann sie nicht positives
Recht haben, nicht bloß weil das Völkerrecht nicht erzwingbar ist, wie von
den Gegnern des Völkerrechts vielfach gelehrt, von den Verteidigern be-
kämpft wird; aber der Mangel des Zwanges geht auch auf den Mangel der
Organisation zurück. Wilson, Der Staat 455, meint, das Völkerrecht liege
zwischen der Moral und dem positiven Recht; ähnliche „Zwischenstufe“:
Berolzheimer, System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie II 325;
v. Martitz in Kultur der Gegenwart 475 ff.; Mérighnac, Traité de droit
public international I (1905) 125. — Als „äußeres Staatsrecht“ betrachten
deshalb das Völkerrecht in verschiedenen Formulierungen: Ph. Zorn,
Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2. A., I (1895) 493; Wenzel, Juristische
Grundprobleme (1920) 356 ff., 403; Verdroß, Einheit 56; Erich Kauf-
mann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus
(1911) 159, 179, 190 ff.
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